Die deutsche Wachstumsschwäche trifft die kleinen und mittelgroßen Unternehmen weit stärker als die Gesamtwirtschaft. Das ist die wichtigste Erkenntnis aus dem neuen Datev-Mittelstandsindex, den die F.A.Z. erstmals veröffentlicht. Die Datenanalyse zeigt, dass der Umsatz der mittelständischen Wirtschaft seit 2023 schrumpft, während der Beschäftigungsaufbau in den kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) zum Stillstand gekommen ist. Im August lag der Umsatz der mittelständischen Wirtschaft danach um deutliche 5 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Die Beschäftigung in den kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) stieg gegenüber dem Vorjahresmonat um 0,2 Prozent.
„Die Schwäche der KMU verfestigt sich“, sagte Robert Mayr, der Vorstandsvorsitzende der Datev eG. Sorge bereite insbesondere die Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe. Mayr schließt mit Verweis auf die hohen Insolvenzzahlen nicht aus, dass der mittelständische Arbeitsmarkt umkippen und es zu Entlassungen kommen könne. „Die kleinen Unternehmen halten so lange, bis es irgendwie geht, an ihren Mitarbeitenden fest, das ist deren wesentliches Betriebskapital. Wenn wir in der deutschen Wirtschaft zu einem Kipppunkt kommen, dann können wir auch nicht mehr so viel machen. Aus meiner Sicht gibt es schon Anzeichen, dass wir an einem solchen angelangt sind.“
Gemessen am nominalen Umsatz verlieren die kleinen und mittleren Unternehmen seit dem Jahr 2023 an Boden, während der Umsatz in der Gesamtwirtschaft weitgehend stagniert. In der Entwicklung von Löhnen und Beschäftigung zeigen sich weniger Unterschiede zwischen den KMU und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das Wachstum der Löhne in den KMU hat sich danach in diesem Jahr auf etwa 4 Prozent abgeschwächt. Die Löhne legen damit aber immer noch schneller zu als die Verbraucherpreise. Während die Beschäftigungsentwicklung im Mittelstand insgesamt stagniert, sinkt die Beschäftigung in den Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu 900.000 Euro.
Datev Mittelstandsindex: Umsatz
„Steigende Personalkosten bei schwacher Umsatzentwicklung prägen die Situation der mittelständischen Wirtschaft“, beschreibt Mayr die Zwickmühle der KMU. Dazu gesellen sich andere Kostenfaktoren, etwa die Energiekosten. „Es gibt Kleinstbetriebe, regionale Bäcker etwa, die ihre vervielfachen Stromkosten nicht an die Endverbraucher weitergeben können“, sagt Mayr. „Die ziehen dann irgendwann die Konsequenz, weil der Markt es nicht mehr trägt.“
Den Datev-Chef treibt um, dass die schwierigeren Bedingungen am Standort Deutschland die mittelständischen Unternehmen besonders hart treffen. „Der Mittelstand ist für mich das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die Unternehmen sind am Standort, sind standorttreu, das sind inhabergeführte Unternehmen, die dort langfristig auch für Wertschöpfung sorgen“, sagt Mayr. „Wenn diese Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage kommen, dann können sie – im Gegensatz zu den Großunternehmen – nicht international diversifizieren. Wenn sie keine Aufträge mehr haben, wenn sie keinen Umsatz mehr machen, dann geben sie auf. Das sehen wir im Augenblick auch schon. Wir sehen einen überdurchschnittlich ausgeprägten Stellenabbau insbesondere bei den Klein- und Kleinstunternehmen.“
Datev Mittelstandsindex: Lohn
Mayr zählt eine lange Liste von negativen Faktoren auf, die das Wirtschaften am Standort Deutschland derzeit erschweren: Fachkräftemangel, schlechte Infrastruktur, hohe Energiekosten, zu wenig Digitalisierung. „Wir haben eine relativ hohe Steuerlast, auch das ist ein Thema im internationalen Vergleich, das den Standort beeinträchtigt“, sagt er. „Man müsste auch das Thema Bürokratie und Bürokratieabbau noch mal stärker in den Fokus nehmen. Die ganzen Berichtspflichten belasten kleine Unternehmen überproportional.“
Die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen zeigen sich vor allem im Gastgewerbe, im Bauhauptgewerbe und im verarbeitenden Gewerbe. Der Umsatz sank nach dem Mittelstandsindex in den vergangenen Monaten in allen Branchen, in diesen drei Branchen aber am stärksten. Auch die Beschäftigung der KMU in diesen Branchen entwickelt sich unterproportional oder schrumpft wie im Bauhauptgewerbe. Regional trifft der Umsatzrückgang im Mittelstand vor allen die Länder Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Im Saarland als einzigem Bundesland stieg der Umsatz der KMU im vergangenen Monat. Beschäftigungsrückgänge zeigt der Mittelstandsindex im Norden und in den östlichen Bundesländern sowie im Südwesten von Rheinland-Pfalz über das Saarland bis nach Baden-Württemberg. In den anderen Bundesländern wächst die Beschäftigung in den KMU noch leicht.
Datev Mittelstandsindex: Beschäftigung
Die schlechte Lage der Gesamtwirtschaft wurde am Montag durch die Vorab-Ergebnisse der Einkaufsmanagerumfragen für September bestätigt. Der Einkaufsmanagerindex von S&P Global für Industrie und Dienstleister in Deutschland sank das vierte Mal nacheinander und lag mit 47,2 Punkten so niedrig wie zuletzt im Februar. Die Industrie befindet sich in einer Rezession, während die Dienstleister kaum noch expandieren. Für die Wirtschaft im Euro-Raum zeigten die Umfragen erst mal seit sieben Monaten wieder eine Schrumpfung. Die Indizes werden von der Hamburg Commercial Bank veröffentlicht.
Der Datev-Mittelstandsindex ist ein neuer Konjunkturindikator für Deutschland, den die F.A.Z. von nun an jeden Monat exklusiv vorab veröffentlichen wird. Die Datev-Genossenschaft in Nürnberg, der IT-Dienstleister für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte, greift dazu in strikt anonymisierter und zusammengefasster Form auf die Umsatzsteuervoranmeldungen der Mandanten ihrer steuerberatenden Mitglieder zurück. Erstmals hebt Datev damit den Datenschatz auf ihren Rechnern für die Erforschung der wirtschaftlichen Entwicklung. In der Aggregation der Daten ergibt sich ein Einblick in die Lage der Unternehmen, der früher als vergleichbare Wirtschaftsindikatoren zur Verfügung steht und der zudem auf kleine und mittelgroße Unternehmen fokussiert.
Datev Mittelstandsindex: Entwicklung nach Branchen
August 2024, Veränderung zum Vorjahresmonat in Prozent
Datev erhellt mit dem Mittelstandsindex einen Wirtschaftsbereich, der in Sonntagsreden oft gefeiert wird, der in der deutschen Konjunkturanalyse aber nur wenig und durch Umfragen erschlossen ist. Die KfW etwa erstellt zusammen mit dem Ifo-Instituts regelmäßig ein Mittelstandsbarometer, das auf den Ifo-Umfragen beruht. Danach hat das mittelständische Geschäftsklima sich im August das vierte Mal nacheinander eingetrübt.
Die Analyse der Datev beruht demgegenüber nicht auf Einschätzungen der Unternehmen, sondern auf den echten Daten für Umsatz, Lohn und Beschäftigung. Der Umsatzindex basiert auf Daten von mehr als eine Million Unternehmen. Die Teilindizes zum Lohn und zur Beschäftigung berücksichtigen die Lohn- und Gehaltsabrechnung von mehr als acht Millionen Arbeitnehmern. Das entspricht 40 Prozent der Unternehmen in Deutschland und etwa 25 Prozent aller abhängig Beschäftigten. Das Interesse in deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten an dem Nürnberger Datenschatz ist groß.
Für die Datev-Genossenschaft ist die Arbeit an dem Mittelstandsindex ein ungewöhnlicher Schritt. „Wenn der steuerberatende Berufsstand schon signalisiert, dass den Mandanten langsam wirklich das Wasser bis zum Hals steht, dann ist es angezeigt, dass man auch aufmerksam macht auf diese Situation“, begründet Datev-Chef Mayr das Engagement der Genossenschaft.
Er erinnert auch daran, dass die Politik während der Corona-Pandemie oft im Blindflug agierte, weil aktuelle Daten über die wirtschaftliche Entwicklung fehlten. „Wir möchten einen Impuls geben im wirtschaftspolitischen Diskurs in Deutschland. Kommen wir weg von den Mutmaßungen und Schätzungen“, sagt Mayr: „ So sieht es wirklich aus. Das hier ist der Blick in den Maschinenraum, das ist die Realität.“