Merz Reformpläne: Wie die Aktivrente ein Zweiklassen-System im Alter schafft

Ein wesentlicher Bestandteil von Merz’ umstrittenem Rentenpaket ist die Aktivrente. Diese verspricht Entlastung, schafft aber vor allem neue Ungleichheit zwischen Angestellten und Selbstständigen. Die Folge: weitere soziale Spaltung


Selbständig und reich? Ein Klischee, das sich hartnäckig in sozialdemokratischen Kreisen hält

Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/picture-alliance


Die Junge Union demonstriert gegen Merz’ Rentenpläne – doch ausgerechnet der vielleicht folgenreichste Teil davon rutscht in der öffentlichen Debatte durch: die Aktivrente. Diese ist nicht nur ein massives Steuerentlastungsprogramm. Der Bundestag berät derzeit so auch ein Gesetz, das die soziale Spaltung im Alter massiv verschärfen würde.

Konkret: 890 Millionen Euro Mindereinnahmen verursacht nach vorsichtigen Schätzungen die sogenannte Aktivrente, die bereits am 1. Januar 2026 in Kraft treten soll. Rentnerinnen und Rentner dürfen künftig bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei hinzuverdienen. Das gilt aber nur dann, wenn sie als abhängig Beschäftigte sozialversicherungspflichtig sind. Ausgerechnet Soloselbstständige, die nach Erreichen des Rentenalters besonders häufig weiterarbeiten müssen, um finanziell über die Runden zu kommen, bleiben außen vor.

„Ein echtes Plus für alle“, verspricht SPD-Finanzminister Lars Klingbeil wahrheitswidrig. Das Vorhaben, mit dem die Bundesregierung gegen den Fachkräftemangel vorgehen will, stößt bei den davon Exkludierten zu Recht auf Unmut. Es bedürfe „aktuell keiner weiteren Anreize, diesen Personenkreis zur Weiterarbeit zu bewegen“, heißt es zynisch im Gesetzentwurf.

Selbstständigen-Klischee vom reichen Unternehmer

Derartige Ignoranz der politisch Verantwortlichen gegenüber Freiberuflern hat Tradition, erinnert sei nur an die Corona-Hilfen: Während Festangestellten während der Pandemie unbürokratisch Kurzarbeitergeld gewährt wurde, mussten selbstständige Musiker, Dozentinnen oder Gastwirte in aufwändigen Anträgen detailliert ihre Bedürftigkeit nachweisen – und die gezahlten „Soforthilfen“ später größtenteils zurückzahlen. Dabei hatte der damalige Finanzminister Olaf Scholz in seinen „Bazooka-Reden“ einst vollmundig angekündigt, es handele sich um Zuschüsse und keinesfalls um Kredite. In den folgenden Gerichtsverfahren bekamen die (wenigen) Kläger meist recht.

Gerade in sozialdemokratischen Kreisen hält sich hartnäckig das Selbstständigen-Klischee vom „reichen Unternehmer“, der staatlichen Beistand nicht nötig hat. Freiberuflichkeit bringen sie vorrangig in Verbindung mit gut verdienenden Anwältinnen, Steuerberatern oder niedergelassenen Medizinern, die durch eine ständische Gebührenordnungen abgesichert sind.

Sie übersehen, dass sich spätestens nach den Hartz-Gesetzen und der damaligen Propagierung der Ich-AG ein neues (schein)selbständiges Prekariat jenseits der alten Arbeiterklasse herausgebildet hat. Extreme Beispiele sind Paketboten oder „Entbeiner“ in Fleischfabriken, die zwar formal autonom agieren und auf eigene Faust arbeiten, aber dennoch ständig von Armut bedroht sind.

Widerspruch zum im Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungsgebot

Der Ausschluss bei der Aktivrente gilt absurderweise sogar für Selbstständige, die jahrzehntelang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. So sind die meisten freiberuflich tätigen Künstlerinnen und Publizisten seit 1983 in der Künstlersozialkasse (KSK) pflichtversichert und damit, im Gegensatz zu Beamten oder Bundestagsabgeordneten, Teil des Solidarsystems. „Viele unserer Mitglieder sind auch als Rentner auf zusätzliche Erwerbseinkommen angewiesen“, betont Veronika Mirschel, die in der Gewerkschaft ver.di für Selbstständige zuständig ist. Dass Freiberufler im Alter für ihren Zusatzverdienst weiterhin Steuern zahlen sollen, während abhängig Beschäftigten ein Bonus von 24.000 Euro im Jahr gewährt wird, widerspreche „nicht nur jedem Gerechtigkeitsgefühl, sondern auch dem im Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungsgebot“.

Zahlreiche Interessenverbände protestieren derzeit gegen die umstrittene Regelung. Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) hat die Petition „Aktivrente auch für Selbstständige: Wir sind keine Erwerbstätigen zweiter Klasse“ gestartet. Der Aufruf wurde in kürzester Zeit von über 65.000 Personen unterschrieben, die Webseite des VGSD registrierte Zehntausende Kommentare. Zu den Berufsgruppen, die der Dachverband organisiert, zählen zum Beispiel freiberufliche Musiklehrerinnen, bildende Künstler, Journalisten, Hebammen und Heilpraktikerinnen. Aber auch Landwirte, Handwerker oder Beraterinnen, die auf eigene Rechnung tätig sind, melden sich mit kritischen Stellungnahmen zu Wort.

Die geplante Aktivrente in ihrer jetzigen Form ist eine aus der Zeit gefallene Idee rückschrittlicher Politiker

Allianz deutscher Designer

Die „Allianz deutscher Designer“ hält es für besonders absurd, KSK-Versicherte in allen sonstigen Bereichen den angestellten Arbeitnehmern gleichzustellen, sie an diesem Punkt aber von Privilegien auszunehmen. Die geplante Aktivrente in ihrer jetzigen Form sei eine „aus der Zeit gefallene Idee rückschrittlicher Politiker:innen“. Die Bundesrechtsanwaltskammer geht noch einen Schritt weiter: Sie hält den vorgelegten Gesetzentwurf schlicht für „verfassungswidrig“.

Falls sich nach den abschließenden Beratungen im Parlament nichts mehr ändert, dürfte eine Klagewelle die unvermeidbare Folge sein.

AllenAllianzarmutBundesregierungBundestagcoronaCorona-HilfenDeutschlandDiEinstEuroFachkräftemangelFrankFreiberuflerGewerkschaftGrundgesetzHandwerkerHebammenJournalistenKlingbeilKrediteLandwirteLarsMerzOlafOlaf ScholzParlamentPersonenPolitikerRechtRentenversicherungRentnerRentnerinnenScholzSPDSteuernSvenUnionUnternehmerVeronikaWillZeit