Nein, Rückenwind für die angeschlagene Ampelkoalition ist das Wahlergebnis von Niedersachsen nicht. Im Gegenteil, die Gräben in der Rot-Grün-Gelben Koalition in Berlin werden sich weiter vertiefen
SPD-Ministerpräsident Stephan Weil kann in Niedersachsen weiterregieren (33,4 Prozent der Wählerstimmen, minus 3,5 Prozentpunkte) diesmal mit den Grünen, die auf 14,5 Prozent der Stimmen kamen (plus 5,8, Prozentpunkte). Die bisherige Regierungspartei CDU wurde abgestraft, verlor 5,5 Prozentpunkte und landete bei 28,1 Prozent. Die FDP muss um den Wiedereinzug zittern, die AfD verdoppelte ihr Ergebnis auf 11 Prozent und die Linke ist in Niedersachsen nur noch eine Splitterpartei mit 2,7 Prozent der Stimmen.
Die SPD feiert nun einen Wahlsieger, der in den zurückliegenden Wochen auf größtmögliche Distanz zu Bundeskanzler Olaf Scholz gegangen ist. Und der noch am Wahlabend dem Berliner Regierungschef den nicht nur gut gemeinten Ratschlag gab, künftig doch bitte schneller und klarer zu entscheiden. Der Kanzler wird das nicht gern gehört haben; zeigt es doch, dass sein politisches Gewicht nicht nur bei den Wählern, sondern auch im eigenen Lager immer weiter sinkt. Der Druck aus den Ländern wird steigen.
Ganz anders ist die Lage bei den Grünen. Sie gehen erneut gestärkt aus einer Landtagswahl hervor. Sie ist, nebenbei gesagt, die einzige Koalitionspartei, der die Regierungsbeteiligung nicht geschadet, sondern bei Landtagswahlen genutzt hat. Auch das wird seine Wirkung in Berlin nicht verfehlen. Denn in der Partei ist nicht vergessen, dass Scholz bei Meinungsverschiedenheiten gerne wohlwollend der FDP zuneigte und die Grünen hanseatisch-kühl abblitzen ließ. Das wird sich die Partei in Zukunft wohl kaum noch bieten lassen. Nichts macht selbstbewusster als der Erfolg an der Wahlurne.
Umgekehrt gilt aber offenbar nicht, dass Misserfolg demütiger macht, jedenfalls nicht für die FDP. Ihr Parteichef Christian Lindner hat nach der letzten Schlappe bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen den innerkoalitionären Streit gesucht, wo er nur konnte. Genutzt hat diese Profilierungssucht der FDP nichts. Stattdessen dozierte Lindner am Wahlabend, das enttäuschende Wahlergebnis liege daran, dass die FDP links der Mitte verortet werde. Sie sei aber in der Mitte. Mit anderen Worten: Nicht die Partei, sondern die Wähler sind schuld. Die wenigen, die noch darüber nachdenken, ihr Kreuz bei den Liberalen zu machen, werden das nicht gerne gehört haben.
Lindner jedenfalls kündigte an, er werde künftig noch deutlicher machen, wofür die FDP steht. Man fragt sich allerdings, wie das gehen soll. An seinem neoliberalen Kurs hat der FDP-Chef nun wirklich keinen Zweifel gelassen. Und trotzdem wird Lindner noch stärker den Konflikt in der Koalition suchen. Man kann es fast verstehen. Denn das letzte Mal, als die FDP in einer Koalition mitregierte, war das Ergebnis am Ende der Legislaturperiode 2013, dass sie aus dem Bundestag flog. Vier bittere Jahre in der außerparlamentarischen Opposition folgten.
CDU mit schlechtestem Wahlergebnis seit 1955
Auch die CDU hat an diesem Wahlabend kräftig einstecken müssen. An dem mangelnden Charisma des niedersächsischen Spitzenkandidaten Bernd Althusmann kann es nicht gelegen haben – darin unterschied er sich kaum vom siegreichen SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil. Viele in der traditionell besonders konservativen niedersächsischen Wählerschaft mochten der CDU nicht folgen und machten ihr Kreuz stattdessen lieber bei der AfD. Die Folge: Das schlechteste CDU-Wahlergebnis seit 1955. Bei Parteichef Friedrich Merz in Berlin müssen nun alle Alarmglocken schrillen. Denn mit seinem angriffslustigen Auftreten als Oppositionsführer im Bundestag hat er bisher überspielt, dass er noch keinen Plan hat, welchen Kurs die CDU der Nach-Merkel-Ära eigentlich steuern soll. Mal blinkt er rechts, mal blinkt er links. Mal signalisiert er staatsmännisch der Koalition Kooperationsbereitschaft, mal attackiert er sie, als wäre er Redakteur einer Boulevardzeitung. Für die Wähler ist so ein Zickzack-Kurs ganz offensichtlich das falsche Rezept. Und nicht nur für die, auch die CDU-Granden werden aufmerksam beobachten, ob Merz es gelingen wird, konservative Politik neu zu definieren.
Der krisengeschüttelten Linkspartei ist es nach der Katastrophen-Wahl in Nordrhein-Westfalen vom Mai erneut gelungen, ihr Ergebnis zu halbieren. Das war in diesem Bundesland mal anders, aber diese Zeiten liegen lange zurück. In Berlin muss sich der Parteivorstand nun ernsthaft Sorgen machen, ob die Linke ihren gesamtdeutschen Anspruch auf Dauer aufrechterhalten kann. Das ist im Prinzip nichts Neues. Wahr bleibt es leider trotzdem.
Noch ein Wort zur AfD, die in Niedersachsen erstaunlich gut abgeschnitten hat: Es zeigt sich immer deutlicher, dass sie nicht nur Rechtsextreme anzieht, sondern auch Sammelbecken der Unzufriedenen und Enttäuschten ist. Gegen das erste kann man nicht viel tun. Gegen das zweite schon.
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