Zwar sind weniger Menschen in Deutschland rechtsextrem als noch vor zwei Jahren, doch das Vertrauen in die Demokratie nimmt weiter ab. Das zeigt die neue „Mitte“-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die am Donnerstagvormittag in Berlin vorgestellt wurde. Alle zwei Jahre untersucht die SPD-nahe Stiftung anhand einer repräsentativen Befragung, inwieweit rechtsextreme, menschenfeindliche und demokratiegefährdende Einstellungen in der deutschen Bevölkerung vertreten sind. 3,3 Prozent haben demnach ein eindeutig rechtsextremes Weltbild. Die Anzahl derer, die empfänglich für antidemokratische Überzeugungen sind, ist jedoch weitaus höher.
Dass die Unzufriedenheit der Deutschen mit ihrem Staat zunimmt, hängt offenbar nicht mit der Staatsform zusammen: 79 Prozent der mehr als 2000 Personen, die im Zeitraum vom 30. Mai bis zum 4. Juli 2025 befragt wurden, würden sich als überzeugte Demokraten bezeichnen. Allerdings findet nur die Hälfte der Befragten, dass die deutsche Demokratie „im Großen und Ganzen ganz gut“ funktioniert. Etwa ein Viertel würde dieser Aussage gar entschieden widersprechen – laut der Studie ist das ein Höchstwert seit der Befragung von 2016.
Das Misstrauen in staatliche Institutionen wie Behörden, Gerichte oder Universitäten in Deutschland ist in den vergangenen fünf Jahren um die Hälfte auf 21,5 Prozent gestiegen. Das Misstrauen in den korrekten Ablauf von Wahlen hat sich mit 18,2 Prozent sogar verdreifacht. Die Studienautoren heben hervor, dass sich der größere Teil des Vertrauensverlustes innerhalb der vergangenen zwei Jahre ereignet hat.
Zugleich ist der Anteil der Deutschen, die rechtsextreme Ansichten ablehnen, im Vergleich zur Befragung der Jahre 2022 und 2023 auf drei Viertel angestiegen. Die Zustimmung zu rechtsextremen Ansichten ist entsprechend wieder gesunken. Den überraschenden starken Anstieg vor zwei Jahren erklärte Beate Küpper, Mitherausgeberin der Studie, an der Wut und Enttäuschung, die viele Menschen gegen Ende der Pandemie angesichts der sich überlagernden Krisen verspürten.
Mit etwa 20 Prozent ist aktuell der Anteil derer konstant, die sich ambivalent gegenüber rechtsextremen Aussagen verhalten, diesen also nicht eindeutig zustimmen, sie aber auch nicht ablehnen. Betrachtet man die verschiedenen Dimensionen eines rechtsextremen Weltbilds, zeigen sich deutliche Unterschiede: So sind 43 Prozent der Befragten der Auffassung, Deutschland brauche wieder „Mut zu einem starken Nationalgefühl“.
Fast ein Viertel denkt, dass das oberste Ziel der deutschen Politik sein sollte, „Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“. 15 Prozent stützen zudem die Aussage, Deutschland solle von einem Führer regiert werden, der das Land „zum Wohle aller mit starker Hand regiert“. Deutlich abgelehnt wird die Verharmlosung des Nationalsozialismus, deren Befürwortung neben fremdenfeindlichen und sozialdarwinistischen Einstellungen innerhalb der vergangenen zwei Jahre rückläufig war. Letztere meint die Überzeugung, dass bestimmte Völker anderen von Natur aus überlegen sind. Trotzdem teilen je etwa ein Drittel der Befragten abwertende Einstellungen gegenüber Asylsuchenden und Langzeitarbeitslosen.
Auch antisemitische Überzeugungen haben abgenommen, sind aber nach wie vor weitverbreitet: 17 Prozent stimmen israelbezogenem Antisemitismus eher oder ganz zu, weitere 22,4 Prozent verhalten sich ambivalent. Die Forscher sprechen von Gewöhnungseffekten und einer Normalisierung von rechtsextremen Einstellungen im öffentlichen Diskurs.
Ost und West gleichen sich an
In der Studie werden auch demographische Faktoren abgebildet. Demnach haben sich bestehende Unterschiede zwischen Männern und Frauen verschärft, Männer fallen häufiger als Frauen durch ihre Befürwortung von Rechtsextremismus, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Gewalt auf. In Hinblick auf das Alter ist die Gruppe der 18 bis 34 Jahre alten Personen mit sieben Prozent die anteilig größte mit einem rechtsextremen Weltbild. Unter Befragten mittleren Alters sind es drei Prozent, bei den mehr als 65 Jahre alten Befragten nur ein Prozent. Dass sich der Rechtsextremismus verjünge, zeige sich auch an anderen Studien, sagte Studienleiter und Sozialpsychologe Studie Andreas Zick bei der Vorstellung der Studie.
Damit setzt sich laut den Forschern eine Trendwende fort, bei der seit einigen Jahren nicht mehr ältere, sondern junge Menschen häufiger zu einer rechtsextremen Gesinnung neigen. Auch eine niedrige Schulbildung und ein niedriges Einkommen stehen eher mit rechtsextremen Überzeugungen im Zusammenhang.
Ließ sich in den bisherigen Studien das Gleiche über Menschen aus dem Osten Deutschlands sagen, haben sich die Unterschiede zwischen Ost und West in jüngerer Zeit stärker angeglichen. Befragte aus dem Osten stimmen häufiger fremdenfeindlichen und rassistischen Aussagen zu, während Sozialdarwinismus und Klassismus im Westen weiter verbreitet sind.
Bedeutung der Klimakrise nimmt ab
Neben den oben genannten Aspekten ist es auch der Umgang mit der Klimakrise, an dem sich rechtsextreme und autoritäre Tendenzen abzeichnen. Eine Mehrheit von nur mehr 56 Prozent sieht den Klimawandel als Bedrohung für Deutschland an. In den beiden vorherigen „Mitte“-Studien lag der Anteil noch bei etwa 70 Prozent. Nur noch die Hälfte der Deutschen vertritt eine klimaprogressive Haltung. Befragte, die eher regressiv eingestellt sind, neigen den Studienergebnissen zufolge auch eher zur Demokratiedistanz: Sie haben ein geringeres Vertrauen in die Demokratie und hegen eher populistische und rechtsextreme Einstellungen.
Die „Mitte“-Studie zeige, dass die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft sich klar zur Demokratie bekenne, sagte Martin Schulz, der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie zeige aber auch, „dass die antidemokratische und menschenfeindliche Stimmungsmache von Rechtspopulisten sich langsam in die Mitte der Gesellschaft hineinfrisst“. Er forderte, die Kommunen mit den nötigen Mitteln auszustatten, um eine gute Bildung und Infrastruktur zu ermöglichen und ehrenamtliches Engagement zu unterstützen. „So viel Bildung wie möglich“ ist laut den Studienautoren, die am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld forschen, „ein wirksames Mittel“, um Demokratiefeindlichkeit mit Resilienz entgegenzutreten.
Source: faz.net