Margen- und Zeitfresser: Die Retoure im E-Commerce.
Der deutsche Online-Modehandel leidet weiterhin unter hohen Retourenquoten. Das hat das EHI Retail Institute in der jetzt veröffentlichten Studie „Versand-, Verpackungs- und Retourenmanagement im E-Commerce“ ermittelt. Die wichtigsten Ergebnisse der EHI-Studie im Überblick.
Laut EHI bekommt jeder achte befragte E-Fashion-Anbieter (12,2%) mehr als die Hälfte der Bestellungen zurück. Der Retourenforscher Björn Asdecker schätzt, dass in diesem Jahr voraussichtlich etwa 550 Millionen Pakete retourniert werden.
Nach Schätzung des Retourenforschers Björn Asdecker von der Universität Bamberg werden in diesem Jahr voraussichtlich etwa 550 Millionen Pakete zurückgeschickt. „Das ist ein Rekord“, sagte der Wissenschaftler der Nachrichtenagentur dpa. Im Vorjahr habe die Zahl noch bei rund 530 Millionen gelegen. Fast jedes vierte im Internet bestellte Paket werde komplett oder mit einem Teil der Ware an die Händler zurückgesendet.
Interview mit dem Retourenexperten Philipp Spreer
„Verlustaversion ist ein starker Trigger bei der Retourenbekämpfung“
Der Digitalberater Philipp Spreer erklärt im TextilWirtschaft-Interview, welche Retourenvermeidungs-Methoden in welchen Ländern am besten funktionieren, warum die Einwohner ehemaliger Ostblock-Staaten für soziale Interventionen besonders empfänglich sind, warum Loss Aversion am erfolgreichsten ist und welche Methodenkombination dazu geführt hat, dass die Retourenquote in Großbritannien um 18% gesunken ist.
Experten beobachten noch etwas: Manche Kunden kaufen Modeartikel für einen Anlass wie eine Feier oder ein Date und retournieren sie anschließend. Laut einer Yougov-Umfrage haben 18% der Menschen hierzulande das schon einmal oder mehrfach gemacht, Männer häufiger als Frauen. Besonders verbreitet ist das bei 15- bis 34-Jährigen (30%).
Über die Studie
Wie kann man Retouren vermeiden?
Die Händler setzen laut EHI-Umfrage vor allem auf detaillierte Produktinformationen und -beschreibungen im Online-Shop (75,2%), hochwertige Produktbilder und -videos (rund 62,8%) sowie Qualitätssicherung vor Versand (47,9%). Fast 44% überprüfen auffällige Rückläufer gezielt.
Der Online-Händler Amazon gibt Kunden Größenempfehlungen und markiert oft zurückgeschickte Artikel. Für manche Warengruppen wurden die Rückgabefristen verkürzt. Zalando verwarnt Kunden mit „unverhältnismäßig hoher“ Retourenquote. Im Extremfall droht eine Sperre von bis zu zwölf Monaten.
Cloudstock-Report
Marktplatz-Geschäft: So haben sich die Retourenquoten zuletzt entwickelt
Die Modeanbieter, die das Omnichannel-Management-Programm von Cloudstock nutzen, mussten im zweiten Quartal deutlich höhere Retourenquoten auf dem Marktplatz von Amazon verkraften als im Vorjahr. Auf Zalando.de und Otto.de profitieren sie hingegen von gesunkenen Werten. Wie die Hersteller und Händler ihre Kalkulationen entsprechend anpassen können.
Für Markus Szajna reicht das nicht. „Die Einführung einer Rücksendegebühr von 1,99 Euro dürfte die Retourenbereitschaft deutlich senken“, sagt der Handelsprofessor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe. Er schätzt, die Gebühr könnte die Retourenzahl um bis zu ein Fünftel senken.
Laut einer Yougov-Umfrage würde ein Viertel der Verbraucher etwas oder deutlich weniger zurückschicken, wenn es eine Gebühr von 1,99 Euro gäbe. 43% würden ihr Verhalten nicht ändern. Alle übrigen bestellen online nichts, schicken nichts zurück oder machen keine Angabe.
Umtauschregeln
H&M wird noch strenger bei Retouren
Die hiesigen Kundinnen und Kunden des Fast Fashion-Filialisten H&M haben ab dem 19. Juni nur noch 14 Tage Zeit, sich für eine Rückgabe eines reduzierten Artikels zu entscheiden. Das ist in diesem Jahr bereits die zweite große Änderung bei den Umtauschregeln von H&M Deutschland.
Retourenkosten
Die Bearbeitungskosten bewegen sich bei den meisten Unternehmen im mittleren einstelligen Eurobereich. Über die Hälfte der Händler (53,3%) geben die Kosten pro retourniertem Artikel mit bis zu 10 Euro an. Weitere 13,9% kalkulieren mit bis zu 20 Euro. Bei vielen Händlern erschwert die fehlende Kostentransparenz gezielte Optimierungen. So können 27% ihre Bearbeitungskosten gar nicht konkret beziffern.
Versandkosten
Im Bereich Fashion & Accessoires bewegen sich die Versandkosten überwiegend im mittleren Preisniveau: Fast 48% der Fachhändler nannten Ausgaben in Höhe von 2,51 bis 5 Euro. Bei rund 30% sind es 5,01 Euro bis 7,50 Euro.
In den Kategorien Consumer Electronics sowie Health & Wellness zeigt sich dagegen eine größere Spannweite, was auf unterschiedliche Produktgrößen und Versandanforderungen zurückzuführen ist. Besonders im Segment Wohnen & Einrichten liegen die Kosten spürbar höher, da hier Volumen, Gewicht und Verpackungsaufwand stärker ins Gewicht fallen.
Über alle Kategorien hinweg übernehmen zwei von drei Händlern (66,1%) die Versandkosten, bei 16,5% gibt es ein Mischmodell, bei dem der Kunde einen Teil der Kosten übernimmt, abhängig vom Warenwert, dem Logistikdienstleister und dem Lieferland. Bei lediglich 16,5% tragen die Besteller die Versandgebühren vollständig.
Bitkom-Umfrage
Was ist Online-Shoppern beim Retouren-Prozess wichtig?
Retourenschein finden, die Zeit einplanen, um in den Laden oder zum Paketshop zu gehen, vielleicht noch das Versandetikett selbst ausdrucken? Die Rückgabe online bestellter Produkte kann durchaus kompliziert sein. Wie stehen Online-Shopper in Deutschland zum Thema Retouren? Der Digitalverband Bitkom hat nachgefragt.
Datennutzung, KI und Automatisierung
Die Retourengründe zu erfassen, hat sich in den meisten Unternehmen bereits etabliert, jedoch mit unterschiedlichen Graden an Automatisierung. Die manuelle Erfassung stellt für viele Unternehmen (34,4%) weiterhin die Grundlage der Datenerhebung dar.
Nur 29,5% erfassen beispielsweise die Retourengründe vollständig automatisiert. Knapp 5% befinden sich noch in der Planungsphase für solche Prozesse. Gut 20% ziehen das nicht in Erwägung.
Nicht einmal ein Zehntel (7,3%) setzt bereits KI im Retourenmanagement ein. 12,2% prüfen Use Cases für KI-gestützte Anwendungen. 45,5% halten es zukünftig für relevant und rund ein Drittel (35%) distanziert sich aktuell noch komplett von KI-Lösungen bei der Prognose oder Analyse von Retouren.
TW-Analyse
So beschleunigt Künstliche Intelligenz die Lieferlogistik in der Mode
Die TextilWirtschaft beleuchtet in ihrem aktuellen Logistik-Special den Teil der Supply Chain, in dem KI-Tools nach Expertenmeinung eine besonders große Hebelwirkung haben. Dabei handelt es sich um alle Prozesse, die stattfinden, nachdem die Ware die Logistikzentren verlassen hat. Vom Transport der Ware in die Verteilzentren über die Lieferung in die Stores und an die Endkunden bis hin zur Bearbeitung von Retouren.
„Das Potenzial von KI-Anwendungen und Automatisierungen könnte durchaus noch besser genutzt werden“, erklärt der Studienautor Niklas Stanislawski. Als Grund nennt er die hohen Retourenquoten im Modehandel und das anhaltend hohe Niveau bei Kosten für Rücksendungen.
Jeder zweite Händler übernimmt Retourenkosten
Diese werden von fast der Hälfte (49,2%) aller befragten Händler übernommen. Bei fast einem Drittel (32,8%) gibt es ein Mischmodell, bei dem die Rücksendekosten abhängig vom Bestellwert und dem Grund der Rücksendung abhängigen. Bei weniger als einem Fünftel der Befragten (18%) kommen die Kunden für die Retourenkosten auf.
Hauptgrund für die Übernahme der kompletten Retourenkosten ist die Erwartungshaltung der Kunden und der Wettbewerbsfaktor, was 60,6% der Befragten ankreuzten. Es folgen die Aussagen „Wir möchten die Zufriedenheit und Bindung der Kunden erhöhen“ (54,5%) und „Wir wollen Rücksendungen unkompliziert gestalten, um den Rückversand effizienter zu machen“ (54,2%).
Neues Schnäppchen-Event
Amazon lanciert Prime Day für Retourenartikel
Amazon hat ein neues Schnäppchen-Event ins Leben gerufen. Vom 3. bis 9. September laufen erstmals die „Second Chance Deal Days“. Das steckt dahinter.
Retourenbearbeitung
Die Abwicklung von Retouren erfolgt bei der Mehrheit der Unternehmen in kurzer Zeit und ist insgesamt effizient organisiert. Mit 43,4% benötigen die meisten Händler ein bis zwei Tage, um eine Retoure zu bearbeiten.
Ein gutes Viertel (26,2% ) benötigt drei bis vier Tage. Nur wenige liegen bei fünf bis sechs Tagen oder mehr. Ein gutes Zehntel schafft diesen Prozess sogar in unter 24 Stunden
Für die nächsten drei Jahre rechnen gut 80% der Befragten nicht damit, dass sich das mit Retourenaufkommen verbessert. 17% von ihnen gehen sogar davon aus, dass es sich weiter erhöht.
TW-Analyse
Retourenprüfung: Fast alles in Handarbeit
Retouren sind bekanntlich der größte Renditekiller im deutschen Online-Modehandel. Umso wichtiger ist es, die Rückläufer effizient und somit kostengünstig zu bearbeiten. Die TW hat drei große Online-Modehändler und zwei bedeutende Textil-Logistikdienstleister nach ihren Methoden und Erfolgen gefragt. Zu Wort kommen auch renommierte Forscher und Experten, die sich intensiv mit dem Thema Retourenbearbeitung auseinander gesetzt haben.
Die größten Kostentreiber bei der Retourenbearbeitung sind der Rücktransport der Ware (73%), die Prüfung und Wiederaufbereitung der Ware (63,1%) und der Wertverlust der Ware, die möglicherweise nicht wieder verkauft werden kann (45,1%). Oder nur mit hohen Abschriften.
Beim Umgang mit retournierten Artikeln zeigt sich im Vergleich zur Studie aus dem Jahr 2024 ein weitgehend stabiles Bild: Bereits damals nutzten 5% der Händler die Zweitvermarktung als B-Ware, und 48% setzten auf Entsorgung oder Recycling.
Diese Verteilung bleibt nahezu unverändert. Allerdings gewinnen Spenden (28,9%) und der Verkauf über Outlets (28,1%) weiter an Bedeutung. Der Rückversand an Lieferanten (26,4%) bleibt ebenfalls ein relevanter, wenn auch nachgeordneter Weg.
TW-Talk mit Logistikprofessor Markus Muschkiet
„Bei der KI-gestützten Retourenprüfung werden wir noch einiges erleben“
Der Logistikprofessor Markus Muschkiet von der Hochschule Niederrhein erklärt im TW-Interview, wie Logistiker ihre Lieferketten mithilfe von Künstlicher Intelligenz optimieren können, wo die Zukunftstechnik die größte Hebelwirkung hat und was die größten Fehler beim Einsatz von digitalen Denkmaschinen sind. Zudem berichtet der Wissenschaftler und Ex-Zalando-Logistiker, bei welchen KI-Lösungen bei ihm „immer der kleine Junge durchkommt“.
Logistikkosten
In der Kategorie Fashion & Accessoires liegen die Logistikkosten typischerweise im unteren bis mittleren Kostenbereich, da standardisierte Verpackungen, hohe Versandvolumina und effiziente Retourenprozessevorherrschen vorherrschen. Bei 38,3% der Befragten betragen die Ausgaben 2,51 bis 5 Euro. Es folgt die Preisklasse 5,01 bis 7,50 Euro, die 25,5% der Händler angaben.
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