„mixed people“: Schwarz in Österreich, weiß in Nigeria

Schwarz in Österreich, weiß in Nigeria – Seite 1

Mit Zwölf erfuhr ich von meiner besten Freundin: „Du bist Schwarz.“ Diese Nachricht überraschte mich. Schließlich wurde ich im
Haus meiner weißen Großeltern in der Steiermark geboren. Mein
Geburtshelfer war mein eigener Großvater Josef, der mit Kriegsende in russische
Gefangenschaft geriet und meine Schnellgeburt schaukelte, ohne mit der Wimper
zu zucken. Aber scheinbar fanden immer mehr Menschen in meiner Umgebung, dass
es für mich an der Zeit war, die österreichischen Kinderschuhe abzulegen und
eine Schwarze Frau zu werden.

Im Leben jeder multiethnischen Person gibt es einen Zeitpunkt, an dem die Gesellschaft sie
aus der eigenen Farbignoranz wachrüttelt. Als Person mit einem Schwarzen und
einem weißen Elternteil war ich eigentlich früh dran, von der
Mehrheitsgesellschaft in eine neue Schublade gesteckt zu werden. Meghan Markle
brauchte über 30 Jahre, einen Prinzen und die britische Boulevardpresse, um
herauszufinden, dass sie nicht weiß sein durfte. Egal wie alt mixed Personen
sind, wenn sie zum ersten Mal ihre eigene Hautfarbe wahrnehmen, eine Erfahrung
teilen wir: Die Mehrheitsgesellschaft bestimmt, wer wir sind und wie wir uns
identifizieren dürfen. Dabei spielt unser kultureller Hintergrund und die
Sprache, die wir sprechen, in der Regel keine Rolle. Was zählt, ist unser
Aussehen.

Ich wusste eigentlich immer, dass meine Mutter
Österreicherin war und mein Vater Nigerianer. Als Kind betete ich jedem
fremden Menschen meinen Stammbaum vor, der an meinen Haaren zupfte und wissen
wollte, woher ich denn „ursprünglich“ käme.

Dass ich auch „Schwarz“ sei, war aber neu für mich.

In den 2000ern gab es dann schon Repräsentation von
Schwarzen Menschen in den Medien. Ich lernte durch MTV, dass Schwarze angeblich besser tanzen und singen können als Weiße. Also besuchte ich einen Hip-Hop-Kurs und bekam dafür große
Zustimmung in meiner weißen Umgebung. Durch amerikanische Serien lernte
ich auch, dass sich Schwarze Menschen als Brüder und Schwester
bezeichneten. Schwarze Freunde hatte ich zu dieser Zeit keine. Die gab es nicht
in meiner Schule. Auch nicht in meinen Tanzkursen. Da gab es nur weiße Kinder,
die nicht tanzen konnten. Trotzdem erzählte ich meiner weißen besten
Freundin stolz, dass „wir Schwarzen“ uns untereinander grüßten und sie
war ganz neidisch auf das Gemeinschaftsgefühl von Schwarzen Menschen.

Nach und nach
internalisierte ich durch die Medien Stereotype über Schwarze Menschen. Meine weiße
Umgebung fühlte sich wohler damit, dass ich mich nun nicht mehr so sehr
mit meiner weißen, österreichischen Seite identifizierte. Keiner kannte
den Unterschied zwischen afroamerikanischer und nigerianischer Kultur, weshalb
meine racial performance nie hinterfragt wurde. Auch ich war eigentlich
sehr glücklich darüber, jetzt auch Schwarz zu sein und mir die Erfolge von
Martin Luther King bis Barack Obama auf den Hut schreiben zu können. Es ermutigte
mich, in die USA zu reisen, wo es viel mehr Leute wie mich gab. Noch
als Teenager stieg ich das erste Mal in den Flieger nach New York. Dort
angekommen, endete meine Karriere als performative Schwarze schlagartig.

Denn dort erfuhr ich, dass ich eine Latina war. Aus
Brasilien. Oder der Dominikanischen Republik. Gesagt wurde mir das von weißen
Menschen genauso wie von Afroamerikanner:innen. Während mir in Europa
afrikanische und afroamerikanische Stereotype zugeschrieben wurden, sprach man
mich in New York ganz selbstverständlich auf Spanisch an. Diesmal stand ich
der Fremdzuschreibung schon etwas skeptischer gegenüber. Ich war keine Latina,
auch wenn ich angeblich genauso aussah.

Umso länger meine Haare wurden, umso sicherer waren
sich auch die Menschen in Österreich, dass ich eine Latina war. Mit 20 hörte
ich es auch auf Wiener Straßen: „Kuba! Kuba!“, schrie mir ein Mann auf der
Ringstraße nach. Dann am Naschmarkt: „Ah! Du bist Marokkanerin? Nein? Aber
Arabisch schon!“

Ein Dazwischen soll es lieber nicht geben

Als mixed Person sammelt man im Laufe des
Lebens eine Liste von Ethnien, für die man gehalten wird. Wie ein Chamäleon
können wir uns scheinbar an ethnische Gruppen anpassen. Fürs falsche Raten
schämt sich keiner, denn meine Identität darf in der Gesellschaft immer
wieder neu verhandelt werden. Wer ich bin, entscheide nicht ich selbst. Ich
erfahre es immer wieder von Neuem. Mal bin ich Schwarz in Österreich und weiß
in Nigeria, dann wieder eine Latina oder doch arabisch.

Ich habe keine
Lust mehr darauf, mir sagen zu lassen, wer ich bin und woher ich angeblich
komme. Dieses identity policing von multiethnischen Menschen ist eine
rassistische Tradition, die vor nicht allzu langer Zeit in vielen Ländern noch
in Gesetze gegossen wurde. Da gab es die one-drop rule in Amerika, die
bestimmte, dass alle Menschen mit einem Tropfen „schwarzen Blutes“ Schwarz
sind. Das Apartheidsregime, das entschied, dass mixed people weder
Schwarz noch weiß sind. Und da gab es Rassenideologien im
Nationalsozialismus, die Kinder von Schwarzen Besatzungssoldaten, wie man sie aus dem französisch besetzten Rheinland bereits nach dem Ersten Weltkrieg kannte, als eine Gefährdung der vermeintlichen „arischen Rasse“ sahen und „Mischehen“ verboten.

In Deutschland und Österreich wiegt man sich heute in der Zuversicht, den
biologische Rassismus der Nazizeit überwunden zu haben. Unsere Probleme
miteinander, so hört man, sind kultureller Natur. Stimmt das wirklich? Wieso
machen dann Personen multiethnischer Herkunft Rassismuserfahrungen, auch wenn
sie etwa ausschließlich mit ihrem deutschen Elternteil und der deutschen Kultur
aufgewachsen sind und keine andere Sprache als Deutsch sprechen? Wieso stoßen mixed
people
auf Widerstand, wenn sie sich mit dem Herkunftsland identifizieren,
in dem auch schon ihre Großeltern und Urgroßeltern gelebt haben? Wie exklusiv
ist die Mitgliedschaft zu Deutschland und Österreich, wenn Menschen mit
deutscher oder österreichischer Staatsbürgerschaft, einem deutsch klingenden
Nachnamen, einer christlichen Taufe und einer weißen Familie nicht
dazugehören dürfen?

Ich glaube: Unsere Gesellschaft hasst die Vorstellung
von mixed people – Menschen, die sich außerhalb von race-Schubladen
bewegen und sich mit mehr als einer Ethnie identifizieren. Sie hasst es
besonders dann, wenn zwei Kategorien aufeinanderstoßen, die sich doch angeblich
widersprechen: Schwarz und Weiß. Das ist wie Mann und Frau. Homosexuell
und Heterosexuell. Ein Dazwischen soll es lieber nicht geben.

„Wieso nennst du dich mixed? Du siehst Schwarz
aus. Schämst du dich für deine afrikanische Seite?“ Nein, ich schäme mich
nicht. Genauso wenig schäme ich mich für meine weiße Mutter. Mixed
people
haben keine Identitätskrise. Die Gesellschaft hat eine andauernde Krise
mit mixed identity. Aber das ist nicht mehr mein Problem. Ich bin mixed.
Und weiß. Und Schwarz. An manchen Tagen mehr als an anderen. Das ist kein
Widerspruch für mich. Ich bin nicht die Hälfte von etwas, sondern twice as
nice
. Und woher ich ursprünglich komme? Aus Nigeria und Österreich.

Ich hoffe, dass ich möglichst viele Menschen mit meiner Selbstidentifikation
überfordere.

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