Meinung | Gewerkschaften in der Krise: Der Herbst ist noch nicht heiß genug!

Die Metallindustrie fordert nur acht Prozent mehr Lohn – nicht einmal genug, um die Preissteigerungen aufzufangen. Wo ist bloß der Kampfesmut der deutschen Gewerkschaften hin? Von ihren britischen Kollegen könnten sie viel lernen

Für die Metallindustrie und den öffentlichen Dienst sind die aktuellen Tarifforderungen überschaubar: zwischen acht und zehn Prozent mehr Geld. Im Ergebnis dürfte das nicht mal die Preissteigerungen ausgleichen. Zur Durchsetzung höherer Löhne bedürfte es kämpferischer Aktionen bis hin zu Streiks. Doch der von linken Mitgliedern erhoffte „heiße Herbst“ ist lauwarm. In manchen Nachbarländern ist das anders.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund organisiert seit September landesweite Demos; der britische Trade Union Congress ermuntert dazu, das Bezahlen der Energierechnung zu verweigern. Im Vergleich wirken die DGB-Aktivitäten harmlos. Zu groß ist heute die Angst, von rechts vereinnahmt und mit dem Querfront-Vorwurf überzogen zu werden. Wo ist bloß der alte Kampfesmut hin?

Unter CDU-Kanzlern wetterten Gewerkschaften häufig gegen eine „Koalition aus Kabinett und Kapital“. Doch selbst wenn die SPD an der Macht war, suchte der DGB keineswegs immer den Schulterschluss. 1974 trug ein Streik im öffentlichen Dienst, mit lahmgelegtem Nahverkehr und überquellenden Mülltonnen, zum bald folgenden Sturz von Willy Brandt bei. Die Gewerkschaft ÖTV, eine Verdi-Vorläuferorganisation, setzte damals eine zweistellige Gehaltserhöhung durch. Auch als Gerhard Schröder die Hartz-Gesetze im Basta-Stil durchdrücken wollte, protestierten die Arbeitnehmerverbände mit großen Aufmärschen.

Und heute? Überwiegt sozialpartnerschaftliche Kungelei, höflicher ausgedrückt: die Zusammenarbeit in einer „Konzertierten Aktion“. So heißt der gewerkschaftliche Pakt zwischen Regierung und Unternehmern. Der DGB ist allerdings kein Einheitsblock. Verdi-Chef Frank Werneke ist Mitglied der Gaspreiskommission und nannte deren Ergebnis „sozial nicht ausbalanciert“. Michael Vassiliadis, Chef der IG BCE, klang bei der Vorstellung der „Gaspreisbremse“ hingegen wie ein Regierungssprecher.

Die Interessen seiner Klientel waren ja auch erfüllt: Unternehmen zahlen ab Januar nur sieben Cent pro Kilowattstunde, da feiern die energieintensiven Aluminiumhersteller. Private Haushalte blechen viel mehr.

Laufen die bald den rechten Strömungen und deren pseudosozialen Phrasen hinterher? Dann hätten wir es den Demokratiefeinden leicht gemacht.

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