Die Bundesregierung will mit ihrem sogenannten Tariftreuegesetz erreichen, dass Unternehmen künftig höhere Löhne und günstigere Arbeitsbedingungen bieten, wenn sie öffentliche Aufträge des Bundes ausführen. Dabei droht jedoch ein schwerer sozialpolitischer Kollateralschaden: In der Konsequenz sei ein Rückzug kirchlicher Einrichtungen aus wichtigen Aufgabenfeldern des Sozialstaats zu befürchten – zum Beispiel aus der Förderung von Langzeitarbeitslosen oder der Hilfe für Flüchtlinge. Darauf macht die Dienstgeberseite im Deutschen Caritasverband aufmerksam. Kirchliche Einrichtungen sind in vielen Bereichen des Sozialstaats die größten und wichtigsten Anbieter.
Mit dem umstrittenen Gesetzentwurf, den die Bundesregierung im August beschlossen hatte, würde das System der kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) nicht als ein geeignetes Tarifvertragswerk gelten, das die geplanten neuen Gesetzesregeln für öffentliche Aufträge erfüllt. Auf die kirchlichen Sozialdienste kämen damit ähnliche Komplikationen zu wie auf private Unternehmen ohne Tarifvertrag. Um für den Bund noch soziale Dienste übernehmen zu dürfen, müssten die Kirchen von ihren üblichen Arbeitsbedingungen abweichen – obwohl ihre AVR im Konsens mit der Beschäftigtenseite festgelegt werden. Stattdessen müssten sie sich einer staatlichen Verordnung unterwerfen.
„Mittelfristig wird der Rückzug die Folge sein“
Aus Sicht der Caritas-Vertreter ist das realitätsfern und nicht akzeptabel. Stattdessen sei es so: Sollte der Bundestag den vorliegenden Gesetzentwurf unverändert beschließen, „wird mittelfristig der Rückzug von Caritas-Einrichtungen aus einschlägigen Branchen wie der Arbeitsmarktförderung sowie der Flüchtlings- und Integrationshilfe die Folge sein“. So schreiben es die Caritas-Dienstgeber in ihrer Stellungnahme für die am Montag stattfindende Bundestagsanhörung zu dem Gesetz.
Mit 740.000 Beschäftigten ist die Caritas Deutschlands größter Arbeitgeber und auch der wichtigste Anbieter sozialer Dienste. Die Rolle der Dienstgeber im kirchlichen Arbeitsrecht ist mit jener der Arbeitgeberverbände im Tarifvertragssystem vergleichbar. Anders als dort werden Löhne und Arbeitsbedingungen aber in gemeinsamen Kommissionen aus Dienstgebern und -nehmern festgelegt. Es ist ein betont konsensuales Verfahren, das sich von der Konfliktkultur zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern unterscheiden soll.
Die schwarz-rote Koalition will durch das Gesetz Arbeitgeber mit Tarifvertrag gegenüber Arbeitgebern ohne Tarifvertrag bevorzugen. Dazu soll das Arbeitsministerium jeweils Löhne und Arbeitszeitregeln eines als „repräsentativ“ eingeschätzten Branchentarifvertrags per Rechtsverordnung vorschreiben. Betriebe, die nicht ohnehin an diesen Tarifvertrag gebunden sind, müssen sich dann diesen Regeln unterwerfen, um einen Auftrag ausführen zu dürfen. Und sie müssen dann mit erhöhtem Bürokratieaufwand nachweisen, dass sie die abweichenden Bedingungen einhalten. Diese Mehrbelastung droht neben kirchlichen Diensten auch Firmen, die mit der Gewerkschaft einen eigenständigen Haustarifvertrag abgeschossen haben.
Im Fall der Kirchen kommt aber noch dies verschärfend hinzu: Aufgrund ihrer Größe und Bedeutung sind ihre AVR in vielen Sozialbereichen der Standard, der als „repräsentativ“ anzusehen wäre. Das Gesetz billigt diesen Status aber nur Tarifverträgen zu; dort müsste das Ministerium daher auch wenig relevante Tarifverträge als bindende Vorgabe für alle festlegen. Die Caritas-Dienstgeber fordern die Koalition dringend zu Korrekturen auf. „Kirchliche AVR müssen Tarifverträgen gleichgestellt werden“, mahnen sie. Es sei nötig, die geplanten neuen Vorgaben „an die wirtschaftliche Realität anzupassen“.