Naturkatastrophen: Rette sich, wer kann

Wie umgehen mit den sich häufenden Naturkatastrophen? Der Historiker Nicolai Hannig hat ein Buch geschrieben über „Kalkulierte Gefahren. Naturkatastrophen und Vorsorge seit 1800„. Er beschreibt darin, wie wichtig das Vorsorge- und Sicherheitsversprechen gegen Naturgefahren für moderne Staaten war und mit welchen Mitteln man die Natur zu kontrollieren versucht hat. Im Gastbeitrag warnt Hannig angesichts des Hochwassers in Süddeutschland vor einem Rückfall in die Präventionspolitik des 19. Jahrhunderts.

Als Maximilian von Montgelas, der große bayerische Staatsreformer, Anfang des 19. Jahrhunderts den modernen Staat Bayern gestaltete, war ihm eines besonders wichtig: der Hochwasserschutz. Das Königreich sollte den besten Wasserbauer in seinen Dienst stellen, den es damals überhaupt gab, denn Montgelas hatte verstanden, dass sich Vertrauen in einen modernen Staat am besten aufbauen lässt, wenn dieser seine Bürger vor Katastrophen schützt und so gut vorsorgt, dass sie sicher leben können. Dass es dabei auch um gefühlte Sicherheit ging, zeigte sich schon im Außerwählten selbst: Carl Friedrich von Wiebeking, eigens vom Wiener Hof abgeworben, war überhaupt kein besonders versierter Hydrotekt. Aber auf Symbolpolitik, darauf verstanden sich Montgelas und sein Wasserbaumeister prächtig. Sie begradigten Flüsse, legten Sümpfe trocken und bauten Schutzwalle – alles begleitet von großer öffentlicher Aufmerksamkeit. Das Vorsorgemarketing zahlte sich aus. Vielen Dörfern konnte es gar nicht schnell genug gehen, bis die Flussbauer endlich anrückten, und nur vereinzelt waren erste Stimmen zu vernehmen, die davor warnten, dass der menschliche Eingriff in die Natur zu weit ginge.

Vorsorge, in Mauerdicke gemessen

Wenn heute im Süden Deutschlands nach Tagen des Dauerregens mehrere Landkreise überschwemmt sind und der bayerische Ministerpräsident in Gummistiefeln und Regenjacke mit Staatswappen verlauten lässt, der Freistaat habe in den vergangenen Jahren Milliarden Euro in die Naturgefahrenvorsorge investiert (auch wenn zuletzt auf Drängen der Freien Wähler gekürzt wurde), fühlt man sich unweigerlich an das Gründungsversprechen Montgelas‘ erinnert. Vorsorge wird hier in Euro gemessen, in der Dicke der Mauern und der Höhe der Deiche. Viel Geld fließt in den Hochwasserschutz, auch in die Vorbereitung auf Dürren und Erdrutsche. Erspart bleiben den Betroffenen Leid und Verwüstung dennoch nicht. So ist es jetzt, so war es vor einigen Tagen im Saarland und so war es auch im Ahrtal im Juli 2021. Und das sind nur die jüngsten Hochwasser, die noch unmittelbar in unserem Katastrophengedächtnis gespeichert sind. Wetterextreme häufen sich. Der menschengemachte Klimawandel ist nicht mehr nur Szenario. Seine Folgen sind deutlich spürbar, auch in Deutschland, wo Starkregenereignisse zunehmen.

Fatal ist allerdings, worauf die Parallele von Montgelas und Söder schon hindeutet: dass ausgerechnet jetzt, da die Gefahr von Naturkatastrophen steigt, die Vorsorgepolitik wieder zurück ins 19. Jahrhundert zu fallen droht. 

Was geschah damals, vor etwas mehr als 200 Jahren? In Indonesien brachen Vulkane in einer solchen Stärke aus, dass die Sommertemperaturen sanken und es viel mehr regnete. Hinzu kam, dass sich der Planet durch Aerosole, die sich wie ein Vorhang um die Erde legten, abdunkelte – die Klimaforschung spricht heute von global dimming, einer Periode, die auch Künstler wie den berühmten englischen Maler William Turner zu neuen Farbgebungen inspiriert haben soll.

Überschwemmungen waren damals an der Tagesordnung. Die mäandrierenden Flüsse suchten sich im Wochentakt neue Wege, verschluckten ganze Dörfer und verschoben Grenzen. Diese klimatischen Verhältnisse trafen nach dem Ende der Napoleonischen Kriege auf eine Phase der Staatsbildung und -reform, in der sich viele Staaten als moderne Interventions- und Vorsorgestaaten neu zu entwerfen versuchten. Die Natur galt dabei als einer ihrer größten und besonders tückischen Feinde. Ein Feind, der scheinbar plötzlich und ohne Vorwarnung angriff und auch vor Landesgrenzen keinen Halt machte. Solche Kriegs- und Militärmetaphern wählten Politiker und Techniker bewusst, um auszudrücken, wie gefährlich die Natur dem Staatswesen werden könnte. Man malte die drohenden Katastrophen in möglichst drastischer Sprache und allen Farben aus, um die Menschen von der Dringlichkeit des Kampfes zu überzeugen. Damals war man erfolgreich damit – anders als heute, wo die Warnung vor den sich durch den Klimawandel häufenden Katastrophen nicht mehr viel zum Kampf gegen diesen beiträgt.

Nicolai Hannig ist seit 2020 Professor für Neuere Geschichte am Institut für Geschichte der TU Darmstadt.

Im 19. Jahrhundert glaubte man, den Feind mithilfe moderner Technik besiegen zu können. Als Wunderwaffe hatten die Regierungen von Preußen über Baden bis nach Bayern die Flussbegradigung ausgemacht – zeitgenössisch Korrektion genannt. Ziel war, vermeintlich wild mäandrierende Flüsse zu zähmen und sie in einen möglichst geraden Lauf zu zwingen. Dadurch ließen sich zugleich allerhand andere Probleme lösen. Die Flüsse wurden schiffbar, stehende Gewässer, die aufgrund brütender Mücken ein fataler Verbreitungsherd der Malaria waren, konnte man begrenzen, und nicht zuletzt gewann man jede Menge neues Land, das sich als Landwirtschaftsfläche nutzen und neu besiedeln ließ. Der Wasserbau, der all dies ermöglichte, entfaltete auf die Politik eine solche Anziehungskraft, dass schon am Ende des 19. Jahrhunderts kaum ein Fluss im Deutschen Kaiserreich einen auch nur annähernd natürlichen Verlauf hatte.   

Mit dem Lauf der Flüsse änderte sich damals auch das Verhältnis der Menschen zu Naturgefahren und deren Auswirkungen. Die Prävention weckte zum einen Begehrlichkeiten. Die Menschen siedelten immer dichter an den vermeintlich gesicherten Flüssen, die Industrie stellte ihre Fabriken direkt ans Ufer. Die vielen, häufig kleineren Überschwemmungen konnten die Flussbegradigungen tatsächlich abstellen und wiegten die Allgemeinheit in Sicherheit. Doch nun reichte schon ein einzelnes Hochwasser, um einen viel verheerenderen Schaden anzurichten als zuvor Dutzende Hochwasser an den unbegradigten und noch gefürchteten Flüssen. Sogenannte Jahrhundertfluten, die nun in immer kürzeren Abständen ganze Stadtteile verwüsteten, häuften sich. Zum anderen verlernten die Menschen den Umgang mit der gefährlichen Natur. 

Wie umgehen mit den sich häufenden Naturkatastrophen? Der Historiker Nicolai Hannig hat ein Buch geschrieben über „Kalkulierte Gefahren. Naturkatastrophen und Vorsorge seit 1800„. Er beschreibt darin, wie wichtig das Vorsorge- und Sicherheitsversprechen gegen Naturgefahren für moderne Staaten war und mit welchen Mitteln man die Natur zu kontrollieren versucht hat. Im Gastbeitrag warnt Hannig angesichts des Hochwassers in Süddeutschland vor einem Rückfall in die Präventionspolitik des 19. Jahrhunderts.

Als Maximilian von Montgelas, der große bayerische Staatsreformer, Anfang des 19. Jahrhunderts den modernen Staat Bayern gestaltete, war ihm eines besonders wichtig: der Hochwasserschutz. Das Königreich sollte den besten Wasserbauer in seinen Dienst stellen, den es damals überhaupt gab, denn Montgelas hatte verstanden, dass sich Vertrauen in einen modernen Staat am besten aufbauen lässt, wenn dieser seine Bürger vor Katastrophen schützt und so gut vorsorgt, dass sie sicher leben können. Dass es dabei auch um gefühlte Sicherheit ging, zeigte sich schon im Außerwählten selbst: Carl Friedrich von Wiebeking, eigens vom Wiener Hof abgeworben, war überhaupt kein besonders versierter Hydrotekt. Aber auf Symbolpolitik, darauf verstanden sich Montgelas und sein Wasserbaumeister prächtig. Sie begradigten Flüsse, legten Sümpfe trocken und bauten Schutzwalle – alles begleitet von großer öffentlicher Aufmerksamkeit. Das Vorsorgemarketing zahlte sich aus. Vielen Dörfern konnte es gar nicht schnell genug gehen, bis die Flussbauer endlich anrückten, und nur vereinzelt waren erste Stimmen zu vernehmen, die davor warnten, dass der menschliche Eingriff in die Natur zu weit ginge.

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