Myanmar: Seit dem Militärputsch ist dies Land am Limit

Die Dinge fallen auseinander, wenn man es zulässt. Das ethnisch, religiös und ideologisch zersplitterte Myanmar (früher Burma) war nie das Muster einer harmonischen und integrierten Nation. Seit dem Militärputsch von 2021 und dem folgenden Bürgerkrieg sind neue und alte Spaltungen schnell gewachsen. Nachbarstaaten, die eine demokratische Sanierung unterstützen, stehen vor einer drängenden Herausforderung: Es gilt, für Myanmar einen anarchischen Zerfall zu verhindern, der zu destabilisierenden Schockwellen an der Bucht von Bengalen, in Bangladesch, ja, in ganz Südostasien führen könnte. Besonders verheerend wäre eine Implosion aber für die 54 Millionen Einwohner Myanmars selbst. Käme es dazu, würde das separatistischen Kräften anderswo Auftrieb geben. Nicht zuletzt würden Chinas Ansprüche auf regionale Führung Schaden nehmen.

Etwa zwei Drittel des Landes, inklusive diverser Grenzregionen, werden inzwischen nicht mehr von der Junta des Generals Min Aung Hlaing kontrolliert. Eine umfassende Offensive, die Ende 2023 von bewaffneten ethnischen Gruppen aus dem Norden begonnen wurde, erschüttert ein so verzweifeltes wie illegitimes Regime, dessen Macht auf die Hauptstadt Naypyidaw und angrenzende Gebiete beschränkt ist. Mit dem Bürgerkrieg würden „Kriegsverbrechen und eine entsetzliche Brutalität“ um sich greifen, so ein jüngst veröffentlichter UN-Report. Er beschreibt das systematische Töten von Zivilisten, Folter, Vergewaltigung und illegale Festnahmen. Tausende seien gestorben, mehr als drei Millionen vertrieben. Die Schuld würden die Junta-Streitkräfte, aber auch einige der ethnisch geprägten Milizen tragen.

„Operation 1027“

Im August starben bis zu 200 Zivilisten, die vor den Kämpfen im mehrheitlich buddhistischen Bundesstaat Rakhine nach Bangladesch fliehen wollten, bei Drohnen-Angriffen. Die meisten gehörten zur muslimischen Minderheit der Rohingya, die 2016/17 Ziel von Vorstößen der Armee waren. Diesmal handelte es sich um lokale Separatisten der Arakan-Armee, deren tödlicher Hass die Gruppe der Rohingya traf.

„Der Staat Myanmar zersplittert auch deshalb, weil ethnische Gruppen die Kontrolle über ihre Heimatregionen festigen, während sich im Zentrum des Landes ein schwaches Regime an die Macht klammert und aus Vergeltung Luftangriffe auf verlorenes Terrain startet. Ein dadurch beschleunigter Zerfall scheint unvermeidlich“, warnt die unabhängige International Crisis Group (ICG). Auch wenn der um sich schlagende General Min Aung Hlaing bald gestürzt sein könnte, stehe das Regime selbst nicht vor dem Fall, argumentiert die ICG. Dies sei auch darauf zurückzuführen, dass es den vielen ethnischen Milizen an einer glaubwürdigen nationalen Vision fehle. Zugleich seien pro-demokratische Widerstandskräfte – verkörpert durch die föderalistische Schattenregierung der Nationalen Einheit und ihre Volksverteidigungsstreitmacht – ohne die nötige Schlagkraft, um sich durchzusetzen. Auch wenn der Untergang Myanmars als Einheitsstaat nicht unmittelbar bevorsteht, beunruhigt besonders China die Aussicht auf einen endlosen Krieg und stete Instabilität.

Angesichts einer über 2.000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze ist Peking besonders wegen der negativen Folgen für seinen Handel und eine dazu unverzichtbare Infrastruktur besorgt. Gleiches gilt wegen einer unkontrolliert die Grenze überschreitenden Kriminalität. Bei seinem Besuch in Naypyidaw Mitte August sagte Chinas Außenminister Wang Yi, Peking sei „gegen Chaos und Anarchie“. Er forderte die Regierung Myanmars auf, „chinesisches Personal und chinesische Projekte zu schützen“. Nur leider ist China Teil des Problems. Seine Myanmar-Emissäre zeigen bisher wenig Neigung, sich an einer Restauration demokratischer Verhältnisse zu beteiligen und faire Wettbewerbsbedingungen für die Opposition zu schaffen. Eher werden ethnische Verbände dort unterstützt, wo sie Grenzräume beherrschen und chinesische Investitionen sichern.

Radio Free Asia berichtete, chinesische Artillerie habe im August sogar das Feuer auf Junta-Streitkräfte in Myanmar eröffnet, um einen Stützpunkt der Aufständischen zu verteidigen. Es sei nicht das erste Mal gewesen. Im Oktober 2023 bereits soll es eine Offensive unter dem Code „Operation 1027“ gegeben haben, ausgehend von der Three Brotherhood Alliance, einer Koalition nördlicher Milizen, denen pro-chinesische Sympathien nachgesagt werden. Das Unternehmen sei mit chinesischen Sicherheitskräften koordiniert worden, auch wenn Peking die Junta weiterhin mit Waffen beliefere. Im Gegenzug versprach die Allianz den chinesischen Gönnern, gegen milliardenschwere Online-Betrügereien in Myanmar und einen grenzüberschreitenden Menschenhandel vorzugehen. Als die vorrückenden Aufständischen Dutzende von Grenzübergängen besetzt hatten, genehmigte die Junta, erzürnt über die Machenschaften Pekings, Anti-China-Proteste in den ihr verbliebenen Städten. Die chinesische Regierung gab schließlich im Dezember 2023 bekannt, einen Waffenstillstand vermittelt und angeboten zu haben, um Friedensgespräche zu ermöglichen. Aber niemand vertraut mehr irgendjemandem. Im Juni wurden die Kämpfe mit aller Härte wieder aufgenommen.

Es ist anzunehmen, dass die Chinesen sich weiterhin alle Optionen offenhalten und ihre Kontakte mit den Junta-Gegnern ebenso pflegen wie mit der Generalität selbst. „China setzt seine langfristige Strategie der Absicherung fort, was bedeutet, dass es seinen Einfluss auf so viele Fraktionen in Myanmar wie möglich verteilt“, glaubt Hunter Marston, ein in Australien ansässiger Analyst des US-Senders Voice of America. Dieser pragmatische Ansatz des mächtigsten Staates der Region – gepaart mit einer prekären humanitären Lage und dem Fehlen eines erfolgversprechenden Friedensprozesses – lässt darauf schließen, dass sich die Krise in Myanmar mitnichten ihrem Ende nähert.

Um das Schlimmste zu verhindern, argumentiert die International Crisis Group, müssten die Nachbarn aus der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN), dazu Akteure wie Großbritannien als ehemalige Kolonialmacht ihre Zurückhaltung überwinden und direkt „mit subnationalen Einheiten“ verhandeln. Als ethnische Gruppen seien sie längst ein interner Machtfaktor.

Es bleibt ungeachtet dessen riskant, solche Partner, von denen die meisten autoritär organisiert und ausgerichtet sind, indirekt als legitime Herrscher autonomer Gebiete Myanmars anzuerkennen. Es könnte genau das beschleunigen, was zu befürchten ist – einen Abstieg, gepaart mit dem endgültigen Zerfall eines Staates.

Simon Tisdall ist Guardian-Kolumnist

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