Ein Vierteljahrhundert wurde verhandelt. Dass ein Freihandelsvertrag der EU-Staaten mit den Mercosur-Ländern in Südamerika vorliegt, ist noch keine Garantie, dass er in Kraft tritt. Die Ratifizierung kann sich hinziehen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Brasiliens Präsident Luis Inacio Lula da Silva
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Die EU-Kommission hofft auf einen raschen Erfolg, denn die weltweit größte Freihandelszone mit mehr als 715 Millionen Menschen könnte entstehen. In Brüssel wird kolportiert, dass die europäischen Exporte nach Südamerika pro Jahr um etwa 50 Milliarden Euro zunehmen könnten. Vorerst jedoch müssen die 27 EU-Mitgliedsländer wie auch das EU-Parlament den Vertrag absegnen. Gleiches gilt für die vier Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay (das fünfte Land, Bolivien, ist bereits Mitglied, aber noch nicht stimmberechtigt).
Da Frankreich, Polen und Österreich im Interesse ihrer Bauern einen Vertragsabschluss lange blockierten, hat die Kommission intensiv über Quoten, Schutzklauseln und einen Notfallmodus verhandeln müssen.
Nun sind Ausgleichszahlungen versprochen, falls es durch billige Agrarimporte aus den Domänen des Mercosur – etwa durch Rindfleisch aus Argentinien, Brasilien oder Uruguay – zu einem Preisverfall auf den europäischen Märkte kommen sollte. Bis zu 6,3 Milliarden Euro an EU-Geldern könnten dann an die Bauern in Frankreich, Polen und anderswo fließen.
Die EU-Kommission hat zu einem fast todsicheren Trick gegriffen
Nach dem blamablen Zoll-Deal, den die Kommission in Windeseile und mit zu vielen, teils unnötigen Zugeständnissen mit den USA geschlossen hat, braucht Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Erfolg. Um ganz sicher zu gehen, dass die Sache nicht auf den letzten Metern scheitert, hat die Kommission zu einem fast todsicheren Trick gegriffen: Das Abkommen wurde in einen Handelsteil und einen politischen Teil zerlegt.
Bei Ersterem haben regionale oder nationale Parlamente nicht mitzureden, das heißt, sie können diesen Teil nicht blockieren, wie es bei der Ratifizierung des CETA-Abkommens mit Kanada geschehen ist. Für die Mercosur-Staaten, die von Donald Trumps Zollauflagen noch härter getroffen werden als die Europäer, ist kaum Widerstand zu erwarten. Zumal Brüssel ihnen im politischen Teil der Übereinkunft weit entgegengekommen ist. Allerdings ist die endgültige Fassung des Vertragstextes bisher nicht veröffentlicht worden.
Kommt die Ratifizierung ohne signifikante Verzögerungen voran, darf sich in Deutschland die Automobilindustrie freuen, ebenso der Maschinenbau und die pharmazeutische Industrie. Einige hunderttausend Jobs dürften damit für die nächste Zeit gesichert sein. Eventuell noch mehr, sollte die EU bei ihren Sondierungen über ähnliche Freihandelsübereinkommen mit Indien, Indonesien und anderen südostasiatischen Ländern rasch vorankommt.
Für den Mercosur wäre es ebenso ein Erfolg, seine Position in Lateinamerika würde gestärkt. Nach Bolivien könnten weitere Länder beitreten und die Freihandelszone deutlich erweitern, auf 760 bis 780 Millionen Menschen.
Bedenken bei Klima- und Umweltschutz
Indes werden im EU-Parlament Vorbehalte gegen den Vertrag laut. Eigentlich sollte der durch Anhänge ergänzte Text des Abkommens die Bedenken in Sachen Klima- und Umweltschutz ausräumen. Er enthält nun ein deutliches Bekenntnis zum Pariser Klimaschutzabkommen und eine gemeinsame Verpflichtung, die Entwaldung des Amazonasgebietes aufzuhalten. Dennoch fürchten Kritiker bei Grünen und Linken um den Schutz des Regenwalds und die Klipolitik des Green Deal in Europa.
In der aktuellen Fassung des Vertrages wird den Mercosur-Staaten ein Klagerecht eingeräumt für den Fall, dass sie ihre Wirtschaftsinteressen durch Gesetze oder Maßnahmen der EU zu Umwelt- und Klimaschutz beeinträchtigt sehen. Verfahren vor Schiedsgerichten – ein unverzichtbarer Bestandteil von Freihandelsabkommen – sind im politischen Teil verankert. Staaten können ein Recht auf Kompensation in Anspruch nehmen, falls die EU-Politik ihre Handelsvorteile beschneiden sollte. Damit, so die Klage einiger Umweltverbände, werde die EU ihrer Klimapolitik selbst Fesseln anlegen. Dass darüber im EU-Parlament heftig debattiert wird, ist absehbar.