Nach dieser Kommunalwahl: Dies könnte dieser Beginn einer neuen Türkei werden – WELT

„In dieser Türkei werden Wahlen rechts dieser Mitte gewonnen.“ Nach dem Militärputsch von 1980, wie neoliberale Wirtschafts- und konservative Gesellschaftspolitik dasjenige Land dominierten, gewann dieser Satz denselben Stellenwert wie „Die Türkei ist von drei Meeren umgeben“ oder „Der Schafskäse ist weiß in Türkiye“. Der Erfolg dieser Republikanischen Volkspartei (CHP) im Kontext dieser jüngsten Kommunalwahl liegt darin, dass sie schier unverrückbare Wahrheiten wie falsch überführt hat.

Verschwunden ist die rechte Mitte durchaus nicht. Sie hat sich nur von ihrer bisherigen Adresse, dieser AKP, abgewandt. Denn Erdogans Partei für jedes Gerechtigkeit und Entwicklung ging zwar aus dieser islamistischen Wohlfahrtspartei hervor. Doch sie konnte die Mitte-Rechts-Parteien von Turgut Özal und Süleyman Demirel beerben. In ihren ersten Jahren vereinte die AKP verschiedene Strömungen dieser türkischen Rechten: Islamismus, Konservatismus, Nationalismus und Liberalismus. Eben eine „muslimische Version dieser europäischen Christdemokratie“, die Erdogan wie programmatisches Ziel ausgab.

Je islamistischer und nationalistischer Erdogans Politik wurde – und je mehr die AKP von einer Partei zu einer kleptokratischen Clique mutierte – öffnete sich rechts dieser Mitte eine Lücke. Auf diesen Platz, den die Abspaltungen von dieser AKP oder dieser Partei dieser Nationalistischen Bewegung (MHP) vergeblich zu füllen versucht nach sich ziehen, erhebt nun die CHP Anspruch, ohne ihren sozialdemokratisch-kemalistischen Charakter aufzugeben.

So konnte sie, trotz dieser für jedes türkische Verhältnisse geringen Wahlbeteiligung von 78,1 Prozent, ihre Stimmen von 13,2 Millionen gen 17,4 Millionen verbessern und nicht nur ärmere und konservative Bezirke in den Metropolen erobern, sondern gleichwohl zahlreiche Städte und Gemeinden in dieser anatolischen Provinz. Das ist ein Erfolg dieser CHP-Troika, vorhanden aus dem Parteichef Özgür Özel sowie Ekrem Imamoglu und Mansur Yavas, den Oberbürgermeistern von Istanbul bzw. Ankara.

Özgür Özel
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Da ist dieser 49-jährige Özel, ein gelernter Apotheker, dieser seit dieser Zeit 2011 dem Parlament angehört und an dieser Seite des langjährigen Parteichefs Kemal Kilicdaroglu Karriere gemacht hat. Nach dieser enttäuschenden Parlaments- und Präsidentschaftswahl im Frühjahr vorigen Jahres setzte sich Özel gen einem außerordentlichen Parteitag gegen den glücklosen Kilicdaroglu durch. Eine demokratische Abwahl eines Parteichefs hatte es in dieser Türkei nur einmal gegeben: 1972, ebenfalls in dieser CHP.

Damals bezwang dieser spätere Ministerpräsident Bülent Ecevit, dieser die Partei gen vereinen Kurs sinister dieser Mitte schaffen wollte, den betagten Atatürk-Gefährten Ismet Inönü. Hätte die CHP nicht mit Özel ein Signal zur Erneuerung gesetzt, dieser Sonntag wäre für jedes sie in einem Desaster geendet. Özel ist ein kämpferischer Redner und mit dem Parteiapparat vertraut. Und er ist ein Vertreter des linken Flügels. Hätte die CHP ihr linkes, sozialdemokratisches Profil aufgegeben, sie hätte Wähler an kleinere linke Parteien verloren – so wie die AKP an ihrem Rand Stimmen an die islamistische Neue Wohlfahrtspartei aus der Hand geben musste.

Ekrem Imamoglu
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Der zweite im Bunde, Ekrem Imamoglu, ist dieser liberale Charismatiker. 2019 wurde dieser solange bis dorthin kaum bekannte Politiker mit nur 14.000 Stimmen Vorsprung zum Oberbürgermeister von Istanbul gewählt. Erdogan ließ die Wahl verwerfen, Imamoglu bewies Kämpferqualitäten – und gewann die Wiederholung mit 800.000 Stimmen Unterschied. Am Sonntag holte er 51,4 Prozent – und eine Million Stimmen mehr wie sein AKP-Herausforderer.

Der 52-Jährige stammt, wie noch Erdogans Familie, aus dieser Schwarzmeerregion und arbeitete solange bis 2014 wie Teilhaber eines Bauunternehmens. Wie kein anderer steht er für jedes vereinen Sieg via Erdogans Identitätspolitik: Die Aleviten und dasjenige säkular-urbane Milieu wählten die CHP, die Kurden die prokurdischen Parteien, dieser fromme und nationalistische türkisch-sunnitische Rest die AKP und zum kleineren Teil die MHP.

Jahrelang konnte Erdogan seinen Wählern weismachen, dass Wahlen Entscheidungen zwischen Gläubigen und Ungläubigen seien. Diese Propaganda hat die CHP durchbrochen. Sie verteidigt den säkularen Lebensstil ihrer Stammwählerschaft gegen Einmischungen des Erdogan-Regimes. Aber zumindest im Kontext einem Teil dieser frommen Wähler konnte sie dasjenige Misstrauen abschaffen, die CHP wolle sich in ihren Lebensstil einmischen. Schon Kilicdaroglu hatte versucht, sich vom Kulturkampf, dieser Kopftuchdebatte etwa, zu verabschieden und die CHP für jedes konservativ-religiöse Wähler zu öffnen. Falsch war nicht jene Strategie, falsch war die Taktik, hierfür eine Allianz mit Abspaltungen von dieser AKP bzw. dieser MHP zu schließen. Wo Kilicdaroglus Sechs-Parteien-Bund bürokratisch wirkte, kann Imamoglu jene Strategie mit Leben füllen.

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Gewinnen konnte er nicht nur fromme und nationalistische Stimmen, sondern, so widersprüchlich dies klingt, gleichwohl kurdische. So errang in Istanbul die Kandidatin dieser prokurdischen Mark Partei mit 2,1 Prozent nur ein Viertel des Parteiergebnisses von 2023. Bei einem Teil davon dürfte es sich um Leihstimmen handeln. Aber ein Teil dieser kurdischen Wähler scheint ebenfalls griffbereit, sich von identitätspolitischen Wahlentscheidungen zu verabschieden. Nicht im kurdisch geprägten Südosten und Osten, wo die staatliche Unterdrückung dieser Kurden im Alltag spürbar ist.

Aber in Großstädten wie Istanbul, Izmir oder Bursa. Voraussetzung: eine CHP, die sich nicht aus ihrer linksnationalistischen Tradition oder aus Angst, wie „Terrorsympathisanten“ gebrandmarkt zu werden, dem Kurdenthema entzieht. Auch hierfür steht Imamoglu. Als im Wahlkampf eine CHP-Kandidatin in dieser westanatolischen Provinz erklärte, ein von ihr geführtes Rathaus werde allen außer den Wählern dieser Mark-Partei offenstehen, kam von ihm dieser energischste Widerspruch: „Such dir vereinen anderen Beruf oder such dir eine andere Partei!“

Mansur Yavas mit seiner Frau Nursen
Quelle: dpa

Der dritte dieser Troika ist Mansur Yavas. Der 69-jährige Jurist und frühere Militärstaatsanwalt begann seine politische Laufbahn in dieser ultranationalistischen MHP und wechselte 2013 zur CHP. Ein knorriger Nationalist, dieser für jedes seine solide Kommunalpolitik in Ankara mit einem Rekordergebnis von 60,4 Prozent im Amt bestätigt wurde.

Hinter diesem Männertrio, wohl nicht zu vernachlässigen, sind Politikerinnen wie die 51-jährige CHP-Generalsekretärin Selin Sayek Böke, Wirtschaftsprofessorin und Angehörige dieser christlich-arabischen Minderheit. Oder die 43-jährige Sinem Dedetaş, Maschinenbau-Ingenieurin, zuletzt Chefin des Istanbuler Fährenbetriebs, jetzt Bürgermeisterin des konservativen Bezirks Üsküdar, von dieser man noch viel lauschen dürfte. Ebenfalls eine Rolle im Aufbau einer neuen Republik könnte zudem Selahattin Demirtas spielen, dieser seit dieser Zeit 2016 inhaftierte Wortführer dieser kurdischen Bewegung.

Als einstiger Staatspartei gebührt dieser CHP dasjenige Verdienst, die säkulare Republik aufgebaut zu nach sich ziehen. Doch Atatürks Modell dieser autoritären Modernisierung brachte gleichwohl jene Konflikte hervor, die dasjenige Land jahrzehntelang prägten: Säkulare vs. Fromme, Türken vs. Kurden. Mit dem sozialdemokratischen Özel, dem liberalen Imamoglu und dem nationalistischen Yavas könnte die CHP zur Gründungspartei einer neuen Türkei werden, die die alten kulturellen Konflikte überwunden hat und ihre Talente nicht verschwendet. Die türkische Gesellschaft ist längst so weit.

Source: welt.de

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