Maskenpflicht: Hört auf mit der Maskenpflicht

Maskenpflicht: Hört auf mit der Maskenpflicht

Hört auf mit der Maskenpflicht – Seite 1

Was ist denn schon gegen das bisschen Maske zu sagen? Kann es wirklich so eine Plage sein, sie zu tragen – im Supermarkt oder im ICE? Das schadet doch nicht, das tut doch nicht weh, das ist doch nun wirklich kein Problem! Wenn es doch Leben rettet! Wenn es doch die Gesundheit von Menschen schützt.

Das sind so die ersten Sätze, die man erntet, wenn man die Maskenpflicht kritisiert. Wenn man Skepsis äußert an den Corona-Regeln im Herbst und Winter 2022 – weil man sie, zum Beispiel, zu streng findet und zu wenig durchdacht. Und im ersten Moment sind diese Sätze ja auch plausibel: Na klar fällt einem vom Masketragen nicht die Nase aus dem Gesicht. Und wer könnte schon dagegen sein, Menschen und ihre Gesundheit zu schützen?

Berlins grüne Gesundheitssenatorin Ulrike Gote hat, in diesem Sinne, gerade verkündet, dass sie für ihre Stadt gerne eine Rückkehr zur Maskenpflicht in Innenräumen beschließen würde. In Supermärkten und Geschäften, in Museen und öffentlichen Gebäuden wie Hochschulen (im ÖPNV hatte Berlin die FFP2-Pflicht ohnehin nie abgeschafft). Der Grund, so Grote, sei „ein Ansteigen des Infektionsgeschehens in Berlin“, und zwar ein „rasantes“. Sofort schloss sich Brandenburgs ebenfalls grüne Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher an: „Die Belastungen in den Krankenhäusern steigen spürbar an“, sagte sie dpa. Eine Ausweitung der Maskenpflicht halte sie deshalb für ein probates Mittel. Mehr Mühe in der Begründung gaben sich die beiden Ministerinnen nicht.

Man sieht daran, dass sich etwas verändert hat in der deutschen Corona-Politik – seit Omikron für mildere Verläufe sorgt, seit die Impfquoten stattlich sind und die Grundimmunität in der Bevölkerung beeindruckend hoch liegt: Es geht im Zweifel nicht mehr darum, ob Corona-Entscheidungen klar evidenzbasiert sind, ob sich Nutzen und Aufwand von Maßnahmen vertragen. Es gilt bei politischen Entscheidungen eher, wenn man so will, eine Art Fürsorgepaternalismus nach der Inzidenz des Bauches. Man fühlt sich, wenn man Ulrike Gote sprechen hört, ins Jahr 2021 zurückversetzt, in die grässlichen Monate, als kein Wissen sicher schien. Als das Virus höchst gefährlich war, als viele Menschen tendenziell schutzlos waren. Damals, da sprach man noch zu Recht so.

Aber der Winter 2022 ist anders. Man könnte sich einfach an die Botschaften halten, die Christian Drosten vor einiger Zeit in der Süddeutschen Zeitung äußerte, ein sehr zentraler Satz war: „Die große Krankheitslast ist beseitigt.“ Durch die milde Omikron-Variante, die Impfung und die vielen durchgemachten Infektionen ist die Infektionssterblichkeit, das sagte Drosten fast wörtlich, um den Faktor 20 bis 30 gesenkt. Für den Einzelnen sei die pandemische Gefahr weitgehend gebannt, sagte Drosten. Das Todesrisiko liegt inzwischen höchstens auf Grippe-Niveau. Natürlich, es gibt noch vulnerable Gruppen, und die müssen geschützt werden. Aber welcher Gesundheitsschutz soll es darüber hinaus sein, um den es für breite Teile der Bevölkerung geht?

Lieber eine Maßnahme mehr als eine weniger

Obwohl diese Frage nicht beantwortet ist, hat Deutschland nicht nur neue Corona-Regeln für den Arbeitsplatz erlassen, die seit dem 1. Oktober wieder weitreichendes Masketragen im Büro nötig machen. Deutschland hat auch bundesweite FFP2-Pflichten im Fernverkehr eingeführt, die europaweit ihresgleichen suchen. Zudem steht es den Bundesländern auch frei, weiterreichende Maskenpflichten zu verhängen. Man könnte meinen, Deutschland sei das Land geworden, in dem man lieber eine Maßnahme mehr als weniger beschließt. Nach diesem Motto: Sicher ist sicher, und viel ist besser als wenig.

Eine freiheitliche Demokratie aber, das ist das Problem, funktioniert so nicht. Sie folgt einer Grundregel: Egal, ob man das Masketragen nur mittellästig oder vielleicht auch gar nicht lästig findet – wenn es Menschen vorgeschrieben werden soll, bedingt das eine klare, nachvollziehbare Begründung.

Müssen die Kliniken, wie Gote sagt, noch vor Überlastung geschützt werden? Nun, in Berlin gibt es derzeit trotz einer Inzidenz von fast 500 keine Anzeichen für diese Überlastung. Am Mittwoch lagen 900 Menschen mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus, 64 davon in intensivmedizinischer Behandlung, 37 beatmet. Das sind an sich schon keine hohen Zahlen. Die Statistik sagt aber vor allem nichts darüber aus, wie viele von diesen Patientinnen und Patienten überhaupt wegen Corona im Krankenhaus liegen. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am UKE Hamburg und Präsidiumsmitglied der Intensivmediziner-Vereinigung Divi, sagte gerade in Bild am Sonntag: „Die Situation ist nicht mit der im Herbst 2021 und 2022 zu vergleichen. Denn sowohl auf Normalstationen als auch auf Intensivstationen handelt es sich mehrheitlich um Covid-Fälle, die mit Corona und nicht wegen Corona behandelt werden müssen.“ Er hat „mehrheitlich“ gesagt!

Stressige Zeiten rechtfertigen keinen Eingriff in die Grundrechte

Es ist schon eine besondere Pointe, dass die Erregungskurve der deutschen Corona-Politik trotzdem immer noch nach Inzidenz steigt. Wenn es sich in den Kliniken mehrheitlich um Covid-Zufallsbefunde handelt, wie nicht nur Stefan Kluge versichert, ist doch völlig klar, dass bei steigender Inzidenz auch die Zahlen in den Kliniken steigen: Dort wird eben getestet, im Zweifel häufiger als überall sonst.

Wenn sich aber mit den Intensivstationen keine Maskenpflichten begründen lassen: womit dann? Stefan Kluge verweist im gleichen Gespräch, in dem er Entwarnung signalisiert, auf den Stress, den es für die Kliniken dennoch bedeutet, Infizierte zu isolieren, selbst wenn sie nur wegen eines Armbruchs im Krankenhaus sind. Christian Drosten warnt vor großflächigem Ausfall von Arbeitskräften, was gerade in Bereichen kritischer Infrastruktur ein Problem wäre. Allerdings diskutiert Deutschland hier gar nicht darüber, ob man es machen könnte wie andere Länder. Österreich etwa vereinfacht Isolations- und Quarantäneregeln.

Warum wird das Gesundheitswesen nicht besser ausgestattet?

Ebenso wenig diskutiert Deutschland, warum hiesige Gesundheitspolitiker eigentlich seit fast drei Jahren vor Überlastung warnen, aber immer noch kein deutlicher Aufwuchs in den Klinikstrukturen zu beobachten ist. Dass die Betreiber von Krankenhäusern jede Gelegenheit nutzen, um auf den Mangel im System hinzuweisen, kann man ihnen nicht verübeln. Eine Zeitenwende in Organisation und Ausstattung des Gesundheitswesens oder bei der Bezahlung von Pflegekräften war Corona offenbar niemandem wert.

Stattdessen wird mit der Maskenpflicht die Verantwortung dafür, dass die Mitarbeiter in Krankenhäusern weniger an Stress leiden, an jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin verlagert. Dabei gibt es nicht einmal Studien, die beweisen, dass eine Maskenpflicht in bestimmten, ausgewählten Innenräumen überhaupt spürbaren Einfluss auf das Geschehen in den Kliniken hat: Dass ein Großteil der Ansteckungen vom Supermarkt und dem Museum ausgehen sollen, hat bislang kein Wissenschaftler nahegelegt. Und eine Maskenpflicht in Bars oder Schulen wird – zum Glück – ja nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen.

Dass die Inzidenzen nach Massenveranstaltungen wie dem Oktoberfest steigen, ist dagegen erwiesen – aber auch durch keine Maskenpflicht aufzuhalten, wenn man das Bier nicht mit dem Strohhalm trinken will. Zugleich stehen die Münchner Krankenhäuser trotz Wiesn nicht an der Grenze zur Überlastung. Nur ein drohender Kollaps von Intensivstationen rechtfertigt aber Grundrechtseingriffe wie die Maskenpflicht. Stressige Zeiten, und ja, dies sind enorm stressige Zeiten, tun das nicht.

Stress übrigens erleben die Bürgerinnen und Bürger gerade jeden Tag. Die Inflation geht durch die Decke, manche fürchten sich vor kalten Wohnungen, Ladenbesitzer haben eh schon Probleme damit, Kundschaft anzulocken. Mitten in Europa herrscht Krieg, ein größenwahnsinniger Despot droht mit der Atombombe. Ist es wirklich notwendig, in so einer Zeit mit scharfen, wenig evidenzbasierten Corona-Regeln den nächsten gesellschaftlichen Konflikt zu riskieren?

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