Einigung der Oppositionen, Wahlbeobachtung, ziviler Ungehorsam, Demonstrationen, Blockade der öffentlichen Ordnung, Geld aus den USA und der EU – das ist das Drehbuch für einen „Regime Change“, das nach Serbien bald auch anderswo gilt
„Serbien wird besser werden, wenn wir besser werden!“ – hieß es Anfang Oktober 2000. Ein frommer Wunsch?
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Was durch die völkerrechtswidrigen Bombenangriffe der NATO auf Serbien im Frühjahr 1999 nicht gelingt, kommt nach anhaltenden Protesten und Massendemonstrationen am 5. Oktober 2000 zustande: Slobodan Milošević, der Präsident Restjugoslawiens (Serbien/Montenegro), wird in Belgrad gestürzt. Es sieht aus wie ein spontaner Volksaufstand, ist aber zu erheblichen Teilen ein professionell geplanter „Regime Change“ als Ausweis einer prowestlichen Democracy-Promotion-Politik. Man erkennt das Drehbuch für die „Farbrevolutionen“ kommender Jahre.
Die Wahlen werden zur Chance für „Otpor“
Seit Monaten wird „gotov je!“ (Er ist fertig) zusammen mit der geballten weißen Faust auf schwarzem Grund an Hauswände in Belgrad gesprüht. Man trommelt auf Fässer mit dem Konterfei Miloševićs, es gibt einen Rockmarathon unter dem Motto „Zeit für Freiheit“ und Straßentheater, die den Zerfall Jugoslawiens thematisieren, es wird getanzt zur Musik des Aufruhrs. Den tragen zumeist junge Aktivisten von „Otpor“ (Widerstand), ein 1998 gegen Milošević gegründeter Studentenverband. Protest müsse Spaß machen, jung und effektiv sein, so die Devise von „Otpor“. Das erklärte Ziel, den „Schlächter vom Balkan“ zu stürzen. Mehr als 200.000 Tote haben die 1991 ausgebrochenen Jugoslawien-Kriege in Slowenien, Kroatien, Bosnien und Serbien gekostet.
Aus den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24. September 2000 geht Vojislav Koštunica, der Anführer von DOS, einer Vereinigung aus 18 oppositionellen Parteien, als Sieger hervor. Die Wahlkommission verkündet drei Tage später, ein zweiter Wahlgang sei notwendig, Koštunica habe unter 50 Prozent der Stimmen erhalten. Das nicht anerkannte Votum wird zur Chance für „Otpor“. Darauf haben sich die Aktivisten nicht zuletzt mithilfe der USA und der EU lange vorbereitet. In der Woche nach der Wahl treten in Kolubra, der größten Kohlenzeche Serbiens, Tausende Bergarbeiter, bis dahin getreue Gefolgsleute von Milošević, in den Streik; die im benachbarten Kostlac schließen sich an. Der in die Gegend entsandte General Nebojša Pavković, Oberkommandierender der jugoslawischen Armee, verhandelt, aber er bleibt erfolglos. Die Opposition ruft zum Generalstreik und zu Solidaritätsaktionen, was dazu führt, dass Polizeiketten rings um Kolubra durchbrochen werden.
Am frühen Morgen des 5. Oktober 2000 setzen sich teils mit Steinen, teils mit Gewehren Bewaffnete in mehreren Konvois aus Bussen und Lastwagen Richtung Belgrad in Bewegung. Mit Bulldozern und Baggern werden Polizeisperren durchbrochen. In der Hauptstadt drängen Demonstranten ins Parlament, Fensterscheiben klirren, Vorhänge brennen. Noch setzen die Sicherheitskräfte Tränengas ein, doch erste Polizei- und Anti-Terror-Einheiten werfen ihre Schlagstöcke weg und ziehen sich zurück. Schließlich erklärt das Verfassungsgericht die Wahl vom 24. September für null und nichtig. „Guten Abend, befreites Serbien“, ruft Oppositionsführer Koštunica der jubelnden Menge vor dem Belgrader Rathaus zu. Am Tag darauf sieht Milošević ein, dass er abtreten muss.
Schewardnadse hat in Georgien ausgedient
Das Muster dieses Regimewechsels soll Schule machen. Auf den Milošević-Sturz folgt drei Jahre später der von Eduard Schewardnadse, den die „Rosenrevolution“ in Georgien zu Fall bringt. Nachfolger Michail Saakaschwili will das Land in die NATO und die EU führen. Ende 2004 bringt die „Orange Revolution“ in Kiew den prowestlichen Viktor Juschtschenko an die Macht. Im Februar 2005 fordern eine Million Menschen in Beirut auf dem „Marsch der Freiheit“ das Ende der syrischen Besatzung und einen demokratischen Libanon. Acht Wochen später ist der letzte syrische Soldat abgezogen. Die „Zedern-Revolution“ hat erreicht, was sie wollte. Eine „Tulpen-Revolution“ zwingt im März 2005 den autoritär herrschenden Präsidenten Askar Akajew in Kirgisistan zur Demission.
Fünf Regimewechsel durch „Farbrevolutionen“ innerhalb von viereinhalb Jahren. Zumeist sind Jugendbewegungen dafür ausschlaggebend – „Otpor“ in Serbien, „Khmara“ (Es reicht!) in Georgien, „Pora“ (Es ist an der Zeit) in der Ukraine und „Pulse of freedom“ (Puls der Freiheit) im Libanon. In Ägypten formiert sich gegen Ende des Jahrzehnts ziviler Ungehorsam gegen die Diktatur von Staatschef Hosni Mubarak und wird zum Vorläufer der Facebook-Gruppe „Bewegung des 6. April“, die 2011 während des „Arabischen Frühlings“ Mubarak stürzen hilft.
„Internationale des Diktatoren-Sturzes“
Die Bewegungen vorzugsweise mittelständischer Jugendlicher richten sich gegen staatliche Bevormundung. Der Zorn über Wahlfälschungen führt zur Forderung nach fairen Wahlen und demokratischen Verhältnissen. In ihrem Ziel, prowestliche Regierungen an die Macht zu bringen, finden sie in den USA wie in der EU Unterstützung. „Farbrevolutionäre“ sind in der Regel selbstbewusste, nationale Demokraten, international gut vernetzt und sprechen fließend Englisch. Sie sind medienbewusst, weil sie wissen, ihre Ziel erreichen sie nur durch mediale Präsenz weltweit. Sie sind marketingbewusst und wissen sich aus den üppigen finanziellen Budgets für Demokratieförderung westlicher Stiftungen zu bedienen. Und sie sind eines ganz gewiss nicht: antikapitalistisch.
Thomas Carothers von der US-Stiftung Carnegie Endowment for International Peace fragt in einem Artikel vom Mai 2001: „Haben die USA und ihre europäischen Alliierten nun eine verlässliche Methode gefunden, unliebsame Herrscher loszuwerden?“ Diese „Methode“ hat viel zu tun mit einer jungen „Internationale des Diktatoren-Sturzes“, die im auslaufenden 20. Jahrhundert ihre Vorläufer hat, sei es in Chile zur Überwindung des Pinochet-Regimes, 1997 in Bulgarien, 1998 in der Slowakei oder 1999 in Kroatien. Auch wenn es die „Internationale des Diktatorensturzes“ nicht gern hört, am Anfang jeder „Farbrevolution“ steht immer eine machtpolitische Entscheidung, die westlichem Kalkül genügt. Erfolgreiche „Farbrevolutionen“ gibt es nur dann, wenn sie auch vom Weißen Haus unterstützt werden.
Dort entschied man sich nach der Bombardierung Serbiens durch die NATO im Frühjahr 1999 mehr denn je für einen „Regime Change“. Beim Treffen von US-Außenministerin Madeleine Albright mit der zerstrittenen serbischen Opposition am Rande des G8-Gipfels in Köln wurde diese zur Einheit ermahnt und Vojislav Koštunica zum Kandidaten für die Präsidentschaft erkoren, während der US-Kongress 45 Millionen Dollar für einen friedlichen Wandel in Serbien bewilligte. Hinzu kamen laut Thomas Carothers Gelder privater und staatlicher Stiftungen in einer Höhe von gut 80 Millionen Dollar. Die US-Hilfe für „Otpor“ lag bei mindestens 1,5 Millionen Dollar. Wie viel die Opposition von anderen externen Gebern bekam, darüber wollten die serbischen Aktivisten nicht reden. Längst war Democracy Promotion zu einer regelrechten Industrie Hunderter, größtenteils privater Stiftungen geworden, die global agierten und deren Jahresbudget auf gut zwei Milliarden Dollar geschätzt wurde.
Ronald Reagans Vermächtnis
Dabei ähnelten sich die Szenarien: Vor einer Wahl wurde eine zersplitterte Opposition geeint, dazu der gewaltlose Kampf auf der Straße trainiert. „Die Parteistiftungen von Demokraten und Republikanern unterwiesen gut 5.000 Parteiaktivisten in Wahlkampfführung und trainierten mehr als 10.000 Wahlbeobachter. Hunderte serbische Nichtregierungsorganisationen wurden finanziell unterstützt“, heißt es in Carothers’ Bericht über das Vorspiel zum Miloševic-Sturz. Dabei verfügt der „Strategic Nonviolent Struggle“, als takischer Ansatz aller Farbrevolutionen, über eine gut dokumentierte Geschichte.
Unter der Überschrift Promoting Democracy and Peace hatte US-Präsident Ronald Reagan in seiner Westminster-Rede am 8. Juni 1982 in London erklärt: „Wir müssen standhaft sein in unserer Überzeugung, dass Freiheit nicht nur das Vorrecht einiger weniger Glücklicher ist, sondern ein unveräußerliches und universelles Recht aller Menschen. (…) Was ich beabsichtige, lässt sich in einfachen Worten sagen: Wir müssen die Infrastruktur der Demokratie fördern, die freie Presse, Gewerkschaften, politische Parteien, Universitäten, damit die Menschen ihren Weg frei wählen können.“ Das sei kein „kultureller Imperialismus“. Es gehe vielmehr darum, die Mittel für Selbstbestimmung und den Schutz von Vielfalt bereitzustellen. Reagans Rede wurde zur Geburtsstunde von Demokratieförderung auf amerikanisch. Reagan, der von der Sowjetunion als dem „Reich des Bösen“ sprach, löste damit in den 1980er Jahren einen wahren Gründungsboom bei Organisationen für Demokratieförderung aus.