Meyer Werft: Sollte dieser Staat Unternehmen vor dieser Insolvenz sichern?

Exakt 118 direkte Beteiligungen des Bundes listet der jüngste Beteiligungsbericht des Finanzministeriums auf. Schon bald könnte mit der Meyer Werft ein weiteres Unternehmen dazukommen. Dass er einen Staatseinstieg bei der angeschlagenen Werftengruppe will, daran lässt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seit Wochen keinen Zweifel. Doch ist das Unternehmen wirklich so wettbewerbsfähig, wie er und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das darstellen? Erfahrungen aus vergangenen Staatseinstiegen wecken daran Zweifel.

Das wohl bekannteste Beispiel für Staatshilfen in Krisenzeiten ist die Commerzbank. In den Jahren 2008/2009 stützte der Bund das angeschlagene Kreditinstitut mit mehr als 18 Milliarden Euro. Die Commerzbank hatte sich mit der Übernahme der Dresdner Bank verhoben, die weltweite Finanzkrise brachte sie dann an den Rand des Abgrunds. Teil der Rettungsaktion war, dass der Bankenrettungsfonds Soffin 25 Prozent und eine Aktie übernahm – für 5,1 Milliarden Euro. Einen Teil der Aktien verkaufte der Bund einige Jahre später mit Verlusten. Heute hält der Staat noch 15,7 Prozent an der Commerzbank, die knapp 2,4 Milliarden Euro wert sind. Von einem Staatsausstieg, den es eigentlich mal geben sollte, ist kaum noch die Rede. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass die Bilanz für den Bund wenig erfreulich ausfallen würde. Nach diversen Chefwechseln und Restrukturierungskonzepten steht die Bank immerhin wirtschaftlich wieder besser da. Für 2023 konnte sie einen Milliardengewinn vermelden.

Besser lief es für den Bund im zweiten großen Rettungsfall in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte: dem Einstieg bei der Lufthansa im ersten Jahr der Corona-Pandemie. Das Rettungspaket war eine Mischung aus Krediten, stillen Einlagen und einer Aktienbeteiligung von 20 Prozent. Der Gesamtwert belief sich auf rund 9 Milliarden Euro. Die Rechnung ging für den Bund auf. Die Fluggesellschaft überstand die Krise, zahlte die erhaltenen Darlehen samt Zinsen schnell komplett zurück. Das Aktienpaket verkaufte der Bund im Herbst 2022 mit einem Gewinn von 760 Millionen Euro.

Fehlgriff Curevac

Ebenfalls aus der Zeit der Corona-Pandemie stammt ein weiteres, für den Staat indes wenig ruhmreiches Beispiel. Der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) drängte 2020 auf einen Einstieg beim Impfstoffentwickler Curevac. Das Tübinger Unternehmen galt als großer Hoffnungsträger für einen Corona-Impfstoff, zugleich gab es Gerüchte, die amerikanische Regierung habe Interesse an Curevac. In einer Hauruckaktion sicherte sich der Bund 23 Prozent der Aktien für 300 Millionen Euro. „Industriepolitisch von hoher Bedeutung“ sei die Beteiligung, schwärmte Altmaier damals. Aus dem Corona-Impfstoff wurde jedoch nichts, das Unternehmen machte mangels marktfähiger Produkte zuletzt vor allem Negativschlagzeilen. Jetzt steht ein Stellenabbau von 30 Prozent an. Ob sich die Hoffnungen auf einen Neuanfang erfüllen, ist ungewiss. Der Anteil des Bundes ist im Zuge des Börsengangs an der amerikanischen Nasdaq und von Kapitalerhöhungen auf 13,3 Prozent gesunken. Er hat aktuell noch einen Gegenwert von umgerechnet 89 Millionen Euro.

Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, sagt mit Blick auf die Entwicklungen bei der Meyer Werft: „Grundsätzlich sollte der Staat Unternehmen, die vor der Insolvenz stehen, nicht retten.“ Ausnahmen könne man rechtfertigen, wenn in einer gesamtwirtschaftlichen Krisensituation die Funktion der Kapitalmärkte gestört sei. „Im Fall der Meyer Werft trifft das aber nicht zu“, stellt Fuest klar. „Man kann hier höchstens sicherheitspolitische Gründe anführen. Damit lässt sich aber nicht rechtfertigen, den Teil der Werft staatlich zu stützen, der Kreuzfahrtschiffe baut.“ Aktionäre und Banken dürften nicht aus der Haftung entlassen werden, mahnt der Ökonom.

Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrats, der die Bundesregierung in wirtschaftspolitischen Fragen berät, ist „grundsätzlich skeptisch“ bei Beteiligungen, die nicht strategisch bedeutsam oder sicherheitsrelevant sind. „Oft werden Beteiligungen, die zur kurzfristigen Rettung gedacht waren, zu lange gehalten, wie das Beispiel Commerzbank zeigt“, kritisiert sie. „Und es wird auf unternehmerische Entscheidungen in einer Weise Einfluss genommen, die nicht auf die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens, sondern auf die kurzfristigen Interessen der Beschäftigten ausgerichtet ist, wie im Fall von VW.“ Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der Stimmrechte an Deutschlands größtem Autohersteller. Zur Meyer Werft sagt Schnitzer: „Ökonomisch überzeugend ist dieses staatliche Engagement in einem Unternehmen, dessen Kerngeschäft im Bau von Kreuzfahrtschiffen besteht, nicht.“ Es bestehe kein strategisches oder sicherheitspolitisches Interesse des Staates.

Die Meyer Werft leidet unter einer Kombination aus einem externen Schock – dem Nachfrageeinbruch während der Corona-Zeit – und Managementversagen. Die Verträge waren in der Vergangenheit so gehalten, dass die Auftraggeber der Schiffe den Großteil des Kaufpreises erst zum Zeitpunkt der Auslieferung zahlen mussten. Die Werft musste daher hohe Summen vorfinanzieren, und das über viele Jahre. Ob dieses Grundproblem bei neuen Verträgen behoben wurde, ist nicht bekannt. Was dagegen offensichtlich ist: Für Wirtschaftsminister Habeck ist das Unternehmen strategisch wichtig, weil es in den Bau von Konverterstationen für Offshore-Windanlagen eingestiegen ist. Die wiederum sind ein Eckpfeiler der Pläne zur Energiewende – wenngleich sie nicht zwangsläufig von einem deutschen Unternehmen gebaut werden müssen.

„Ein staatlicher Einstieg bei einem Unternehmen beinhaltet meist eine Wettbewerbsverzerrung, da den Wettbewerbern diese Mittel nicht zur Verfügung stehen“, gibt Achim Wambach zu be­denken, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Zudem sei der Staat oft nicht nur Unternehmer, sondern zugleich auch Regulierer in dem Markt, „also Spieler, Schiedsrichter und Regelsetzer in einem“. Die daraus resultierenden Interessenkonflikte seien ein Problem, wie sich bei der Deutschen Bahn, der Deutschen Post und der Deutschen Telekom immer wieder zeige. Wenn davon auszugehen sei, dass ein Unternehmen wieder profitabel werde, könne in akuten Krisen staatliche Hilfe angebracht sein, sagt Wambach. Er fügt aber auch gleich hinzu: „Diese Voraussetzungen für eine sinnvolle temporäre Beteiligung der öffentlichen Hand scheint mir bei der Meyer Werft nicht gegeben zu sein. Wenn der Kapitalmarkt nicht bereit ist, die Liquidität zu sichern, ist fraglich, ob die öffentliche Hand dies machen sollte.“

Wirtschaftsweise warnt

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer verweist ebenfalls auf diesen Punkt. „Wenn die Auftragslage tatsächlich für den langfristigen Erhalt des Unternehmens reicht, sollte eine private Lösung für eine Rettung zu finden sein. Eine solche Lösung müsste eine Nachverhandlung der Aufträge mit den Auftraggebern über Preise und Vorfinanzierungskonditionen umfassen. Zu solchen Nachverhandlungen würde es automatisch kommen, wenn das Unternehmen Insolvenz anmelden müsste.“

Doch ein solches Insolvenzverfahren will die Bundesregierung um jeden Preis vermeiden. Deutschland steht wirtschaftlich derzeit so schlecht da wie kein anderes großes Industrieland. Noch ist nicht zu erkennen, dass die Transformation hin zur Klimaneutralität ein Wachstums- und Jobturbo ist, wie Scholz und Habeck das suggeriert haben. Die Insolvenz eines bekannten Unternehmens, auf dessen Schiffen mancher schon in den Urlaub gefahren ist, käme für die Politik zur Unzeit, auch mit Blick auf die Landtagswahlen in Ostdeutschland. Im Wahlkampf dort ist die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands ein großes Thema.

Zwar hat Scholz diese Woche erst den Grundstein für die Chipfabrik von TSMC in Dresden mit gelegt. Doch davon abgesehen halten sich die industriepolitischen Erfolge in Grenzen. Ob die Chipfabrik von Intel in Magdeburg noch kommt, ist angesichts der Krise des Unternehmens ungewiss. Und wenn doch, ist die Frage, ob das Geld der Steuerzahler dort gut investiert ist. 10 Milliarden Euro hat der Bund Intel versprochen, ein Drittel der Investitionssumme. Auch bei der Chipfabrik von Wolfspeed im Saarland gibt es Verzögerungen, ebenso bei der geplanten Batteriefabrik in Kaiserslautern. Der Batteriehersteller Varta, der 137 Millionen Euro staatliche Fördermittel bekommen hat und von Altmaier einst als Leuchtturm für das neue deutsche Wirtschaftsmodell gefeiert wurde, befindet sich ebenfalls in einer existenziellen Krise.

Claus-Friedrich Laaser, der für das Kieler Institut für Weltwirtschaft gemeinsam mit Astrid Rosenschon seit vielen Jahren einen Subventionsbericht erstellt, sagt: „Abgesehen von kleinen Dellen sind die Subventionen seit Anfang des Jahrtausends immer parallel zum Bruttoinlandsprodukt gewachsen.“ Man könne dabei allerdings nicht behaupten, dass der Staat der effizienteste Investor sei. Bestes Beispiel sei die Deutsche Bahn als staatseigenes Unternehmen. „Der Bundesrechnungshof bemängelt seit Jahren, wie viel Staatsgeld in Prestigeprojekten versickert, während die Leistung schlechter wird“, sagt Laaser. Auch beim Impfstoffhersteller Curevac habe der Staat danebengelegen. „Der Wettbewerb hat gezeigt, dass andere Unternehmen besser waren.“

Zumindest in einem Fall übte sich die Bundesregierung zuletzt in Zurückhaltung. Der Reiseanbieter FTI hatte in der Corona-Zeit 600 Millionen Euro an Krediten erhalten, anders als sein Wettbewerber TUI aber nur einen Bruchteil der Staatshilfen zurückgezahlt. Im Frühsommer dieses Jahres bat FTI den Bund erneut um Hilfe. Die Erfolgsaussichten einer solchen Finanzspritze schienen selbst den sonst so ausgabefreudigen Koalitionären dann aber doch zu gering. Sie ließen FTI in die Insolvenz gehen – trotz des Unmuts der betroffenen Urlauber kurz vor dem Beginn der Sommerferien.

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