Deutschland rüstet auf. Doch der Widerstand von SPD und Grünen gegen den Zwang zum Dienst an der Waffe steht im Widerspruch zu ihrem Kriegskurs
„Es ist an der Zeit, die Frage zu stellen: Was kannst du für dein Land tun?“ So jedenfalls sah das Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen in Bayern
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Es geht voran mit der Kriegstüchtigkeit. 19 Prozent mehr Anmeldungen für den freiwilligen Wehrdienst hat die Bundeswehr zuletzt im Vergleich zum Vorjahr registriert. Die Zielmarke von 15.000 neuen jungen Menschen an der Waffe für 2025 war mit rund 13.000 schon im August in Reichweite.
„Es ist an der Zeit, die Frage zu stellen: Was kannst du für dein Land tun?“, proklamierte die Fraktionschefin der Grünen in Bayern, Katharina Schulze, im März. Eine steigende Zahl von Bürgern gibt jetzt die Antwort, die die Apologeten der Kriegstüchtigkeit erhoffen. Für deren Ziel aber reicht die Bundeswehr-Begeisterung noch lange nicht aus. Das Ziel ist die Fähigkeit zur Kriegsführung mit Russland.
Auf 460.000 Kräfte soll die Bundeswehr anwachsen, darunter 200.000 Reservisten. Die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten soll von 180.000 auf 260.000 steigen. Wer den vorgesehenen neuen freiwilligen Wehrdienst leistet, tut dies fortan als Soldat auf Zeit, was finanziell lukrativer ist. Doch die genannten Zahlen gelten militärintern als viel zu niedrig.
Allein das Heer müsse von 62.000 auf 150.000 Soldaten wachsen, hat dessen Inspekteur zuletzt vorgerechnet. Nur so könnten die neuen Verpflichtungen in der NATO erfüllt und ausreichend „Reserven für einen drohenden Abnutzungskrieg“ gesichert werden, wie der Spiegel berichtete. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagt: „Ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben.“ Es bleibt auch so nicht bei Freiwilligkeit. Von Mitte 2027 an muss wieder jeder zur Musterung.
Zwang zum Kriegsdienst in der Ukraine
Merz macht sich damit ehrlich – im Gegensatz zu Sozialdemokraten und Grünen, bei denen die Forderung der Fraktionsvorsitzenden Schulze in Bayern nach einem Pflicht-„Freiheitsdienst“ die Ausnahme ist. Bundestags-Fraktionschefin Britta Haßelmann etwa sagt: „Wir halten Zwang und Verpflichtung grundsätzlich nicht für den richtigen Weg.“ Diesen Grundsatz sollte die Grüne einmal in der Ukraine vortragen.
„Busification“ hat das Myslovo Dictionary of Modern Ukrainian Language and Slang zum Wort des Jahres 2024 gekürt. Es bedeutet, dass Rekrutierungskommandos junge Männer von der Straße weg in Minibusse prügeln, um sie in Kasernen und an die Front zu zwingen. Der Widerstand gegen „Zwang und Verpflichtung“ zum Kriegsdienst ist groß, es kommt immer wieder zu Attacken auf Rekrutierungskommandos. Millionen Männer verweigern die vorgeschriebene Aktualisierung ihrer Daten in einer App, viele verstecken sich. Zuletzt gab es vermehrt Berichte über Selbstmorde junger Männer, die der Mobilisierung nicht entkommen waren.
Doch der Krieg soll, auch auf Zuruf aus Europa, weitergehen. Die Mobilisierung wird die ukrainische Regierung drastisch intensiveren müssen, will sie der zuletzt ausgegebenen Devise von US-Präsident Donald Trump folgen, das von Russland besetzte Territorium und mehr zurückzuerobern. Neue Offensiven aber würden Militärexperten zufolge Hunderttausende frische Kräfte erfordern.
Wehrpflicht zumindest in der Theorie gerecht
Das ist die blutige Realität des Krieges, die die rot-grüne Rhetorik als Doppelmoral enttarnt: Beide Parteien diskreditieren Diplomatie, Pragmatismus und Pazifismus, stehen für grenzenlose Aufrüstung, mehr Soldaten und Kriegstüchtigkeit. Hand an die Waffe aber sollen Ukrainer und deutsche Freiwillige legen. Die eigenen Kinder und Enkel bleiben bitte schön verschont. „Mein Goldjunge soll nicht für dieses Land sterben“, ist ein Text in der Zeit betitelt, dessen Autorin sich im Milieu „urbane Mittelschicht westdeutscher Prägung, mehrheitlich linksgrüne Positionen“ verortet und die „Zeitenwende“ befürwortet.
Dabei ist die Wehrpflicht in einer falschen Welt voller Waffen und Soldaten noch das am wenigsten falsche Modell, sondern zumindest in der Theorie gerecht: Die Pflicht, sich zum Töten ausbilden zu lassen, trifft zunächst jeden Staatsbürger, ohne Ansehen von Klasse oder Weltanschauung. Nicht nur denen, die aus Armut und Perspektivlosigkeit zum Militär gedrängt – und hierzulande bald mit einem üppigen Zuschuss zu den Führerscheinkosten gelockt werden, bleibt der Dienst an der Waffe vorbehalten; auch nicht allein denen, die ein Faible für das Militärische haben. Jahr für Jahr strömt im Idealfall näherungsweise ein Durchschnitt der Bevölkerung ins Militär. Die Wehrpflicht und das Konzept vom „Staatsbürger in Uniform“ samt politischer Bildung in den Kasernen soll auch einem abgekapselten Soldatenstaat im Staate vorbeugen.
In der Praxis war die angestrebte Wehrgerechtigkeit auch mit der Wehrpflicht nie erreicht. Sie hat nicht verhindert, dass etwa 2010, zu Zeiten des Afghanistan-Krieges, 49,2 Prozent der Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz ostdeutscher Herkunft waren, bei einem Bevölkerungsanteil von weniger als 20 Prozent und einer dortigen Arbeitslosenquote von damals mehr als zwölf Prozent. Auch die Geschlechterungerechtigkeit wird die Merz-Regierung nicht beheben, kehrt sie zur Wehrpflicht zurück: Um Frauen zu verpflichten, bräuchte sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament.
Ein demokratisches Militär ist besser als eine reine Berufsarmee. Am besten wäre gar kein Militär. Aber das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung steht ja auch nicht zur Disposition, anders als in der Ukraine. Jeder Mann kann sich entscheiden.