„Muttermale“ von Dagmar Leupold: Eine innige Feindschaft

Das Schweigen, das Schweigen. „Vernähte Lippen“. Sprechend allein der Schmuck, den die Mutter zu besonderen Anlässen aus der Schatulle nahm: ein Bernsteinanhänger mit einem Insekt, Wahrzeichen und Verteidigung des verlorenen Landes, Ostpreußen, herznah getragene Heimat und honigfarben schimmerndes Amulett zugleich. Es diente als Schutz gegen „die Zumutungen der Zeitgenossenschaft“, als Beschwörung der vor dem Krieg geborenen und im Herzen verplombten Heimatliebe.

„Du hast dich der Gegenwart, der Zeit deiner Tochter verschlossen“, schreibt Dagmar Leupold Jahrzehnte später in ihrem Buch Muttermale, einer autobiografischen Annäherung, in der sich die 1955 geborene Schriftstellerin in der zweiten Person Singular an die inzwischen verstorbene Mutter wendet. Ein Buch in der Form kleiner Ansprachen und episodenhafter Erinnerungen, in dem die Tochter noch einmal das Wort an die Mutter richtet und – endlich? – ausspricht, was zu deren Lebzeiten nicht gesagt werden durfte.

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