Mehr Fehltage: Warum die Deutschen häufiger an welcher Arbeit fehlen

Wer krank ist, erhält in Deutschland bis zu sechs Wochen trotzdem das volle Gehalt vom Arbeitgeber gezahlt. Die gesetzliche Lohnfortzahlung wurde 1884 unter Bismarck eingeführt, das System gilt als eines der großzügigsten weltweit. Die Lohnfortzahlung ist eine Errungenschaft für Gewerkschaften und Arbeitnehmer, den Arbeitgebern entstehen dadurch jährlich Kosten in Milliardenhöhe. Laut einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft mussten Unternehmen 2022 70 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung ihrer krankgeschriebenen Beschäftigten aufbringen. Damit liegt die Belastung auf einem Rekordniveau.

Die Rekordkosten entstehen durch die gestiegenen Fehlzeiten. Laut Techniker Krankenkasse fehlte jede Person 19,4 Tage im Jahr 2023. Doch woran liegt dieser Anstieg? Forscher des Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) haben nun vier Haupterklärungsgründe untersucht. Interessant ist, dass die telefonische Krankschreibung als Grund ausgeschlossen wird. Während Finanzminister Christian Lindner (FDP) und der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgebervereinigung (BDA) die Abschaffung der telefonischen Krankschreibung fordern, die seit Dezember 2023 dauerhaft gilt, mahnen Hausärzte, dass ihre Kapazitäten für eine Rückkehr zum alten System nicht mehr ausreichen.

ZEW-Autor Nicolas Ziebarth ist auf Seiten der Ärzte: „Für mich ist das Populismus. Der starke Anstieg seit 2022 geht auf eine verbesserte Datenbasis zurück und eben nicht auf die telefonische Krankschreibung.“ Lindner hätte suggeriert, dass die telefonische Krankschreibung verantwortlich sei, die gäbe es aber schon seit Beginn der Corona-Pandemie und zudem sei sie relativ restriktiv gehalten, sagt Ziebarth.

Anstieg durch bessere Datenlage

Ziebarth und sein Kollege Stefan Pichler vom ZEW gehen davon aus, der Anstieg vor allem durch die bessere Datenerfassung zustande kommt. Seit Jahresbeginn 2022 wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) elektronisch erfasst, vorher wurden Fehlzeiten nur von den Krankenkassen erfasst, wenn Versicherte sie mit dem „gelben Schein“ gemeldet haben. Die verbesserte, wenn auch weiterhin lückenhafte Datenlage erklärt laut den Forschern den Großteil des Anstiegs. Hinzu käme, dass die Grippewellen in den vergangenen zwei Jahren relativ stark waren und Arbeitnehmer in Folge der Corona-Pandemie bei Infektionskrankheiten vorsichtiger geworden seien und eher nicht zur Arbeit gingen.

Während es aus gesundheitspolitischer Sicht begrüßenswert ist, dass sich Menschen mit Infektionskrankheiten isolieren und so keine Kunden oder Kollegen anstecken, wird es für Unternehmen richtig teuer, wenn ihre Mitarbeiter auch mit leichten Erkältungen zu Hause bleiben. Es ist ökonomisch belegt, dass Menschen bei leichten Erkrankungen auch vom Geld abhängig machen, ob sie sich krankmelden. Vor diesem Hintergrund hatte Helmut Kohl 1996 die Lohnersatzrate auf 80 Prozent gesenkt – nach Protesten und Streiks wurde die Reform jedoch zwei Jahre später von der Regierung Schröder rückgängig gemacht. Auch in der aktuellen Situation hält Ziebarth eine solche Kürzung nicht für sinnvoll, da die Mehrheit der Bevölkerung sehr wahrscheinlich dagegen wäre und die Gewerkschaften ebenfalls gegen eine solche Reformmobil machen würden.

Was also tun, um die Fehlzeiten zu senken? Der Wirtschaftsforscher schlägt individuelle Lösungen für die Unternehmen statt gesetzliche Regelungen vor. Sie könnten beispielsweise schon vom ersten Fehltag an eine Krankmeldung vom Arzt verlangen und Teilzeitkrankschreibungen ermöglichen. Statt einer Absenkung der Lohnfortzahlung setzt Ziebarth auf positive Anreize: Mitarbeiter, die immer zur Arbeit kommen und durcharbeiten, sollten eine „Anwesenheitspräme“ bekommen. Für das betriebliche Gesundheitsmanagement sollten die Unternehmerseite, Gewerkschaften, Betriebsärzte und Betroffene zusammenarbeiten, sagt er, „dafür ist jetzt der richtige Zeitpunkt“.

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