Mit ihrem Auftritt bei Markus Lanz sorgt Sahra Wagenknecht wieder für Schlagzeilen – aber bleibt sie Vorsitzende des BSW? Die Partei bereitet gerade ihren Parteitag im Dezember vor – danach soll das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ anders heißen
Es war schön kontrovers und lebhaft: Markus Lanz diskutiert mit Sahra Wagenknecht über Russland, Meinungsfreiheit und das BSW
Foto: Markus Hertrich
Vielleicht irrt Sahra Wagenknecht. Vielleicht braucht es in einer Polit-Talkshow gar keine paritätische Besetzung an Meinungen, um eine kontroverse Debatte zu ermöglichen. Bei Markus Lanz im ZDF war die Konstellation gerade die von Wagenknecht eingangs der Sendung beklagte: drei gegen eins. Der Militärexperte Carlo Masala, die Pussy-Riot-Aktivistin Maria Aljochina und die Journalistin Kerstin Münstermann auf der einen, Wagenknecht auf der anderen Seite. Moderator Lanz eingerechnet, diskutierten hier sogar vier gegen eine an.
Und dennoch kam die NATO-Osterweiterung als mitursächlich für den Ukraine-Krieg zur Sprache, ebenso die dünne Beweislage für die russische Urheberschaft von Drohnen-Sichtungen über Europa, wurde über die Enge oder Weite der Meinungskorridore und über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland diskutiert. Wagenknecht könnte man wohl auch allein gegen sechs oder acht andere diskutieren lassen, sie würde ihre Punkte schon machen. Allein, weil Wagenknechts Positionen in Verbindung mit der stoischen Art, in der sie diese vorträgt, fast jedes Gegenüber triggern – und das Gespräch am Laufen halten. Insofern, da hatte die Journalistin Münstermann bei Lanz in Richtung Wagenknecht recht, gibt es keinen Grund, sich in eine „Schmollecke“ zurückzuziehen.
Im Dezember wird das BSW seinen Namen ändern
Das führt zum Problem, das die Partei hat, die nur noch bis Dezember „Bündnis Sahra Wagenknecht“ heißt: Das BSW ist ohne seine Namensgeberin und Mitgründerin bisher nur schwer vorstellbar. Vor der Klausurtagung des BSW-Bundevorstands und der Landesvorstände an diesem Wochenende bangen deshalb viele BSW-Mitglieder und -Wähler: Heißt die für den Bundesparteitag Anfang Dezember fest geplante Umbenennung, für die Mitglieder Vorschläge einreichen konnten, dass sich Wagenknecht zurückziehen wird?
Das wird sie nicht tun. Zwar erinnerte Wagenknecht bei Lanz an ihre allseits bekannte Sehnsucht nach einem Leben rein als Publizistin, Lesende, nicht zuletzt als Ehefrau des inzwischen 82-jährigen Oskar Lafontaine: „Man kann in seiner Freizeit schönere Dinge tun, als in Talkshows zu gehen.“ Doch sie versicherte eben auch, sie bleibe in der Politik. Bleibt sie aber Parteivorsitzende? Und wenn nicht, welche Rolle soll sie dann spielen? Die der Partei-Philosophin, die die Talkshow-Einladungen annimmt und ihre Thesen in auflagenstarken Büchern verbreitet? Wären diese Thesen dann noch die gleichen wie die des BSW? Was heißt das dann für den Weg des BSW und dessen innerparteiliche Demokratie? Wie mächtig oder unmächtig wäre ein BSW-Bundesvorstand ohne Wagenknecht, wie viel Einfluss würde bei ihr verbleiben?
In Thüringen setzte sich Katja Wolf durch
Bald zwei Jahre nach seiner Gründung ist das BSW nicht mehr die straff von oben orchestrierte Kaderpartei, als die es gestartet ist. Schon bis Mitte 2025 hatte sich die Mitgliederzahl auf 2.600 mehr als verdoppelt. Allenthalben entstehen Kreisverbände – in Mecklenburg-Vorpommern etwa, wo 2026 der Landtag gewählt wird, bereits flächendeckend. Einen Machtkampf um den Landesvorsitz in Thüringen entschied der dortige Verband um Katja Wolf im April selbstbewusst für sich – die Bundesspitze um Wagenknecht hatte sich astrein verzockt und war unterlegen. Der BSW-Europaabgeordnete Thomas Geisel hat im Sommer so etwas wie einen Flügel, die parteiinterne Gruppe „Mainzer Kreis“, gegründet. Und zuletzt stieß die Reaktion von BSW-Mitgliedern um den Gewerkschafter Ralf Krämer im Freitag auf einen Artikel Wagenknechts über die Frage, was heute rechts und was links ist, eine Debatte eben darüber an.
Gerade der Verlauf und das Ende des Thüringer Machtkampfs veranschaulichen, dass im BSW auch andere als Wagenknecht und ihre engsten Aliierten strategisch zu agieren und sich durchzusetzen wissen. Bei der Landesvorsitzenden, Landesfinanzministerin und stellvertretenden Ministerpräsidentin Wolf würde es überraschen, hätte sie nicht zumindest mittelfristig Ambitionen, die über Erfurt hinausreichen. Die medial als interne Wagenknecht-Gegenspielerin gelabelte Wolf bemerkte jüngst in einem Interview geradezu süffisant dialektisch: Es sei wohl keine besonders weitsichtige Entscheidung, den Namen der populärsten Vertreterin der Partei kurz vor einem Jahr mit wichtigen Landtagswahlen unter anderem in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt aus dem Namen der Partei zu streichen.
Über den BSW-Antrag auf Neuauszählung der Bundestagswahl ist weiter nicht entschieden
Doch auch unter den Wagenknecht politisch näherstehenden BSW-Politikerinnen und -Politikern gibt es solche, die für eine Nachfolge zumindest mittelfristig vorstellbar sind. Zwar ist etwa Jessica Tatti bundesweit vergleichsweise unbekannt und als Baden-Württembergerin für eine Partei, die vor allem in Ostdeutschland Menschen erreicht, eingeschränkt vermittelbar. Doch an scharfer Rhetorik mangelt es Tatti ebenso wenig wie an organisatorischer Erfahrung. Als parlamentarische Geschäftsführerin war sie maßgeblich für den Aufbau der Strukturen der BSW-Abgeordneten im Bundestag zuständig und im Ringen um parlamentarische Rechte für eine „Gruppe“ dort gegenüber den anderen „Fraktionen“ erfolgreich.
Der frühere Linken-Bundestags- und jetzige BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi wiederum hat auch über Wagenknecht-affine Kreise hinaus einen Namen. Von kommendem Februar an, wenn sein Buch Geld, Macht, Verbrechen. Wie wir die Demokratie vor Finanzkriminellen und dem großen Geld schützen erscheint, firmiert er gar als Autor.
Tatti wie De Masi wäre in jedem Fall zuzutrauen, in Vier-gegen-eins-Konstellationen deutscher Polit-Talkshows zu bestehen. Womöglich aber klärt sich die Frage, ob Sahra Wagenknecht künftig noch einen Führungsposten im BSW einnimmt, bald von selbst. Etwa, wenn der Antrag der Partei auf die Neuauszählung der Bundestagswahl positiv beschieden wird und diese Neuauszählung das BSW doch noch in den Bundestag einziehen lässt. Dann wäre Wagenknecht Abgeordnete – und wohl kaum etwas anderes als Fraktionsvorsitzende und erste Rednerin im Plenum.