
Linke-Chef van Aken erklärt, wie er „Milliardäre abschaffen“ will und warum er ein „Reichenregister“ fordert. Das dann verfügbare Geld solle in den Klimaschutz fließen. In der Migrationspolitik gebe es zwar „Probleme“ – doch der hohe Handlungsdruck werde wegen der AfD mitunter herbeigeredet.
Jan van Aken, 63, bildet mit Heidi Reichinnek das Linke-Spitzenduo zur Bundestagswahl. Der frühere Bundestagsabgeordnete und promovierte Biologe war UN-Biowaffeninspekteur, arbeitete für Greenpeace und die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung. Als Linke-Parteichef deckelt er sein Gehalt auf den Durchschnittslohn von 2850 Euro netto im Monat.
WELT: Herr van Aken, in Talkshows hauen Sie ziemlich drauf: BSW-Chefin Sahra Wagenknecht solle „den Mund“ und der AfD-Sprecher Tino Chrupalla seinen „rechten Rand“ halten, sagten Sie kürzlich. Ist das der neue Stil der Linken?
Jan van Aken: Manche Dinge darf man vielleicht denken, aber man sollte sie wirklich nicht sagen. Bei Frau Wagenknecht war das tatsächlich nicht die feine Art von mir. Zu Chrupalla würde ich es wieder sagen: Was er vertritt, ist menschenverachtend und widerlich. Es regt mich auf, wie herzlos in diesen Sendungen über Menschen geredet wird, ob es ukrainische Flüchtlinge oder Bürgergeld-Empfänger sind.
WELT: Der Ton scheint gut anzukommen: Ihre so oft totgesagte Partei verzeichnet einen Mitgliederzuwachs, Sie stehen bei fünf Prozent in Umfragen, Ihre Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek wird teilweise wie ein Star gefeiert. Wie erklären Sie sich das?
Van Aken: Wir reden so, dass man uns versteht. Ich mag diese typischen Politiker-Phrasen einfach nicht. Plötzlich stehen Hunderte Leute nach Veranstaltungen in der Schlange für ein Foto mit mir. Wer will denn ein Selfie mit Jan van Aken?
WELT: Und, wer?
Van Aken: Vor vier Jahren ging es viel um die Klimakrise. Die Menschen schlossen sich Fridays for Future an. Nun sind wir für viele eine Hoffnung, weil sie sehen, dass wir die echten Probleme der Menschen ansprechen: die viel zu hohen Mieten und Preise. Und sie wollen eine verlässliche Kraft, die sich gegen den Rechtsruck stellt. Die Linke ist wieder zu einem Ort geworden, wo man sich politisch heimisch fühlen kann.
WELT: Sie warnen vor dem „Faschismus hier im Land“, wollen „auf die Barrikaden“. Glauben Sie, dass die „Brandmauer“ zur AfD gefallen ist?
Van Aken: Im ersten Moment dachte ich: Merz hat sich nicht im Griff. Doch es gibt offenbar Konservative in der CDU, die eine konservative Erneuerung von Deutschland auch mit der AfD durchsetzen wollen.
WELT: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD und eine Koalition vehement aus.
Van Aken: Es wird sicherlich keine Koalition jetzt nach der Wahl geben. Aber das Beispiel Österreich zeigt, wie es laufen könnte: Dort droht weiterhin der erste Regierungschef von der FPÖ. Ich traue der Merz-Union auch weitere Abstimmungen von Fall zu Fall mit der AfD zu. Dieses Erpressungspotenzial liegt ja jetzt leider in der Luft.
WELT: Ihr Wahlkampf hat seit der Abstimmung zur Migrationspolitik im Bundestag einen Schub bekommen. Hilft Ihnen diese Polarisierung?
Van Aken: Migration finde ich kein gutes Wahlkampfthema. Wenn es nur noch darum geht, Menschen aufzuhalten oder loszuwerden, bleibt unsere Menschlichkeit auf der Strecke. Wir sprechen lieber darüber, was die Leute im täglichen Leben belastet.
Wir haben in den letzten Wochen an rund 400.000 Haustüren geklopft und hören: Die Leute sind verzweifelt. Die Preise im Supermarkt steigen, bezahlbarer Wohnraum fehlt, auf einen Arzttermin muss man oft monatelang warten. Die Pflegekosten sind dramatisch. Ein Beispiel: Meine Eltern haben 50.000 Euro fürs Alter angespart. Nach gut einem Pflegejahr war diese gesamte Lebensleistung aufgebraucht.
WELT: Es fehlen Wohnraum, Ärzte und Lehrkräfte. Ist das nicht gerade für Ärmere ein Problem?
Van Aken: Ja. Da haben Menschen mit wenig Einkommen und Menschen mit Migrationshintergrund ähnlich große Probleme. Fragen Sie mal, was jemand mit kleinem Geldbeutel oder nicht-deutschem Namen, was die bei der Wohnungssuche erleben. Das ist eine ständige Demütigung. Stattdessen hören wir: Wenn der Staat kein Geld hat, ist der Bürgergeld-Empfänger Schuld, wenn es keine Zahnarzttermine gibt, dann sind die Migranten Schuld. Das ist wirklich eine Ablenkungsdebatte.
WELT: Ablenkung wovon?
Van Aken: Von eigenen Fehlern: Die Infrastruktur wurde kaputtgespart und privatisiert. Ein Beispiel: In Hamburg wollte vor gut 20 Jahren eine Mehrheit in einer Volksabstimmung, dass Krankenhäuser in staatlicher Hand bleiben. Die Krankenhäuser wurden unter der CDU trotzdem verkauft, aus dem Gesundheitssystem wird jetzt maximal viel Geld gezogen. Natürlich wird die Leistung dadurch immer schlechter.
WELT: Migration gilt vielen Wählern als wichtigstes Thema. Kommunen melden, die Integration nicht mehr stemmen zu können. Sehen Sie diese Probleme gar nicht?
Van Aken: Natürlich gibt es Probleme. Die Bundesregierung hat das Geld für die Integrationskurse fast halbiert. Auch die Kommunen wurden kaputtgespart. Termine beim Bürgeramt sind schwer zu bekommen, die Wartezeiten beim Ausländeramt sind lang. Die Debatte in Deutschland ist aber völlig verrutscht. Wenn aus Angst vor AfD-Wahlerfolgen parteiübergreifend ständig alle „Migrant“ sagen, ist das Thema natürlich in allen Umfragen oben.
In Thüringen gibt es Orte, da lebt kein Mensch mit nicht-deutschem Namen – und trotzdem reden dort alle über Migration. Mit eigener Lebenserfahrung hat das sehr wenig zu tun. Wir sollten vielmehr darüber reden, wie wir alle gut und sicher leben können.
WELT: Wie schafft man denn mehr Infrastruktur?
Van Aken: Mit Geld, das wir über eine Vermögensteuer holen. In Deutschland stürzen Brücken ein, und die Schulen sind in schlechtem Zustand. In den letzten Jahren sind die Reallöhne und die realen Renten für die meisten Menschen gesunken. Das Geld fehlt nicht, es liegt woanders: bei den Milliardären.
WELT: Sie wollen „Milliardäre abschaffen“. Wie?
Van Aken: Es sollte erst mal keine neuen Milliardäre geben. Dieses Geld haben sie ja nicht selbst erwirtschaftet, sondern Tausende und Abertausende Menschen haben sich jahrelang dafür krummgelegt. Es ist nicht richtig, dass ein einziger Mensch sich das dann aneignet.
Wir brauchen eine Vermögensabgabe, die bis heute im Grundgesetz steht. Konrad Adenauer hat Vermögen abgeschöpft zur Abfederung der Kriegsfolgen. Heute ist die Klimakrise eine solche Krisensituation: Das Geld für den Umbau der Industrie zur Klimaneutralität können wir uns von den Reichen holen. Meine Kinder werden hoffentlich noch erleben, dass es keine Milliardäre mehr gibt.
WELT: Wie viel sollen die Leute denn abgeben?
Van Aken: Die erste Million ist frei. Da denken wir an die Oma und ihr kleines Häuschen, das vor 50 Jahren gebaut wurde und wo das Grundstück plötzlich eine Million wert ist. Alle darüber zahlen ein Prozent Vermögensteuer, ab 50 Millionen fünf Prozent, ab einer Milliarde dann zwölf Prozent – und zwar jährlich: Milliardäre sollten jährlich zwölf Prozent auf ihr Vermögen an Steuern zahlen.
WELT: In einem Reichenregister wollen Sie gar auflisten, wer „Schlösser, Firmenimperien, Aktienpakete und Kunstsammlungen hortet“. Wieso?
Van Aken: Ein Vermögens- und Immobilienregister ist doch völlig normal: Wenn eine Vermögensteuer erhoben wird, muss man wissen, wer welches Vermögen besitzt. Die Idee stammt unter anderem auch aus den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine: Wie gehen wir mit dem Vermögen russischer Oligarchen in Deutschland um? Wenn wir die sanktionieren wollen, müssen wir wissen, welche Villen ihnen gehören.
WELT: Ihre Ex-Genossen von der Wagenknecht-Partei drohen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Wie erklären Sie sich das nach den ersten Erfolgen des BSW?
Van Aken: Ich denke, der Reiz des Neuen ist verschwunden. Den gab es ja auch bei der Piratenpartei. Die Frage ist ja immer: Schaffen sie es, das in Politik umzusetzen?
WELT: Was unterscheidet die Wagenknecht-Partei von Ihnen?
Van Aken: Sehr vieles. Wir spielen nicht diejenigen gegeneinander aus, die bereits eh schon am wenigsten haben. Und im Gegensatz zu Wagenknecht halten wir nicht die Grünen, sondern die AfD für die gefährlichste Partei im Bundestag. Mit Blick auf die Ukraine ist klar: Das BSW ist eine Kreml-Partei.
WELT: Wagenknecht sagte kürzlich: Die Linke sei die „pflegeleichte Opposition“ und werde deshalb von den Medien besser behandelt als das BSW.
Van Aken: Das sagt eine Frau, die in dieser Legislatur gefühlt mehr in Talkshows saß als im Bundestag. Die Schuld haben immer die anderen, und „Niemand mag mich und alle anderen sind böse“ kenne ich noch aus einer Zeit, als sie bei uns in der Partei war. Diese Platte hat langsam einen Sprung.
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Linkspartei.
Source: welt.de