Mercedes sitzt in jener China-Falle

Als Ola Källenius im Frühjahr mit Gästen durch das Classic-Center von Mercedes geschlendert ist, antwortete der Chef des Autoherstellers auf die Frage, wofür sein Unternehmen stehe: für innovative Technologie und Luxus. Er fügte an: „Wir wollen die begehrtesten elektrischen Autos der Welt bauen.“ Mit wenigen Worten hat der Manager seine beiden wichtigsten strategischen Ansätze umrissen. Der baden-württembergische Konzern soll von 2030 an möglichst nur noch elektrische Autos verkaufen. Und nicht irgendwelche Autos, sondern vor allem hochpreise Luxusfahrzeuge, für die Kunden auch sechsstellige Beträge zahlen.

Das Problem: Das Elektroziel hatte Källenius zu diesem Zeitpunkt schon den Realitäten angepasst. Das neue Schlagwort heißt seitdem „taktische Flexibilität“. Mercedes agiere „taktisch flexibel“ mit Werken, in denen das Unternehmen sowohl Elektroautos als auch Fahrzeuge mit konventionellen Antrieben produziert. Nötig sei das, weil sich grundlegende Bedingungen wie Elektroprämien immer wieder änderten – und weil sich vor allem Kunden aus Europa nicht so recht für Elektroautos begeistern. Die Absatzzahlen im dritten Quartal haben das gezeigt. Während Anfang des Jahres jeder zehnte verkaufte Mercedes rein elektrisch fuhr, war es im dritten Quartal nur noch jeder zwölfte.

Die neuen Verkaufszahlen zeigen noch mehr: Auch die Luxusstrategie bringt nicht den Erfolg, den Källenius sich erhofft hat. Der Absatz von S-Klasse, G-Klasse und Autos aus der AMG-Produktion ging ebenfalls spürbar zurück. Auch dafür gibt es Gründe, auf die der Hersteller keinen Einfluss hat – die konjunkturelle Lage, wegen der sich Kunden zurzeit gegen den Kauf eines Luxusautos entscheiden. Aber gerade in China, wo der Hersteller mehr als ein Drittel seiner Autos verkauft, wird deutlich, dass der alte Ansatz nicht mehr funktioniert. Die Wagen mit dem Stern sind nicht mehr das Prestigeobjekt, das sie einmal waren. Mercedes hat mit Verbrennern lange die Maßstäbe gesetzt, doch im heraufziehenden Zeitalter der Elektromobilität wankt die Position.

Der Innovationsabstand reicht nicht mehr

Im umkämpften chinesischen Elektroautomarkt hat Mercedes die Geschwindigkeit unterschätzt, mit der chinesische Wettbewerber technologisch und innovativ zu europäischen Anbietern aufschließen. Marken wie Xiaomi, Li Auto, Nio oder Yangwang machen der elektrischen S-Klasse von Mercedes das Leben schwer. Der Innovationsabstand zur Konkurrenz ist zwar noch da, aber er ist um ein Vielfaches geringer als zu Verbrennerzeiten – und er rechtfertigt nicht mehr den hohen Preisaufschlag, den Kunden zahlen müssen, wenn sie einen Mercedes und nicht den Wagen eines chinesischen Herstellers kaufen.

Die schwachen Halbjahreszahlen und vor allen die Prognosekorrektur vor wenigen Wochen spiegeln die Kombination aus lahmender Konjunktur und den aus der Strategie resultierenden Nachteilen wider. Während sich die Konjunktur mittelfristig wieder stabilisieren wird, ist die Frage nach einer funktionierenden Elektrostrategie und dem schwindenden Innovationsvorsprung, der die hohen Preise rechtfertigt, unbeantwortet. Dabei wird das eine Problem das andere verschärfen: Während Källenius noch Jahre Geld und Arbeitskräfte gleichzeitig auf die Weiterentwicklung von Verbrennern und Elektroantrieben verteilen muss, werden Wettbewerber in China sich voll auf die Elektromobilität konzentrieren und weiter aufholen.

Källenius setzt zur Lösung der Schwierigkeiten auf neue Modelle – vor allem den Mercedes CLA, der im kommenden Jahr als Elektroauto und ein Jahr später als Hybridversion auf den Markt gebracht werden soll. Für den Traditionshersteller wird die Einführung zur Schicksalsfrage: Vor allem die elektrische Version des CLA muss ein Erfolg werden, will sich Mercedes nicht ganz von den ehrgeizigen Elektrifizierungszielen verabschieden. Und auch die Luxusstrategie „Klasse statt Masse“ wird sich an diesem Modell messen lassen müssen.

Denn der CLA ist als neues Einstiegsmodell von Mercedes geplant und soll die A- und B-Klasse ersetzen. Von den Autos hat Mercedes zuletzt zwar hohe Stückzahlen verkauft, sie waren Källenius aber zu margenschwach. Der Mercedes-Chef setzt lieber auf geringere Stückzahlen von Fahrzeugen mit hohen Renditen, um mit ihnen die notwendigen Zukunftsinvestitionen zu stemmen. Liegt Källenius mit dieser Entscheidung so falsch wie mit der Einschätzung der chinesischen Wettbewerber, benötigt Mercedes eine neue Strategie.

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