Biologische Vielfalt sei nicht länger eine Übung für „flower-power Bäumeumarmer“, sondern Kernbestandteil der Ökonomie: Mit diesen Worten rückt EZB-Direktoriumsmitglied Frank Elderson die nicht ausgerottete Fehlvorstellung zurecht, der Schwund dessen, was da wurzelt und wächst, kreucht und fleucht, sei ein Orchideenthema für Naturromantiker im Elfenbeinturm. „Naturzerstörung ist Zerstörung der Wirtschaft“, mahnt der Notenbanker.
Wie ernst es der Staatengemeinschaft damit ist, den Raubbau an der Natur zu stoppen, wird sich von kommender Woche an in Kolumbien zeigen. In Cali findet die erste Weltbiodiversitätskonferenz statt, seit nahezu 200 Regierungen sich im Dezember 2022 auf das Weltnaturschutzabkommen von Montreal verständigten. Die Vereinbarung wurde euphorisch als Sieg des umweltpolitischen Multilateralismus gefeiert. Doch schon bevor nun die Nachfolgekonferenz beginnt, steht fest: Die Kluft zwischen dem idealistischem Motto der kolumbianischen Gastgeber „Frieden mit der Natur“ und der Realität ist gewaltig.
Nahezu jeder „Inspektionsbericht“ zum Zustand der Natur bringt neue Hiobsbotschaften. Eine internationale Bestandsaufnahme ergab unlängst, dass die untersuchten Wildtierbestände seit 1970 im Durchschnitt um fast drei Viertel dezimiert worden sind. Mit dem biologischen Exitus droht auch wirtschaftlicher Schaden. 84 Prozent der Nutzpflanzen in der EU sind für die Bestäubung auf Insekten angewiesen. Doch jede dritte Bienen-, Fliegen- und Schmetterlingsart in den EU-Mitgliedstaaten verschwindet. Welche globalen Einbußen auf dem Spiel stehen, lässt sich daran ermessen, dass Wissenschaftler den wirtschaftlichen Nutzen der Natur, etwa für die Produktion von Lebensmitteln oder die Speicherung von Treibhausgasen, weltweit auf bis zu 190 Billionen Dollar im Jahr beziffern.
Noch kein deutscher Fahrplan
Die Alarmrufe, dass mit dem Raubbau an der Natur der Wohlstand in Gefahr gerate, haben Wirkung gezeigt, zumindest auf dem Papier. Bis 2050 soll die Rückkehr zum mythischen Urzustand eines Lebens „im Einklang mit der Natur“ gelingen, so das Fernziel des Weltnaturschutzabkommens. Für diese Trendwende haben die Regierungen ehrgeizige Ziele gesetzt. Zu den wichtigsten Verhandlungserfolgen von Montreal gehörte, gerade auch aus deutscher Sicht, dass bis 2030 mindestens 30 Prozent der globalen Land- und Meeresfläche geschützt werden sollen. Da Schutz allein nicht mehr genügt, wurde zudem vereinbart, 30 Prozent der geschädigten Naturflächen wiederherzustellen.
In Cali müssen die Staaten nun Farbe bekennen und darlegen, wie sie der Natur konkret helfen wollen. Doch Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wird wahrscheinlich ohne finalisierten deutschen Fahrplan zur Umsetzung des Weltnaturschutzabkommens anreisen. Der Entwurf der nationalen Biodiversitätsstrategie, den Wissenschaftler und Umweltschützer ohnehin als unzureichend kritisiert haben, wird bislang durch die Selbstblockade der Ampel ausgebremst. Das ist blamabel. Es tröstet auch nicht, dass überhaupt nur sehr wenige Staaten, wie verabredet, nationale Umsetzungspläne in Cali vorlegen. Den hehren Zielen des Weltnaturabkommens werden damit schon auf der ersten Etappe nicht die vereinbarten Taten folgen, die zunächst ohnehin nur darin bestünden, neues Papier zu produzieren.
Klimaschutz ist in den Vordergrund gerückt
Das beschworene Leben im Einklang oder im Frieden mit der Natur wird bei realistischer Betrachtung stets ein Konkurrenzkampf um Flächen und Finanzen bleiben. Je mehr Gebiete geschützt werden und ihre Nutzung eingeschränkt wird, desto größer wird der Wettbewerb um Flächen. Auch wenn Investitionen in den Naturschutz langfristig wirtschaftliche Vorteile bringen – zunächst muss die Transformation bezahlt werden.
Die Finanzierung des globalen Naturschutzes, vor allem in den artenreichen Ländern des globalen Südens, ist die Achillesferse. Die Kosten für die Umsetzung des Weltnaturschutzabkommens werden auf 700 Milliarden Dollar im Jahr beziffert. Für den Klimaschutz gibt es immerhin die Einnahmequelle des Emissionshandels. Für den Schutz von Ökosystemen und Artenvielfalt fehlt bislang ein vergleichbares Instrument.
In Cali sollen Wege gefunden werden, Milliarden für den Naturschutz zu mobilisieren. Zugleich ist sicherzustellen, dass die Mittel auch effizient genutzt werden. Die Einigung auf eine Finanzierungsstrategie ist entscheidender Gradmesser für den Erfolg der Konferenz. Hier entscheidet sich, ob mit dem Weltnaturschutzabkommen tatsächlich ein „Schutzschirm für die Natur“ aufgespannt wird.