Mythos Wohnungsnot: So viele Wohnungen fehlen weder noch

Wenn von Wohnungsnot oder Wohnungsknappheit die Rede ist, meint das in der Regel, dass aktuell viele Wohnungen fehlen. Aufgrund einer unzureichenden Bautätigkeit in der Vergangenheit hat sich ein „Wohnungsnachholbedarf“ in angespannten Wohnungsmärkten gebildet. Die Schätzungen des Mangels an Wohnungen in Deutschland sind jedoch nicht konsistent und unterscheiden sich immer wieder voneinander.

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) schätzt den jährlichen Neubaubedarf in Deutschland auf 320.000 neue Wohnungen und in Westdeutschland auf gut 250.000 Wohnungen, während das Pestel-Institut von derzeit fehlenden 1,2 Millionen Wohnungen allein in Westdeutschland ausgeht. Gemäß den Ergebnissen des Zensus ist allerdings die Anzahl der verfügbaren Wohnungen in allen deutschen Orten höher als die Anzahl der nachfragenden Haushalte. Besteht überhaupt ein so hoher Bedarf an Wohnraum in Deutschland?

Die Nachfrage nach „nachgeholt“ errichteten Wohnungen könnte potentiell aus unterschiedlichen Quellen resultieren. Eine mögliche Nachfrage könnte von den aktuell wohnungslosen Personen kommen, die über keine eigene Wohnung, jedoch über eine temporäre Unterkunft verfügen. Wohnungslose befinden sich demnach in offiziellen Einrichtungen wie Notunterkünften und Gemeinschaftsunterkünften oder gewerblichen Unterkünften wie Hotels oder gewerblichen Gemeinschaftsunterkünften oder in normalem Wohnraum, sofern diese vorübergehend überlassen werden.

Gemäß der aktuellen Statistik waren zu Beginn des Jahres 2025 insgesamt 474.700 Personen in entsprechenden Einrichtungen untergebracht. Zusätzlich sind etwa 60.400 Personen zu berücksichtigen, die verdeckt bei Freunden oder Angehörigen untergekommen sind. Die Mehrheit sind Personen, die eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, wobei der Großteil von ihnen Geflüchtete aus der Ukraine sind.

Bei der Abschätzung der potentiellen Wohnungsnachfrage ist zum einen zu berücksichtigen, dass sich unter der Gruppe der Nachfrager auch viele Familien mit Kindern befinden. Demzufolge müssten weit weniger Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren führt ein Umzug in eine neue Wohnung zu der Freisetzung anderer Wohnflächen. Zu diesen zählen Flüchtlingsunterkünfte sowie vom Staat angemietete Häuser und Wohnungen. Die Errichtung neuer Wohnungen stellt lediglich einen Ersatz für bestehende Unterkünfte dar, deren Finanzierung weiterhin durch den Staat erfolgt.

Obdachlosigkeit stellt den Extremfall von Wohnungslosigkeit dar, bei dem eine Person über keinen sicheren und dauerhaften Wohnsitz verfügt und in der Folge im öffentlichen Raum oder in Notunterkünften lebt. Gemäß den vorliegenden Daten belief sich die Zahl der Betroffenen zu Beginn des Jahres 2025 auf knapp 50.000 Personen. Die benötigte Anzahl an Wohnungen ist jedoch geringer. Des Weiteren ist festzustellen, dass die Finanzierung der Wohnungen ebenfalls durch den Staat erfolgen muss.

Wohnzimmer auch als Schlafzimmer?

Die Überbelegung von Wohnungen ist ein weiteres Nachfragepotential. Eine Wohnung gilt als überbelegt, wenn die Anzahl der darin lebenden Personen die gemäß der Wohnflächenberechnung erlaubte Höchstzahl überschreitet. Gemäß der EU-Statistik wird eine Wohnung als überbelegt klassifiziert, wenn der Haushalt über eine unzureichende Anzahl an Zimmern im Verhältnis zur Anzahl der Haushaltsmitglieder verfügt. Ein Beispiel hierfür ist, wenn ein Wohnzimmer auch als Schlafraum genutzt wird.

In Deutschland lebten im Jahr 2024 rund 11,5 Prozent der Bevölkerung in einer überbelegten Wohnung. Eine Überbelegung würde enden, wenn Haushalte in eine größere Wohnung ziehen. In der Konsequenz würde dies jedoch lediglich zu einem Umzug und folglich zu einem Leerstand der bisherigen Wohnung führen. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass sich viele Haushalte die größere Wohnung finanziell nicht leisten können.

Aufgrund einer zu geringen Fluktuationsreserve haben Haushalte ihren Umzug in eine neue Wohnung aufgeschoben. Die Haushalte konnten keine neuen, adäquaten Wohnungen finden, weshalb sie in der ursprünglichen Wohnung verblieben. Als Ursachen sind finanzielle Gründe, falsche Größe, Lage oder Ausstattung denkbar. Dies betrifft auch Studierende, die nicht aus ihrem elterlichen Haushalt ausziehen.

Sind einmal Wohnungsdefizite durch zu geringen Neubau entstanden, wird der Mangel nicht vollständig zu einem späteren Zeitpunkt kompensiert. Haushalte passen sich durch eine Reduktion ihres Wohnkonsums oder durch das Ausweichen auf weniger angespannte Wohnungsmärkte wie im Umland an. Es besteht keine Notwendigkeit, sämtliche in der Vergangenheit zu wenig fertiggestellten Wohnungen nachzuholen.

Aufgeschobene Umzüge werden nur zu einem geringen Teil zu einer zusätzlichen Nachfrage führen und damit neue Wohnungen benötigen. Darüber hinaus müssen die neuen Wohnungen erschwinglich sein und entsprechend preiswert gebaut werden. Bei einem Umzug von einer alten in eine neue Wohnung kommt es zu einem Leerstand der alten Wohnung.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass das Nachfragepotential geringer ist als oft angegeben. Die Zahl von einer Million Wohnungen oder mehr, die fehlen würden, liegt viel zu hoch. Der aktu­el­le Wohnungsnachholbedarf in ganz Deutschland wird ungefähr bei 300.000 Wohnungen liegen. Es fehlt immer noch Wohnraum in den Ballungsräumen. Diese Knappheit sorgt für steigende Immobilienpreise und höhere Mieten.

Der Autor des Gastbeitrags leitet das Unternehmen Immobilienresearch Vornholz in Lüdinghausen.

AllenAutorBauBevölkerungDeutschlandEUFamilienFinanzierungGeflüchteteHäuserHaushaltHaushalteHotelsImmobilienpreiseMietenMillionNeuerObdachlosigkeitPersonenpreiswertStatistikUkraineUmzügeUnternehmenWohnungWohnungenWohnungsnot