Musik | Kate Bush in „Stranger Things“: So werden Mutti Hits ganz spezifisch neu siegreich

Der Reinhard-Mey-Song „In meinem Garten“ wurde durch die Haftbefehl-Doku zum Hit, Kate Bushs „Running Up That Hill“ bekam durch „Stranger Things“ ihr Revival: Das gezielte Bewerben alter Songs ist zum lukrativen Geschäftsmodell geworden


Kate Bushs „Running Up That Hill“ rettete Max (Sadie Sink) in der Serie „Stranger Things“ sogar das Leben

Foto: Netflix


Ein genialischer Singer-Songwriter feilt wochenlang an seiner Melodie und erreicht damit die Seelen der Menschen: Diese Art, Musik zu machen, ist im Mainstream bestenfalls noch eine Illusion. Hits werden ganz gezielt produziert, denn Erfolg lässt sich bis zu einem gewissen Grade steuern. Das beschreiben The KLF bereits in ihrem Handbuch aus dem Jahr 1988, in dem erklärt wird, wie man einen Nummer-1-Hit lanciert. Das Phänomen Hit ist mit den Jahrzehnten zu einer hoch spezialisierten und einer bis ins Detail analysierten Angelegenheit geworden.

Wie landet man einen Hit? Heute arbeiten ganze Teams an der Produktion des nächsten Bestsellers. Es gibt Menschen in der Musik, die sich ausschließlich um Toplines (früher nannte man das Melodie) oder einzelne Drumsounds kümmern. Alleine die beiden Grammy-Nominierungen für den besten Song 2026, Luther von Kendrick Lamar und APT. von Rosé und Bruno Mars, listen gemeinsam 19 Songwriter:innen auf. Nichts soll mehr dem Zufall überlassen, finanzielle Risiken so niedrig wie möglich gehalten werden.

Den größten Chart-Hit seiner Karriere feiert derzeit Reinhard Mey mit seinem 55 Jahre alten Song In meinem Garten, der durch die gehypte Haftbefehl-Doku auf Netflix zu verspäteten Ehren kommt. Um das Lied von Mey spielt sich eine der Schlüsselszenen des Films ab. Unzählige junge, in diesem Fall oft migrantische Fans, hören hier von dem Liedermacher zum ersten Mal. Ganz zärtlich ist seit diesem mutmaßlichen Überraschungserfolg der öffentliche Austausch zwischen den beiden Musikern. Mey schrieb auf seiner Webseite: „Danke Aykut, für Deine Zuneigung und all das, was gerade daraus in unserem Garten erblüht.“ Man könnte vermuten, jemand hat frische Geldbäume gepflanzt. Mey und Haftbefehl sind beide beim Major Universal unter Vertrag.

Dass alte Popsongs in neuen Kontexten erfolgreich werden, hat Tradition. In den 90ern waren es Hits wie Queens Bohemian Rhapsody in der Komödie Wayne’s World, der dank wilder Rücksitzbank-Choreografie viele neue Fans erreichte. Das Gleiche gilt für die Soundtracks der Tarantino-Filme Pulp Fiction und Jackie Brown. Plötzlich kannten Teenager Dick Dale und Dusty Springfield. Aber auch die TV-Werbung konnte alte Songs reanimieren. I’m Walkin’ von Fats Domino von 1957 wurde dank Aral-Spot wieder populär. Das Gleiche galt für Should I Stay Or Should I Go von The Clash, das von Levi’s benutzt wurde. Für alle Beteiligten ist das oft eine Win-win-Situation. Eine Marke kann durch einen bekannten Song aufgewertet werden, die Rechteinhaber lassen sich das gut honorieren und machen im Idealfall den Hit noch bekannter als zuvor. Und: Es fallen keine Produktionskosten für neue Musik an. Die hat sich bereits bewährt und befindet sich – wie man so schön sagt – auf Halde.

Dank „Stranger Things“ Millionen für Kate Bush

Auch im Sport kommt es bei Fangesängen immer wieder zu Revivals bekannter Songs. Sie bekommen wie im Falle von Seven Nation Army der White Stripes sogar ein derart dynamisches Eigenleben, dass das Original fast völlig in Vergessenheit gerät. Hinzu kommen Social-Media-Trends, die Songs aus dem Archiv wieder in die Rotation bringen. Rasputin von Boney M. chartete 2021 wegen eines Tiktok-Trends. Ebenso wurde Achim Reichel in China und anderen Ländern zum Social-Media-Star – dort ging sein Aloha Heja He von 1991 plötzlich viral.

Sync-Revival, so nennen einige in der Musikbranche das Phänomen, oder auch Needle Drop, kann wirtschaftlich eine große Rolle spielen. Sync bezeichnet die Lizenzierung eines Stücks für Filme, Fernsehen, Radio, Games, Werbung, Kampagnen, Events und vieles mehr. Auch junge Karrieren können durch so eine Platzierung mächtig Fahrt aufnehmen, so wie es bei Feist im Jahr 2007 der Fall war. Ihr Song 1234 wurde für einen iPod-Spot genutzt und machte sie daraufhin international bekannt. Auch José González begann seine Laufbahn mit einem Werbespot für Sony, in dem zu seiner Coverversion von The Knifes Heartbeats Hunderttausende Flummis in Zeitlupe die Straßen San Franciscos runterhüpften.

Einer der größten Needle Drops der vergangenen Jahre war Running Up That Hill von Kate Bush in der TV-Serie Stranger Things. Alleine in dem Monat nach der Erstausstrahlung sollen über zwei Millionen Dollar an Streaming-Tantiemen generiert worden sein. Auch das ein Grund, wieso in den vergangenen Jahren Verlagskataloge großer Artists zu oft dreistelligen Millionenbeträgen veräußert wurden. Neben Majors wie Universal, die Dezember 2020 die Songs von Bob Dylan für rund 300 Millionen Dollar erworben haben, spielen in diesem Markt auch Investment-Firmen wie KKR und Hipgnosis mit. Kostspielige Investitionen, die sich allerdings in zehn bis 20 Jahren durch Sync wieder amortisiert haben können, so Experten, und somit auf langer Bank gutes Geld versprechen.

Syncs sind zentraler Wirtschaftsfaktor für Majors und Indies

„Syncs sind aber auch für Indie-Labels und ihre Acts von großer Bedeutung“, weiß Martin Hossbach zu berichten. Hossbach ist seit 2004 als Music Supervisor tätig und hat bei über 130 Filmprojekten mitgewirkt. Zuletzt bei Mascha Schilinskis Oscar-Kandidat In die Sonne schauen, der Apple-TV+-Serie Krank und Joachim Triers neuem Film Sentimental Value.

„Angenommen, ein Film kostet drei Millionen Euro – das ist die Größenordnung, in der ich mich oft bewege –, dann würde ein Song von beispielsweise Whitney Houston um die 30.000 Euro kosten. Ein Song einer unbekannten Band zwischen 3.000 und 5.000 Euro.“ Das mache es für ihn auch aus ökonomischen Gründen einfacher, sich nicht nur für die großen Namen zu entscheiden, sagt Hossbach. Umgekehrt ist die Zusammenarbeit für die Bands lukrativ. „3.000 Euro verdient man heute mit etwa einer Million Streams auf Spotify, aber das ist für die allermeisten unmöglich zu erreichen.“

Die Budgets für große US-Produktionen sind um ein Vielfaches höher. Währenddessen ist das Sync-Business über die Jahre zu einer großen Industrie in der Industrie geworden. Die Sogkraft alter Songs in neuen Kontexten hat viele Gründe und hat trotz des Kalküls nicht an faszinierenden Momenten eingebüßt. Sie verbindet Generationen, erzählt gute Geschichten neu, zeigt aber auch die nostalgische Sehnsucht nach Zeiten, in denen perfekte Songs von einzelnen Künstlerinnen und Künstlern einfach geschrieben wurden, wie durch ein Wunder gewachsen sind und eben nicht wie in einem Labor von großen Teams entwickelt und getestet wurden. Ebenjene Magie, die Aykut Anhan bei Reinhard Mey so bewegend findet.

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