Neue BSW-Spitze: Können die Wessis De Masi und Mohamed Ali den Osten erobern?

Wahrscheinlich versammeln sich Parteien selten mit so viel unterschwelliger Wut im Magen wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an diesem Wochenende. Ausgerechnet einen Tag vor Beginn des Bundesparteitages hatte der Wahlprüfungsausschuss beschlossen, dass die Bundestagswahl nicht neu ausgezählt werden soll. Und das, obwohl dem BSW im Februar nur 9.500 Stimmen zur Überschreitung der Fünf-Prozent-Hürde fehlten und die Bundesregierung keine Mehrheit hätte, sollte das BSW im Parlament sitzen. „Es braucht keine Neuwahl, um Kanzler Merz in die Wüste zu schicken“, mokiert sich Sahra Wagenknecht vor den 660 Delegierten in Magdeburg. „Es würde ausreichen, neu auszuzählen.“ Immerhin seien bei der Bundestagswahl „offenkundige Zählfehler“ passiert.

Bundespolitisch ist die Partei in der außerparlamentarischen Opposition, obwohl sie sich rechtmäßig unter der Reichstagskuppel wähnt. Darüber ist sie wütend. Die Frage ist: Schafft sie es, diese Wut nicht nur gegen sich selbst, sondern in politische Energie umzulenken? Denn dann könnte das BSW zwei Chancen nutzen, die es aktuell hat.

Umfrage: 62,1 Prozent der Jüngeren empfänden Wehrpflicht als „zu starken Eingriff in Grundrechte“

Erstens könnte es bald schon Zulauf von Jugendlichen bekommen, die keine Lust auf Bundeswehr und Aufrüstung haben. Am Freitag stimmte der Bundestag dafür, dass sich 18-jährige Männer ab nächstem Jahr wieder verpflichtend mustern lassen müssen. Laut einer aktuellen Greenpeace-Umfrage empfänden 61,1 Prozent der 16- bis 25-Jährigen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht als „zu starken Eingriff in Grundrechte“. Diese bundeswehrkritischen Jüngeren will das BSW einsammeln.

Und so macht sich Wagenknecht in ihrer Rede lustig über „Latte-Macchiato-Militaristen“ bei den Grünen und kritisiert eine „mediale Mobilmachung bis in den Kinderkanal hinein“. Mit Blick auf die blockierende Position der Europäer in den ukrainischen Friedensverhandlungen bekäme sie „fast Sympathie“ für die alte US-Maxime „Fuck the EU!“ Die jüngsten Schülerstreiks gegen die Wehrpflicht unter dem Motto „Wir wollen nicht als Kanonenfutter enden“ begrüßt Wagenknecht. Diesem antimilitaristischen Geist folgend beschließen die Delegierten in Magdeburg, die Rüstungsausgaben auf das Niveau von 2021 abzusenken und „mindestens“ bis 2029 „einfrieren“ zu wollen. Gut möglich, dass sich im nächsten Jahr der eine oder andere 18-Jährige gewahr wird, was die Militarisierung der Gesellschaft für ihn bedeutet, und dem BSW seine Stimme gibt.

Was dafür spricht, dass das BSW enttäuschte SPD-Wähler ansprechen wird

Zweitens könnte das BSW davon profitieren, dass die SPD sozialpolitisch in der Bundesregierung fundamental versagt. Im Koalitionsvertrag hatte sie die Formulierung hineinverhandelt, dass ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 „erreichbar“ sei. Dennoch wird die Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2026 lediglich auf 13,90 Euro steigen. In Magdeburg wirft das BSW den Sozialdemokraten deshalb „Wahlbetrug“ vor. „Wir sind die Partei der Arbeit“, ruft einer der Redner im Saal und bekommt dafür Applaus.

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Doch wird es das BSW schaffen, enttäuschte SPD-Wähler, denen die Linkspartei zu woke ist, anzusprechen? Was dafür spricht: Wagenknechts neue Rolle. Seit diesem Samstag ist sie nicht mehr Parteichefin, sondern wurde mit lediglich einer Stimme Enthaltung zur Vorsitzenden der neu eingerichteten „Grundwertekommission“ gewählt. In dieser Rolle will sie das wirtschafts- und sozialpolitische Profil der Partei schärfen, berichtet der Spiegel.

Ob das BSW diese zwei Chancen nutzt, steht noch in den Sternen. Und überhaupt muss die Partei es erst schaffen, Streitigkeiten in den eigenen Reihen zu beenden, bevor sie wieder erfolgreich sein kann. Im Kern gibt es einen Konflikt zwischen Regierungspragmatikern und jenen, die nicht bereit sind, zu große Kompromisse zu machen, um in Amt und Würden zu kommen.

Vor allem das „Modell Thüringen“ wird parteiintern viel kritisiert. Dort regiert das BSW seit Dezember 2024 in einer Brombeer-Koalition mit der CDU, hatte es aber zuletzt nicht einmal geschafft, ein kostenloses Schulessen einzuführen. Dieser Weg des Unbedingt-Regieren-Wollens wird von vielen in der Partei als opportunistisch wahrgenommen.

Sahra Wagenknecht: „Koalieren heißt nicht kleinbeigeben“

Die Landesvorsitzende in Brandenburg, Friederike Benda, und der Ko-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, John Lucas Dittrich, schreiben pünktlich zum Parteitag in einem gemeinsamen Beitrag, man wolle nicht „zum Preis der eigenen Glaubwürdigkeit anerkennende Schulterklopfer“ erhalten. Mit anderen Worten: Im Zweifel lieber nicht regieren als falsch. Das ist der Geist, der auch vom Parteitag in Magdeburg ausgeht. Angesprochen auf die Regierung in Thüringen sagt Amira Mohamed Ali in ihrer Bewerbungsrede für den Parteivorsitz, wenn das BSW irgendwo mitmische, müsse eine „klare Handschrift der Partei“ erkennbar sein. Was schwerlich anders verstanden werden kann als: Ihr Thüringer erreicht nicht genug mit der Brombeere!

Auch in Brandenburg, wo das BSW mit der SPD regiert, gab es zuletzt Zoff. Und zwar hatte der Finanzminister Robert Crumbach – gegen den Willen der Parteispitze und der Mehrheit seiner BSW-Fraktion – im Landtag für die Billigung der Medienstaatsverträge gestimmt. Wagenknecht sagt in Magdeburg, es sei richtig gewesen, dass die Mehrheit des BSW dagegen stimmte. „Koalieren heißt nicht kleinbeigeben“, so die Parteigründerin, immerhin sei „eine echte Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ notwendig.

Zu einem Eklat mit dem Renegaten Crumbach kommt es in Magdeburg jedoch nicht: Zwar hatte er eine Kampfkandidatur erwogen, um als Teil einer Doppelsitze den Bundesvorsitz zu übernehmen. „Mit einer Parteiführung allein aus Westdeutschen wird man im kommenden Jahr keine guten Karten haben“, hatte er zuvor der Welt mit Blick auf die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin im nächsten Jahr gesagt. „Da braucht es sehr, sehr viel mehr Ostdeutsche.“ Am Ende verzichtet Crumbach jedoch auf eine Kandidatur. Es müsse ein „Signal der Geschlossenheit“ von dem Parteitag ausgehen, sagt er.

Kann das BSW mit einer westdeutschen Mannschaft im Osten abräumen?

Eine andere Ostdeutsche dürfte an diesem Parteitagswochenende jedoch ein hohes Amt ergattern: Die Sächsin Silke Heßberg kandidiert als Bundesschatzmeisterin. Die Doppelspitze des Parteivorsitzes bleibt hingegen rein westdeutsch: Der Europaabgeordnete Fabio De Masi wird mit 93,3 Prozent in dieses Amt gewählt, Amira Mohamed Ali erhält 82,6 Prozent. An der Seite einer der beiden hätte sich Crumbach selbst gern gesehen. Aber daraus wurde nichts.

Wagenknecht versucht in Magdeburg erkennbar, an die Erfahrungen der Ostdeutschen anzudocken. Beispielsweise sagt sie, die „Schönfärberei“ der schlechten wirtschaftlichen Situation in Deutschland erinnere sie an „die Endzeit der DDR“. Ob das BSW mit seinem Programm und seiner Sprache bei den Landtagswahlen im Osten im nächsten Jahr abräumen kann, wird sich zeigen. In Sachsen-Anhalt liegt es in Umfragen derzeit bei sechs, in Mecklenburg-Vorpommern bei sieben Prozent.

Gedanklich ist Wagenknecht fast schon einen Schritt weiter. Wegen der „offenkundigen Unregelmäßigkeiten“ bei der Bundestagswahl will sie sich bis zum Bundesverfassungsgericht „durchklagen“, sagt sie in Magdeburg. Sie freue sich also schon darauf, eines Tages wieder Fraktionsvorsitzende zu sein. Nach der Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses entscheidet nächste Woche der Bundestag, ob es eine Neuauszählung geben wird. Das BSW geht davon aus, dass er sich dagegen entscheidet. Dann geht es nach Karlsruhe. Doch bis dort entschieden wird, dürfte die Partei längst anders heißen. Zum 1. Oktober 2026 nennt sie sich um in „Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft“. Auch das entschieden die Delegierten am Samstag in Magdeburg.

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