Milliardenschwere Übernehmen: Kunststoffkonzern Covestro öffnet Adnoc die Bücher

Gut ein Jahr nach dem ersten Herantasten aus Abu Dhabi treten der Leverkusener Kunst­stoffhersteller Covestro und der staatliche Ölkonzern des arabischen Landes, Adnoc, in konkrete Verhandlungen ein. Der Vorstand habe am Montag gemeinsam mit dem Aufsichtsrat beschlossen, Adnoc einen vertieften Einblick in die Bücher zu geben. Die sogenannte Confirmatory Due Diligence gibt in Verkaufsgesprächen dem Interessenten die Möglichkeit, sich das Übernahmeziel genau anzuschauen, um sich und seine Anteilseigner vor Überraschungen zu schützen.

„Wir haben in unseren Gesprächen mit Adnoc gute Fortschritte erzielt“, ließ sich Markus Steilemann, der Vorstandsvorsitzende von Covestro, zitieren: „Daher haben wir beschlossen, in konkrete Transaktionsverhandlungen mit Adnoc einzutreten.“ So habe der Ölkonzern einen Preis von 62 Euro je Aktie in Aussicht gestellt, vorbehaltlich der Ergebnisse der Bücherprüfung. Damit wird der Dax-Konzern mit gut 11,7 Milliarden Euro bewertet. Derzeit bestehe aber keine Gewissheit darüber, ob es am Ende tatsächlich zu einer Vereinbarung komme.

An der Börse stieg der Covestro-Kurs am Montag zunächst um mehr als 5 Prozent und lag damit an der Spitze des Dax. Mit einem Preis von etwa 54 Euro liegt das Papier aber noch weit vom Übernahmeangebot entfernt. Im vergangenen Jahr hatte es immer wieder Kursausschläge nach oben gegeben, wenn Informationen zu möglichen Gesprächen zwischen Adnoc und Covestro im Markt durchgesickert waren.

Eine erste Kontaktaufnahme hatte es im Juni 2023 gegeben, damals war noch von einem Preis von 55 Euro je Aktie die Rede. Anfang September des vergangenen Jahres hatte der Covestro-Vorstand erstmals mitgeteilt, „er­gebnisoffene Gespräche“ mit Adnoc zu führen. In der Annäherung soll der Ölkonzern auch Zugeständnisse für Ar­beits­platzgarantien über mehrere Jahre sowie Investitionen für etwa 8 Milliarden Dollar angeboten haben.

„Ein gemeinsames Grundverständnis“

Nun teilte Covestro mit, dass die bisherigen Gespräche aus Sicht des Vorstands „ein gemeinsames Grundverständnis“ mit Adnoc gezeigt hätten über „wesentliche Kernthemen einer möglichen Transaktion“. Dabei gehe es auch darum, dass der Ölkonzern die Wachstumsstrategie von Covestro unterstütze.

Der Dax-Konzern, dessen Produkte heute noch zu mehr als 90 Prozent auf Öl basieren, richtet sich auf Kreislaufwirtschaft aus und hat einen ambitionierten Klimaplan. Gleichzeitig gibt es heute noch wenig Bereitschaft der Kunden aus der Automobilbranche, dem Bau oder auch der Möbelindustrie, einen deutlichen Aufpreis für Produkte zu zahlen, die auf pflanzlichen Inhaltsstoffen basieren.

Für Adnoc wäre die Übernahme des deutschen Dax-Konzerns finanziell ein Klacks, das Unternehmen fördert praktisch das gesamte Öl für die Vereinigten Arabischen Emirate. Der Konzern möchte zudem 150 Milliarden Dollar investieren, um das Unternehmen auf neue Energien, kohlenstoffarme Brennstoffe, Flüssigerdgas und Chemikalien auszurichten.

Der Adnoc-Vorstandsvorsitzende und gleichzeitig amtierende Industrieminister Abu Dhabis, Sultan al-Dschaber, war auch Vorsitzender der 28. UN-Klimakonferenz (COP 28), die im Herbst in Dubai stattgefunden hatte. In die Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens würden chemische Anwendungen wie Kunststoffe gut hineinpassen, zumal Covestro bei Polycarbonaten und in den Vorprodukten wie TDI und MDI starke globale Wettbewerbspositionen hat.

Adnoc ist in Europa schon präsent

In Europa ist Adnoc auch in Österreich investiert. So hält der Konzern ein Viertel der Anteile an dem Kunststoffhersteller Borealis und betreibt mit ihm schon länger ein Gemeinschaftsunternehmen. An Borealis wiederum besitzt der größte österreichische Ölkonzern OMV die Mehrheit – und an OMV selbst ist Adnoc mit 24,9 Prozent beteiligt.

Erst Anfang Juni hat der Aufsichtsrat, dem Abu Dhabis Kronprinz, Scheich Khaled bin Mohamed bin Zayed Al Nahyan, vorsitzt, für eine Flüssiggasanlage in Abu Dhabi eine Investition in Höhe von 5,5 Milliarden Dollar freigegeben – das dort produzierte LNG soll in den Nahen Osten und nach Nordamerika exportiert werden.

Covestro wiederum leidet wie viele andere deutsche Chemiekonzerne unter den angespannten Standortbedingungen in Deutschland aufgrund der hohen En­er­giepreise. Auch die Bürokratie prangert Covestro-Chef Steilemann regelmäßig an. Diese hemme die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.

Steilemann ist derzeit auch Vorsitzender des Chemieverbandes VCI und spricht daher häufig für die gesamte Branche. Zuletzt hatte Covestro von einer wieder anziehenden Nachfrage berichtet, bleibt aber noch verhalten im Ausblick. Im vergangenen Geschäftsjahr hatte der Kunststoffkonzern mit seinen rund 17.500 Mitarbeitern einen Umsatz von 14,4 Milliarden Euro er­zielt. Die 7000 Beschäftigten in Deutsch­land sind aktuell bis Ende 2028 vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Seinen für Donnerstag geplanten Kapitalmarkttag hat Covestro verschoben.

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