Mietwucher: Wie dieser Staat Bürgergeldempfänger zur Kasse bittet

Für überhöhte Mieten müssen Wohnkonzerne zur Rechenschaft gezogen werden, die Profit aus der Verzweiflung anderer schlagen. Nochmal: Für überhöhte Mieten müssen Wohnkonzerne zur Rechenschaft gezogen werden, die Profit aus der Verzweiflung anderer schlagen. Ja, dieser Satz muss unbedingt wiederholt werden, genauso wie: Bürgergeld-Beziehende sind nicht diejenigen, die für Mietwucher zahlen können.

Worum es geht, fragen Sie? Um den Quadratmeterdeckel. Ein Bürokratie-Terminus, bei dem man am liebsten weghört, der aber hochbrisant ist für Menschen im Bürgergeld, für Aufstockende, Wohngeld-Empfänger*innen – also sehr viele Leute in Deutschland. Es geht darum, dass bald Bürgergeld-Beziehenden Geld aus der Tasche gezogen wird, und zwar von Immobilienkonzernen, die das Geld nun wirklich nicht brauchen.

Die von der Bundesregierung geplante Regelung ist recht einfach: Die Kommunen sollen für Wohnungen einen Maximalpreis pro Quadratmeter festlegen, bei dem sie die Übernahme der Wohnkosten für angemessen halten. Bisher bezieht sich der festgelegte Maximalpreis auf die Gesamtgröße der Wohnungen. Um Wuchermieten entgegenzuwirken, soll dieser Maximalpreis jetzt nicht mehr nur bezogen auf die Wohnungs- und Haushaltsgröße gelten, sondern eben auch auf den Quadratmeter.

Nachvollziehbar, oder? Ja, der Gedanke ist erstmal gar nicht so fernliegend. Warum sollten klamme Kommunen unangemessen viel (öffentliches!) Geld an Wohnkonzerne zahlen? Klar ist aber jetzt schon, dass es vor allem den Betroffenen zum Verhängnis wird. Nicht den Vermietern.

Einfach den Vermieter anrufen: „Könnte ich netterweise weniger Miete zahlen?“

Denn was, wenn der Quadratmeterdeckel bei einer Bürgergeld-Beziehenden überschritten wird? Das fragte Ippen Media die Bundesagentur für Arbeit. Die Antwort: Das Jobcenter soll ein Kostensenkungsverfaren einleiten. Heißt: Die Betroffenen werden zuerst aufgefordert, die Mietkosten zu senken. Moment – hat das schonmal jemand gemacht, einfach den Vermieter angerufen und gefragt, ob man netterweise weniger zahlen könnte? Und der dann so ganz beiläufig: „Klar, zahlen Sie einfach, was Ihnen passt!“ Nein? Nein.

Wird sicher auch bei den Bürgergeld- oder Wohngeldbeziehenden nicht klappen, die vom Quadratmeterdeckel betroffen sein werden. Die Konsequenz wird sein, dass sie die entstehende Differenz aus ihrem viel zu kleinen Regelsatz selbst zahlen. Ein Umzug ist für die meisten keine realistische Option, denn, Überraschung: Es herrscht in sehr vielen Städten Wohnraummangel, wissen wir alle.

Schauen wir uns als Beispiel eine sogenannte „Schrottimmobilie“ in Göttingen an, von der der NDR berichtet hat. Der Quadratmeterpreis liegt bei 17,50 und somit bei fast doppelt so viel wie in vergleichbaren Wohnungen in Göttingen üblich. Die Vermieter behaupten sogar, die hohen Mieten seien notwendig, weil die Klientel besonders hohe Kosten verursache, etwa für Müllentsorgung und Schädlingsbekämpfung. Dass beide genannten Punkte Betriebskosten sind und nicht zur Kaltmiete gehören, war für sie offenbar eine zu vernachlässigende Feinheit. Aber dummdreist kommt weiter.

334.000 Bürgergeld-Haushalte zahlen jetzt schon 116 Euro Miete drauf

Der Zustand in den Wohnungen und damit für die Betroffenen werde immer schlimmer, während die Leute, denen das gehört, immer reicher werden, so der Göttinger Anwalt Sven Adam in dem NDR-Bericht. Die Eigentümer der Immobilie vermieten systematisch an Sozialleistungsbeziehende und ziehen dem Staat damit für sehr kleine Wohnungen mit erheblichen Mängeln Mieten aus der Tasche, die insgesamt noch als angemessen gelten. Das soll in Zukunft also verhindert werden und wird auch Wohnungen betreffen, in denen die Menschen bereits leben.

Es muss doch wirklich allen auffallen, die sich nicht gerade Augen, Mund und Ohren zuhalten, dass die Stoßrichtung perfide und fehlgeleitet ist. Statt arme Menschen zu drangsalieren, muss endlich denen das Handwerk gelegt werden, die mit Wohnraum zocken! Das bedeutet, dass ein Quadratmeterdeckel in die Richtung zielen muss, Vermieter zur Rechenschaft zu ziehen. Der Quadratmeterdeckel trifft in seiner geplanten Form die Falschen, nämlich Mieter*innen in Not. Damit werden die Opfer bestraft, statt die Täter.

Denn das Problem ist groß: Stand heute zahlen bereits 334.000 Haushalte aus ihrem Regelsatz im Schnitt 116 Euro pro Monat zur Miete dazu und leben damit dauerhaft unterhalb des Existenzminimums. Diese Anzahl wird sich mit dem neuen Quadratmeterdeckel erhöhen. Denn ja, diese Praxis, teilweise Wuchermieten für noch dazu extrem heruntergekommenen Wohnraum von Bürgergeldbeziehenden zu verlangen, gibt es laut dem Mieterbund in jeder Stadt, die Wohnraummangel hat. Zwar ist das Problem kein flächendeckendes, aber dennoch werden davon einige Menschen, die eh schon nix haben, empfindlich getroffen werden.

Lösung gegen Mietwucher: Wohnkonzerne Enteignen!

Der Göttinger Anwalt Sven Adam führt aus, dass es sehr wohl Möglichkeiten gebe, gegen solche Vermieter vorzugehen: Es ist beispielsweise möglich, im Gemeinwohlinteresse zu enteignen. (Hat sie „Enteignen” geschrieben!!?? Ja, das steht so in unserem Grundgesetz.) Dieser Vorschlag wird von der NDR-Redaktion als „drastisch“ eingeordnet, der angeblich nur im Einzelfall helfen könne. Wir halten fest: Vermieter zu enteignen, die sich auf dem Rücken der Ärmsten an der Allgemeinheit bereichern, ist drastisch. Bürgergeld-Beziehende die horrenden Mieten selbst teilweise aus ihrem Regelsatz zahlen zu lassen, das ist natürlich ganz normal.

Zur Erinnerung: Mietwucher ist ein Verstoß gegen das Strafgesetzbuch. Aber scheinbar finden alle an der Entscheidung Beteiligten es einfacher, einschließlich einer Partei, die das „Sozial“ ganz vorne stehen hat, Menschen im Bürgergeld die Miete zu kürzen, als sich mit der Immobilienlobby anzulegen. Klar, es ist grundsätzlich am einfachsten, denen lästig zu werden, die wirklich gar kein Geld oder Ressourcen haben. Genau das ist drastisch.

Dabei wäre es neben der Möglichkeit der Enteignung auch eine Option, gegenüber den Vermietern angemessene Mieten für die Betroffenen durchzusetzen oder aber auch von vornherein für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Klar, das kann das Jobcenter nicht selbst leisten. Aber die Politiker*innen, die solche Reformen beschließen, sollten das größere Ganze auf dem Schirm haben, anstatt sich des Problems zu entledigen, indem sie die Wehrlosen an die Kandare liefern. So wird per Automatismus Eigentum beschützt und Armut bestraft.

Erst arbeitslos, dann schnell eine billige Wohnung finden?

Zu guter Letzt noch ein kleiner Ausflug zur Abschaffung der einjährigen Karenzzeit bei der Miete. Die gab Bürgergeldbeziehenden bisher die Möglichkeit, noch ein Jahr in einer Wohnung zu leben, die laut den Grenzen der Jobcenter eine „unangemessen“ hohe Miete hatte. Die Angemessenheitsgrenzen sind regional sehr unterschiedlich. Aber gemeinsam haben sie alle, dass sie sehr niedrig sind und es so kaum möglich ist, zufällig in einer solchen Wohnung zu leben, wenn man ins Bürgergeld rutscht. Genauso kaum möglich ist es dann, sehr schnell eine billige Wohnung zu finden.

Im Support vom Verein Sanktionsfrei stapeln sich Fälle von Menschen, die versuchen, den Anspruch auf ihre Wohnung im Nachhinein durchzusetzen, indem sie nachweisen, dass sie bundesweit suchen und keine Bemühungen scheuen. Die Suche und die Verfahren sind langwierig und können sich über Jahre ziehen. Jahre, in denen der Verein die Mietdifferenz dann ausgleicht, damit die Betroffenen nicht dauerhaft unterhalb des Existenzminimums leben müssen.

Die Abschaffung der Karenzzeit wird zur Folge haben, dass noch mehr Menschen noch schneller mit diesem Problem konfrontiert sein werden. Es bedeutet Existenzangst, schlaflose Nächte, Angst, Panik, Not, Verdrängung und das Gegenteil von der Möglichkeit, sich um eine neue Erwerbsarbeit zu kümmern, da dadurch wertvolle Kapazitäten (sinnlos) verbraucht werden. Niemand hat was davon. Auch die Staatskasse nicht.

Also nochmal: Für überhöhte Mieten müssen Wohnkonzerne zur Rechenschaft gezogen werden, die Profit aus der Verzweiflung anderer schlagen.

Helena Steinhaus ist Gründerin und Vorstand des Vereins Sanktionsfrei, der sich seit 2015 für eine menschenwürdige und sanktionsfreie Grundsicherung einsetzt. Im August 2023 erschien im Verlag S. Fischer ihr gemeinsam mit Claudia Cornelsen verfasstes Buch Es braucht nicht viel. Wie wir unseren Sozialstaat demokratisch, fair und armutsfest machen

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