Faschistische Diktaturen in Portugal und Griechenland wurden 1974 fast gleichzeitig beendet. An die damaligen griechischen Verhältnisse zurückzudenken, trägt, wie sich zeigen wird, zur Stärkung unserer aktuellen Urteilskraft mehr bei als die Erinnerung an die portugiesische „Nelkenrevolution“. Da diese aber etwas früher begann – am 25. April 1974 –, soll sie hier am Anfang stehen. Für das Herz ist das auch die schönere Erinnerung. Kurz nach Mitternacht ertönte an jenem Tag in einem katholischen Radiosender ein verbotenes Lied: Grândola, Vila Morena. Das Signal für die revolutionären Truppenteile. Am Morgen fuhren ihre Panzer ins Zentrum von Lissabon. Die Putschisten wollten den Umsturz möglichst ohne Unruhen, ohne das Volk, vollbringen, obwohl sie wussten, dass es hinter ihnen stand. Doch das Volk ließ sich nicht zügeln: Schon in der Vorstadt soll eine Frau zu einem Soldaten gelaufen sein und ihm eine rote Nelke ins Gewehr gesteckt haben. Die Geste sollte sich hundertfach wiederholen.
Im Laufe des Tages versammelten sich Hunderttausende in der Innenstadt und feierten den Aufstand. Inzwischen hatten die revolutionären Truppen alle für die Machtausübung wichtigen Gebäude besetzt. Nur das der Geheimpolizei musste im Kampf genommen werden. Diese schoss in die zuschauende Menge, und es gab vier Tote und 45 Verletzte. Das waren die einzigen Opfer der Revolution. Dass ansonsten alles friedlich ablief, ist der Haltung der Aufständischen zu verdanken, die sich darauf einließen, einen Repräsentanten des alten Regimes – General António de Spínola – als Übergangspräsidenten zu akzeptieren, obwohl er sich ihrer Forderung, die portugiesischen Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen, nicht gleich beugte. (Spínola hatte nicht lange vor dem Putsch ein Buch veröffentlicht, in dem er die Wirtschaftspolitik des Regimes kritisierte, und war daraufhin aus seinen Ämtern entlassen worden.) Überhaupt waren das Militärs, die wirklich einmal nichts anderes wollten als den Übergang zur Demokratie, den sie mit einem „Revolutionsrat“ – eingesetzt am 14. März 1975, drei Tage nach einem gescheiterten Gegenputsch Spínolas – noch jahrelang bewachten.
António de Oliveira Salazar: Ein Ökonom als Diktator
Zur Diktatur war Portugal Jahrzehnte zuvor, im Jahr 1926, ebenfalls durch einen Militärputsch geworden. Danach hatte sich der Ökonom António de Oliveira Salazar, anfangs Finanzminister, nach 1932 zum alles beherrschenden Diktator aufgeschwungen, wobei er sich vor allem auf die katholische Kirche stützen konnte. Als Mitglied der NATO war sein Staat schon bei deren Gründung 1949 willkommen, zumal er keinen faschistischen Personenkult wie Mussolini und Hitler betrieb, die Öffentlichkeit geradezu gescheut hatte. Seine Anhänger führten das auf christliche Selbstlosigkeit zurück, doch wenn dieser Mann sich religiös verstanden haben sollte, dann auf fatale Weise: Er glaubte, es verderbe das Volk, wenn es wie Eva im Paradies zu viel wisse, und ließ deshalb wenig Bildung zu. Die katholische Moral ging so weit, dass noch 1954, wo es der Verfasser dieser Zeilen als Kind erlebte, Männer am Strand keinen nackten Oberkörper zeigen durften (einer stand immer Schmiere und pfiff, wenn sich ein Polizist näherte). Dieselbe Moral nahm in Kauf – von den Folteropfern des Regimes ganz abgesehen –, dass Portugal das bei Weitem ärmste Land Westeuropas war.
Zur „Nelkenrevolution“ führte aber ebenso der Wille des Regimes, um keinen Preis das portugiesische Kolonialreich aufzugeben. Junge Offiziere, die mit linken Ideen der 1968er-Zeit in Berührung gekommen waren, sahen besonders in Angola, das für seine Unabhängigkeit militärisch kämpfte, unmenschliche Verhältnisse. So war ein Kernpunkt ihres Programms das Ende des Kolonialismus, das sie auch in kürzester Zeit durchsetzten. Mit dem Elend im Mutterland wollten sie sich ebenso wenig abfinden. Ihr Revolutionsrat kündigte eine Agrarreform und die Verstaatlichung der Banken und aller großen Unternehmen an. So wurde es in die erste demokratische Verfassung geschrieben, die 1976 in Kraft trat, später allerdings (1982 und 1989) revidiert und auf Normalmaß gestutzt.
Spielverderber Muammar al-Gaddafi
Die Obristen hingegen, die 1967 in Griechenland geputscht hatten, waren überzeugte Antikommunisten, und sie putschten gegen eine frei gewählte Regierung, die in diesem Staat, unter dem Sozialdemokraten Andreas Papandreou erstmals nachhaltige parlamentarisch-demokratische Verhältnisse versprach. Die Herrschaft der Obristen in Athen endete ebenfalls wegen eines Krieges außerhalb der Staatsgrenzen: Als ihre Wirtschaftspolitik gescheitert war, hofften sie durch den Versuch, das autonome Zypern Griechenland mit militärischer Gewalt anzuschließen, die Gunst von Teilen des griechischen Volkes zu behalten. Doch lösten sie nur türkische Gegengewalt aus – die bis heute andauernde Besetzung Nordzyperns –, mussten sich zurückziehen und sahen ein, mit ihrer Weisheit am Ende zu sein. Sie riefen den früheren Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis aus dem Pariser Exil zurück. Er kam am 24. Juli 1974 und gab am 1. August bekannt, dass die Verfassung von 1952 wieder gelte, das heißt die parlamentarische Monarchie. Die jedoch wurde noch im selben Jahr durch ein Referendum abgeschafft.
Griechenland war seit 1952 NATO-Mitglied. Einen Unterschied gab es zur Mitgliedschaft Portugals: Athen war für die NATO noch ungleich wichtiger. Nach dem Obristenputsch am 21. April 1967 stellten die USA zwar die Militärhilfe für Griechenland ein, hinter den Kulissen aber wurde der Regierung versichert, sie werde bald wieder aufgenommen. Die Region war einfach zu wichtig – man denke nur an den Sechs-Tage-Krieg, den einige arabische Staaten im Juni 1967 gegen Israel führten – und wurde nach 1969 noch wichtiger, als in Libyen Oberst Muammar al-Gaddafi die Macht übernahm. Dort hatten sich US-amerikanische und britische Stützpunkte befunden, die nun geräumt werden mussten. Es war klar, Gaddafi würde mit der Sowjetunion kooperieren.
Die USA und die Obristen in Griechenland
Die Waffenlieferungen an Athen waren schon im September 1970 wieder aufgenommen worden, gegen den erklärten Willen aller westeuropäischen NATO-Staaten, von Portugal abgesehen. Im selben Monat sprach US-Präsident Richard Nixon mit Odysseas Angelis, dem Oberkommandierenden der griechischen Streitkräfte, der ihm ankündigte, es werde in seinem Land einige „kosmetische“ Gesten in Richtung Demokratisierung geben, mehr aber nicht. „Nixon gab zu verstehen, dass ihm die griechischen Divisionen wichtiger waren als eine Demokratisierung“, berichtet, gestützt auf die mittlerweile veröffentlichten Quellen, Heinz A. Richter in seinem detailreichen Buch Griechenland 1950 – 1974, erschienen 2013.
Die Überzeugung war damals verbreitet, hinter dem griechischen Putsch müssten die USA stecken. Neuere Forschung zeichnet ein anderes, wenn auch kaum weniger US-kritisches Bild. Nein, die von Präsident Nixon und seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger geführten USA wollten keinen Obristenputsch, so wenig wie sie heute der israelischen Regierung die unmenschliche Art der Kriegsführung in Gaza vorschreiben. Sie versuchten vielmehr, das neue Regime zu verhindern. Aber obwohl ihre Agenten in Griechenland beste Kontakte bis zum König und der Generalität hinauf hatten, sahen sie nicht, von wo der Putsch drohte. Er wurde zwar auch in den höchsten Militärkreisen diskutiert, dort konnten die USA gegenhalten.
Griechenlands militärische Bedeutung für die NATO
Auf die Obristen aber waren sie nicht gefasst gewesen. Gleichwohl änderte das nichts an Griechenlands militärischer Wichtigkeit. Für die US-Politik bedeutete dies, das Regime zu akzeptieren und zugleich immer wieder die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen zu fordern. Letzteres musste schon deshalb sein, weil die ganze westliche Öffentlichkeit über die Zustände in Griechenland empört war – nur war es nicht ernst gemeint. Erst als ein Krieg zweier NATO-Staaten gegeneinander drohte – Griechenlands und der Türkei –, war der griechische Bogen überspannt.
Die Lehre für heute ist, dass wir auch der aktuellen US-Kritik an der israelischen Regierung nicht unbedingt trauen sollten. Mag sie auch „immer heftiger“ werden, wie unsere Zeitungen gläubig berichten.