Den Drogeriemarkt hat dm schon erobert. Die Kette ist vor Rossmann Marktführer in Deutschland. Nun prescht das Unternehmen auf den Gesundheitsmarkt, unter anderem mit einer Onlineapotheke. 2500 nicht verschreibungspflichtige Artikel sollen noch in diesem Jahr zum Sortiment gehören. „Wir rechnen mit den Genehmigungen und dem Start im zweiten Halbjahr 2025“, sagt dm-Chef Christoph Werner im Gespräch mit der F.A.Z. Die Onlineapotheke betrachtet er als eine Antwort darauf, wie dm auf die älter werdende Gesellschaft reagieren kann.
Pionierarbeit will der umtriebige Oberdrogist auch mit einem zweiten Schritt leisten: mit Haut-, Augen- und Blutuntersuchungen in den Märkten. Hier sieht sich sein Unternehmen als Vorreiter. Tatsächlich stehen die Karlsruher mit derzeit drei entsprechenden Pilotprojekten an neun Standorten, verteilt quer durch Deutschland von Konstanz bis Berlin, damit fürs Erste allein da. Von Konkurrenten wie Rossmann, Müller oder Budnikowsky sind noch keine ähnlichen Ankündigungen bekannt.
Für die Pilotprojekte arbeitet dm mit drei spezialisierten Partnern zusammen. Skleo Health kümmert sich um Augenscreenings, die aus einer Netzhautfotografie und einem Sehtest bestehen. Eine KI-gestützte Hautanalyse wird von Dermanostic angeboten; online buchbar ist außerdem eine Hautuntersuchung durch einen Onlinehautarzt des Start-ups. Umfangreiche Blutanalysen nach einer Blutentnahme bietet Aware an. Hier reichen die Preise von 9,95 Euro für ein großes Blutbild bis zu 69,95 Euro.
Augen- und Hautärzte sind empört
Die Resonanz auf das neue Angebot im kleinen Versuchsrahmen sei positiv, berichtet Werner. „Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“ Am Ende gehe es darum, den Drogeriemarkt als ein Ziel für genau diese Themen langfristig zu etablieren. „Andererseits wollen wir nicht die Ärzte ersetzen“, sagt der dm-Chef. „Die Kapazität in den Praxen kann für das genutzt werden, was wirklich nur in Praxen geschehen kann. Blutuntersuchungen gehören nicht unbedingt dazu.“
Das sieht die Ärzteschaft völlig anders. Die Berufsverbände der Augenärzte und Dermatologen reagierten mit empörten Stellungnahmen auf den dm-Vorstoß. Sie hinterfragten die fachlichen Standards, warnten vor verunsicherten Kunden bei fehlerhaft auffälligen Befunden und monierten den Werbeaspekt. Außerdem wiesen sie darauf hin, dass es für eine im Zweifel notwendige Behandlung in Haut- oder Augenarztpraxen vor Ort Probleme wegen dortiger Engpässe geben könnte. „Ihre Marketingversprechen, das Gesundheitssystem zu entlasten, können die Angebote vermutlich kaum einhalten“, hieß es seitens des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands.
Den Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) stören die telemedizinischen Untersuchungen von Dermanostic. Dabei erhielten die Nutzer den Eindruck, dass sich ernsthafte Hautprobleme anhand von Fotos bestimmen ließen, glaubt Verbandspräsident Ralph von Kiedrowski. Zudem wüssten sie gar nicht, an wen sie sich richten sollten, wenn eine weitere medizinische Behandlung notwendig sei. Verbraucherschützer warnen außerdem vor Datenschutzrisiken und einer stärkeren Kommerzialisierung von Gesundheitsleistungen.
Es „wird ziemlich scheppern“, sagt der dm-Chef
Doch Werner, der sich trotz seines Ökoimages gerne als Wirtschaftsfreund und Innovator präsentiert, lässt sich vom Gegenwind nicht ablenken. Im Gegenteil: Wegen der Onlineapotheke „wird es erst einmal ziemlich scheppern und knallen, mit Abmahnungen und einstweiligen Verfügungen“, prophezeit er. Auch hinsichtlich der Gesundheitsdienstleistungen rechnet er damit. Aber für dm gelte der Grundsatz: „Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe.“
Carsten Kortum, Handelsprofessor an der DHBW Heilbronn, lobt die Planungen des Drogeriemarktführers. „Gesundheit ist ein Megatrend“, sagt er. Der Apothekenmarkt in Deutschland sei aber eingestaubt. Insofern bringe dm neuen Schwung in die Branche. Für Konkurrenten sieht er schlechte Chancen: „Dm wird das Apothekensterben beschleunigen.“ Im Jahr 2000 gab es der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zufolge hierzulande 21.592 Apotheken, 2023 waren es noch 17.571. Das ist der niedrigste Stand seit Ende der Siebzigerjahre. Vor allem die Zahl der Einzelapotheken schrumpfte gravierend, auf 12.950.
Dm habe sich einen guten Ruf erarbeitet, analysiert Wissenschaftler Kortum. Viele Kunden verbänden das Unternehmen mit Gesundheit und Nachhaltigkeit. Mit den aktuellen Vorhaben droht jedoch ein Risiko: „Wenn dm das nicht richtig macht, dann könnte der bislang so gute Ruf erheblich leiden“, sagt der Handelsfachmann. Insbesondere müsse die Kritik an den Gesundheitsleistungen ernst genommen werden. Einzelne Kunden waren demnach irritiert. Sie sprachen davon, dass ihr Hautarzt beispielsweise Mischhaut diagnostizierte. Der Test in der dm-Filiale aber bescheinigte fettige Haut und empfahl dm-Produkte dagegen.
Das Vorhaben könnte in großem Maßstab umgesetzt werden
Karolin Junker de Neui ist Geschäftsführerin der Digitalberatung Etribes. Sie ist überzeugt, dass dm aus den Kinderproblemen der Pilotprojekte lernen wird. Ein Stück weit haben aus ihrer Sicht auch die Kunden die Verantwortung, nicht jeder Analyse blind zu vertrauen und diese kritisch zu hinterfragen. Dass dm eine erfolgreiche Onlineapotheke sein kann, hält sie für realistisch. Rezeptfreie Medikamente zählen ihrer Meinung nach zu den Wachstumstreibern des Onlinehandels. Daher sei der Schritt nur logisch.
Sollten die Tests letztlich erfolgreich laufen, könnte dm das Vorhaben in großem Maßstab umsetzen. Bis die Angebote auch in der letzten Filiale angekommen sind, dürfte es jedoch länger dauern. „Wenn wir die Gesundheitsdienstleistungen nach dem Test tatsächlich in unseren 2153 Märkten in Deutschland ausrollen, würde das realistisch betrachtet schon drei Jahre dauern. Das muss ja alles erst einmal produziert und eingebaut werden“, sagt Werner. Ohne Details zu nennen, denkt er schon heute über Möglichkeiten über die aktuellen drei Angebote hinaus nach. An sein Unternehmen seien zahlreiche Start-ups herangetreten. Aber dm mache einen Schritt nach dem anderen. „Wenn es erfolgreich ist, können wir uns durchaus noch andere Dienstleistungen vorstellen.“
Die Chancen von Gesundheitsdienstleistungen außerhalb der Arztpraxen sehen inzwischen weitere Akteure im Gesundheitssektor. Am Donnerstag kündigten die Apotheken an, sich hier stärker engagieren zu wollen. Genannt wurden gesundheitliche Prävention und Früherkennung, vor allem gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Apotheken können Menschen erreichen, die nur selten in eine Arztpraxis gehen“, hofft Armin Hoffmann, Präsident der Bundesapothekerkammer. Demnach würden sie von dem flächendeckenden und niedrigschwelligen Angebot der Apotheken besonders profitieren. „Unsere Angebote sollen kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zu den ärztlichen Gesundheitsuntersuchungen sein“, betont Hoffmann.
Ähnlich argumentiert der dm-Chef. Und wie Christoph Werner verweist Chefapotheker Hoffmann auf mögliche Einsparungen in den Gesundheitskosten. Die Bundesapothekerkammer schlägt vor, dass Erwachsene von 18 Jahren an in Apotheken einmal jährlich eine Prüfung von Risikofaktoren erhalten. Ergänzend könnten Patienten im Alter von 25, 40 und 50 Jahren eine erweiterte Beratung zum individuellen Erkrankungsrisiko erhalten.
Werner zeigt sich unterdessen überzeugt, dass die Bundesregierung den stark staatlich regulierten Gesundheitssektor bald mehr dereguliert und damit neue Angebote ermöglicht: „Die Voraussetzungen für ein Umdenken auch in der Politik sind nicht schlecht. Wir haben eine neue Gesundheitsministerin, und wir haben eine sehr angespannte Haushaltslage. Dann müssen wir halt mal sagen, vielleicht ist es jetzt Zeit für einen Fosbury-Flop.“
Mit der nach ihm benannten neuen Sprungtechnik hatte Hochspringer Dick Fosbury in den Sechzigerjahren seinen Sport revolutioniert und größere Höhen ermöglicht. „Es gibt dieses chinesische Sprichwort: Wenn der Wind des Wandels weht, bauen manche Menschen Mauern, andere bauen Windmühlen. Ich glaube, der Wind des Wandels wird wehen, dem werden wir uns nicht entziehen können“, glaubt Werner. „Da finde ich es grundsätzlich sympathischer, frühzeitig zu sagen: Okay, lasst uns doch mal ausprobieren, lass uns doch mal Testballons starten.“