Nancy Faeser will sie unbedingt, die Aufmerksamkeit der Fotografen: Zur Präsentation der migrationspolitischen Bilanz der Ampelkoalition hält die SPD-Bundesinnenministerin mehrere Pappschilder in die Höhe, darauf Balkendiagramme, die verdeutlichen sollen, was sie zuvor bereits in Zahlen erläutert hatte: Man habe illegale Migration reduziert, die Schleuser zurückgedrängt, Migranten ohne Bleiberecht abgeschoben. Die Kameras klicken.
Faesers Kampf um die Bilder hat einen Grund: Die amtierende Ampelkoalition ist in Kürze Geschichte – und damit auch sie. Faesers Amt wird in der absehbaren Koalition an die Union gehen, höchstwahrscheinlich an die CSU – die Partei ihres Amtsvorgängers Horst Seehofer. Doch die SPD-Politikerin will nicht als Verliererin ausscheiden und nutzt die letzte Chance, ihre Migrationspolitik noch einmal richtig selbst zu loben. Das Timing dafür wird kein Zufall sein: Die Koalitionsverhandlungen von Schwarz-Rot befinden sich in der kritischen Endphase. Während die Spitzengruppen von CDU, CSU und SPD hinter verschlossener Tür über das Zurückweisen von Migranten an der Grenze streiten, grätscht die Noch-Innenministerin mit einer selbst erstellten Bilanz ihrer Migrationspolitik herein und sendet das Zeichen: Seht her, auch ohne radikales Verschärfen haben wir die Flüchtlingszahlen gesenkt. Auch ohne den Bruch europäischen Rechts zu riskieren, haben wir Migranten abgeschoben.
Die sinkenden Asylbewerberzahlen sind nicht nur Faesers Verdienst
Was Faeser an Zahlen präsentiert, ist im Groben bereits bekannt: Sie lobt zunächst, dass Deutschland immer mehr Fachkräfte anwerbe: 77 Prozent mehr Arbeitsvisa habe die Bundesrepublik in den vergangenen vier Jahren ausgestellt. Die Zahl der Asylantragsteller hingegen habe sich im Jahresvergleich fast halbiert, führt Faeser aus. 49.000 Menschen wurden zwischen 2022 und 2024 abgeschoben, zuletzt waren das damit 88 Prozent mehr Abschiebungen als im Jahr von Faesers Amtsantritt. Und 2025 gab es bisher ein Drittel mehr Abschiebungen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Seit Beginn der neuen Grenzkontrollen ab 2023 hat die Bundespolizei 2.000 Schleuser festgenommen und 50.000 Menschen zurückgewiesen. Und da sind die 1,2 Millionen ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die Deutschland bewältigt hat.
Ist doch alles nicht so schlecht – so lässt sich Faesers Botschaft zusammenfassen. Was sie präsentiert, hat die Ampel in mühevoller Kleinarbeit durchgesetzt – unter dem Druck fallender Zustimmungswerte der Koalition und steigenden Wählerzulaufs zur AfD, angesichts wachsender gesellschaftlicher Spannungen und gegen den schwindenden Widerstand der Grünen. Da sind die Grenzkontrollen, die seit Oktober rund um Deutschland stattfinden, vorerst befristet bis August. Die Ampelkoalition hat außerdem die Zugriffsrechte der Polizei bei Abschiebungen erweitert und die Abschiebehaft auf 28 Tage verlängert, um abgelehnte Migranten leichter ausfliegen zu können. Sie hat der Bundespolizei jährlich 1.000 neue Stellen zugesichert, auch das Bundesamt für Migration (Bamf) mit mehr Personal versorgt und seine Arbeit digitaler gemacht. Und sie versucht, Deutschland als Migrationsziel weniger attraktiv zu machen: Ankommenden, die schon anderswo in der EU asylsuchend registriert sind, verweigert Deutschland neuerdings die Sozialleistungen.
Dass die Zahlen sinken, ist jedoch keinesfalls allein Faesers Verdienst: Vor allem die Sperrzäune in Osteuropa dämmen den Zustrom ein. Mit Serbien hat Faeser zumindest selbst darüber verhandelt. Und für die vollumfänglichen Grenzkontrollen in Deutschland brauchte Faeser Jahre: Erst im September 2024 bezog sie auch die Übergänge nach Polen und Tschechien ein. Auch sind die Kontrollen löchrig – mancherorts ist an Übergangsstraßen keine Spur von der Polizei zu sehen. Rücknahmeabkommen mit Herkunftsstaaten kündigt Faeser seit Jahren an, der Bund setzte dafür sogar einen Beauftragten ein. Bisher sind nur sechs solche Verträge zustande gekommen, mit Indien, Georgien, Marokko, Kolumbien, Moldau und Kenia.
Wie steht sie dazu, dass Tausende Abschiebungen daran scheitern, dass die Polizei die Migranten nicht zu Hause oder im Flüchtlingsheim antrifft? Oder dass vorwiegend teils integrierte Menschen abgeschoben werden, die die Polizei leichter aufgreifen kann, weil sie die Schule besuchen oder bei der Arbeit sind? Das fragen die Journalisten Faeser, aber ihre Antworten dazu bleiben hier allgemein.