Russland hat weitreichende Gesetze verabschiedet, um seine Verteidigung im Inland gegen ukrainische Drohnenangriffe und Sabotageakte zu stärken. Dies spiegelt die Erwartung des Kremls wider, dass es sich um einen langwierigen Krieg mit der Ukraine handeln wird.
Fast vier Jahre nach Beginn von Wladimir Putins Krieg in der Ukraine – einer umfassenden Invasion, die seiner Einschätzung nach nur wenige Wochen dauern sollte – wird Moskau fast täglich von ukrainischen Drohnen angegriffen, die Energieanlagen attackieren. Gleichzeitig haben ukrainische Agenten mehrere hochrangige russische Militärangehörige tief im Landesinneren ermordet.
Diese ukrainischen Tiefschläge haben Moskau gezwungen, sich mit Schwachstellen auseinanderzusetzen, die es einst weit außerhalb des Schlachtfelds vermutet hatte.
Um den Schutz kritischer Infrastrukturen zu verstärken, unterzeichnete der russische Präsident Anfang des Monats stillschweigend ein Dekret, das den Einsatz von Reservisten zum Schutz wichtiger Anlagen genehmigt, darunter Raffinerien, die wiederholt von ukrainischen Drohnen angegriffen wurden und zu steigenden Kraftstoffpreisen im Inland beigetragen haben.
Beschränkung von Mobilfunkkommunikation
Die Maßnahme erlaubt es dem Kreml laut Abgeordneten, einen Pool von rund zwei Millionen Menschen zum Schutz von Energieanlagen zu mobilisieren, ohne eine neue Mobilmachung auszurufen – ein Schritt, der sich als äußerst unpopulär erwiesen hat. Diese Reservisten absolvieren jährliche militärische Übungen und erhalten eine geringe monatliche Entschädigung für ihren aktiven Dienst. Bislang wurden sie jedoch nicht in der Ukraine eingesetzt, es sei denn, sie meldeten sich freiwillig.
Die russischen Behörden hatten bereits ein dichtes Netz von Luftverteidigungssystemen um Putins abgeschiedene Residenz Waldai sowie um das elitäre Viertel Rubljowka, in dem viele Politiker leben, errichtet. Es erwies sich jedoch als schwierig, die Hunderte von Ölraffinerien im ganzen Land und andere kriegswichtige Industrieanlagen ausreichend zu schützen.
Neben der Verstärkung des physischen Schutzes wichtiger Anlagen führen die russischen Behörden neue Vorschriften ein, die den Flug ukrainischer Drohnen elektronisch unterbinden sollen.
Seit dem 10. November werden die Verbindungen von Mobilfunknutzern, die aus dem Ausland zurückkehren, automatisch für 24 Stunden gesperrt. Diese sogenannte „Abkühlphase“ der SIM-Karte soll verhindern, dass Drohnen zivile Mobilfunknetze zur Übertragung von Telemetrie-, Video- oder Steuerungssignalen nutzen – eine Taktik, die die Kiewer Streitkräfte in der Vergangenheit bei Tiefschlägen angewendet haben.
Die Einschränkung hat bei aus dem Ausland zurückkehrenden Russen für Verwirrung und Chaos gesorgt. Auch Bewohner der Region Pskow an der Grenze zu Lettland und Estland beschwerten sich, dass ihre Verbindung aufgrund der neuen Sicherheitsbestimmungen fälschlicherweise eingefroren wurde.
Wachsende Sorge vor ukrainischen Drohnen
Die Änderungen spiegeln Russlands wachsende Besorgnis über die Fähigkeit der Ukraine wider, mit Drohnen tief in ihr Territorium einzudringen – eine Sorge, die sich wahrscheinlich noch verstärken wird, da Kiew sich darauf vorbereitet, seine eigenen, im Inland produzierten Langstreckenraketen einzusetzen.
Zusammengenommen stellen die neuen Gesetze auch eine weitere Ebene staatlicher Einmischung in das tägliche Leben der einfachen Russen dar, da der Kreml die Kontrolle verschärft und auf eine stärkere Mobilisierung seiner Bürger drängt. „Russland gewöhnt seine Bevölkerung an ein verlängertes, quasi-militärisches Dasein und drängt sie, sich auf immer größere Opfer einzustellen, je länger der Krieg andauert“, sagte Andrei Kolesnikow, ein unabhängiger politischer Experte aus Moskau.
Trotz der Behauptungen des Kremls, er sei offen für Gespräche über ein Kriegsende, hat Moskau keinerlei Bereitschaft gezeigt, seine weitreichenden Forderungen zurückzuschrauben, und nur wenige Analysten glauben, dass Russland die Kampfhandlungen beenden wird. Russlands stellvertretender Leiter des Sicherheitsrates und ehemaliger Präsident, Dmitri Medwedew, bekräftigte am Montag, der Krieg werde so lange andauern, bis Russland „seine Ziele erreicht“ habe.
Russland bereitet das Land auf weitere Kriegsopfer vor
Im Januar dieses Jahres wird Russlands großangelegter Einmarsch in die Ukraine die Dauer der Kämpfe im Zweiten Weltkrieg überdauern, und Kolesnikow sagte, die russischen Behörden arbeiteten daran, eine Stimmung im Land zu erzeugen, die weitere Opfer für den Krieg rechtfertigen würde.
Er verwies auf eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM – das streng staatlich kontrollierte Institut, das häufig zur Erzeugung eines Konsenses eingesetzt wird –, der zufolge fast 70 % der Russen bereit wären, „den Gürtel enger zu schnallen, um ihr Land zu verteidigen“, falls dies für die Sicherheit des Landes erforderlich sei. Diese Botschaft, so argumentierte er, diene eindeutig dazu, die Gesellschaft auf eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage vorzubereiten, da Russlands Wirtschaft unter den westlichen Sanktionen zu stagnieren beginne.Neben der Forderung nach größeren Opfern von seinen Bürgern setze der Staat auch auf Einschüchterung und psychologischen Druck, um die Kontrolle zu behalten, sagte Kolesnikow.
Moskau hat in den letzten Wochen die Strafen für Sabotageakte innerhalb Russlands drastisch verschärft und Maßnahmen eingeführt, die von lebenslangen Haftstrafen nach Stalin-Vorbild bis hin zur Strafverfolgung von Kindern ab 14 Jahren reichen. Vergangene Woche unterzeichnete Putin ein Gesetz, das lebenslange Haft für jeden vorsieht, der Minderjährige in Sabotageakte verwickelt, und gleichzeitig das Strafmündigkeitsalter für solche Delikte von 18 auf 14 Jahre senkt.
Seit Beginn der umfassenden Invasion Moskaus greift die Ukraine auf verdeckte Guerilla-Taktiken zurück – darunter Sabotageakte, gezielte Attentate und Versuche, Munitionsdepots, Ölpipelines und Eisenbahnstrecken tief im russischen Hinterland zu sprengen. Während ukrainische Beamte sich in der Regel wenig zu Angriffen auf russischem Boden äußern, streuen sie oft Hinweise auf die Verantwortlichkeit.
Der Kreml hingegen beschuldigt Kiew, viele dieser Operationen zu orchestrieren und zu finanzieren, und behauptet, dass dazu auch die Bezahlung russischer Jugendlicher gehöre. Russische Gerichte haben seit Kriegsbeginn mindestens 158 Minderjährige wegen Terrorismus und Sabotage verurteilt. Kirill Kabanov, Mitglied des Präsidialrats für Menschenrechte, verteidigte die Möglichkeit der Inhaftierung von Minderjährigen als „notwendige Maßnahme in der gegenwärtigen Situation, da sich unser Land im Krieg befindet“. „Das ist die Realität, die wir leider akzeptieren müssen“, sagte er.
Übersetzung: Canset İçpınâr