Fast alle in
Mainz nennen sie einfach „die Malu“. Kaum jemand sagt „Frau Dreyer“,
nicht mal die opponierenden Christdemokraten in Rheinland-Pfalz, die sonst gern
förmlich sind.
Malu Dreyer, die an diesem Mittwoch ihren Rücktritt für den 10. Juli als Ministerpräsidentin angekündigt hat, steht
für einen Politikerinnentypus, der in der heutigen SPD rar geworden ist. Sie
war eine absolute Sympathieträgerin. Das zeigte sich noch einmal bei ihrer
letzten Landtagswahl, die sie im März 2021 als Spitzenkandidatin bestritt. Ihre
Landespartei lag damals gut 18 Prozentpunkte über dem Bundesschnitt. Dreyer sei
der wichtigste Grund für ihre Wahlentscheidung gewesen, sagten mehr als die
Hälfte der SPD-Wählerinnen und Wähler in den Umfragen.
Auch die Koalitionspartner FDP und
Grüne loben Dreyers ansteckende Fröhlichkeit und ihre lässige Autorität. Zwar
könne sie sich schon vehement für Anliegen einsetzen, die ihr wichtig sind,
heißt es. Aber andere haben hinterher selten den Eindruck, überrollt oder
gemaßregelt worden zu sein. Herzlichkeit und Augenhöhe, das sind Attribute, die
Menschen, die viel mit ihr zu tun haben, oft nennen.
Kabinett mit dem höchsten Frauenanteil
Ein wichtiger Kernbegriff, der ihre
Art, Politik zu machen, veranschaulicht, lautet „höflicher
Feminismus“. Sie trat ein für Frauenrechte und Emanzipation, na klar. Ihr
Kabinett hatte den höchsten Frauenanteil der Republik. Aber sie führte keinen
Kulturkampf. Sie wusste, wie sie konservative Landräte oder Schuldirektorinnen
ansprechen muss. Sie, die Tochter eines CDU-Kreisvorsitzenden, kennt beide
Welten und verstand es oft gut, zwischen ihnen zu vermitteln.
Auch ihre sichtbare Verletzlichkeit
mag bei vielen zu einem Gefühl der Sympathie beigetragen haben. Dreyer leidet
an Multipler Sklerose, seit sie
Mitte 30 ist. Auf politischen Veranstaltungen sah man sie häufig im Rollstuhl. Oft
stützten Parteifreunde sie auf ihrem Weg zum Podium, so auch am Tag
ihrer Rücktrittsankündigung, an dem ihr designierter Nachfolger sie ans Sprecherpult
führt. Ihren Rücktritt begründet die 63-Jährige mit „Kraft und Energie“, die
ihr allmählich ausgingen. „Die Akkus laden
sich bei mir nicht mehr so schnell auf“, sagte Dreyer.
Berlin mag sie nicht so gern
Ihre Krankheit war wohl einer der
Gründe, warum sie eine bundespolitische Karriere nie ernsthaft anstrebte. 2019
war sie ein halbes Jahr lang kommissarische SPD-Vorsitzende nach dem Rücktritt
von Andrea Nahles. Davor und danach wurden ihr schon alle möglichen Ämter
zugetraut, bis hin zur Bundespräsidentin. Aber Dreyer war schon froh, als sie
nicht mehr SPD-Chefin war. „Die politische Kultur in Berlin ist krass
anders“, sagte sie einmal im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Wenn man in Berlin
„einen Satz falsch“ sage, sei das „eine Katastrophe“. Es
hänge einem „lange nach“. In Mainz sei man weniger auf Konfrontation und Zuspitzung aus.
Aber Dreyer war noch mehr als eine
Sympathieträgerin. Sie war auch ein wichtiges politisches Vorbild,
gewissermaßen die Mutter der Ampel: Ohne sie wäre womöglich die heutige
Regierung in Berlin nie zustande gekommen. Denn in Mainz regiert die Koalition
aus SPD, Grünen und FDP seit 2016, und zwar gedeihlich. Ihr
Vize-Ministerpräsident war zu Beginn der heutige Bundesverkehrsminister Volker
Wissing von der FDP. Später, als Generalsekretär in Berlin, warb er dafür, die
Ängste in der FDP vor SPD und Grünen abzubauen. Nach dem Motto: Unter der Malu
klappt es doch auch.
Unter Scholz klappt es nicht so wie in Mainz
Ihr Regierungsbündnis in Mainz galt
als Vorbild, als funktionierende Referenzgröße, auch unter Grünen und
Sozialdemokraten. Nicht zufällig fand ein Großteil der Koalitionsgespräche
zwischen Scholz, Wissing und den anderen im Herbst 2021 in der rheinland-pfälzischen
Landesvertretung in Berlin statt.
Nur muss man heute, fast drei Jahre später feststellen, den Geist aus Mainz haben sie nicht transportieren
können. Was bei Dreyer eine gewisse Leichtigkeit hatte, wirkt unter Scholz oft
kompliziert und anstrengend. Wo man in Berlin zankt und ätzt, lachte man in
Mainz und suchte nach einer tragfähigen Lösung.
Wobei, spätestens an dieser Stelle würde die CDU
widersprechen. Ein bisschen Image-Legende ist bei diesem Malu-Bild schon
auch dabei. Die Liste an Vorwürfen, die die CDU politisch gegen sie
erhebt, ist lang. Dreyers Rücktritt sei ein „Schlussstrich unter eine
jahrelange Stillstandspolitik in Rheinland-Pfalz“, sagt der
CDU-Landesvorsitzende Christian Baldauf. Bei zu vielen Themen sei ihre
Regierung untätig geblieben, kritisierte er. Als erstes Beispiel wird oft das
schlechte Krisenmanagement der Landesregierung nach der Flutkatastrophe im
Ahrtal genannt.
Der Nachfolger
Ihr Nachfolger soll Alexander Schweitzer werden, der bisherige Sozialminister. Davor war er Fraktionschef im
Landtag und ganz früher mal Juso-Vorsitzender der Pfalz. Er kennt also Land und
Leute gut.
Schweitzer, dem ein großes
Selbstbewusstsein nachgesagt wird, zeigt sich betont demütig. Die Fraktion
folgte an diesem Mittwoch einstimmig dem Vorschlag Dreyers, ihn zu nominieren. Beim gemeinsamen Auftritt am Nachmittag nennt er Dreyer sein „Vorbild“ und
betont, in welch „große Fußstapfen“ er nun trete. Damit hat er immerhin
die Lacher auf seiner Seite. Schweitzer ist 2,06 Meter groß. Seine zierliche
Vorgängerin überragt er um mindestens eine Kopflänge.
An Malus positive Ausstrahlung käme er
nicht unbedingt heran, hört man aus der Mainzer Ampel. Aber vielleicht sei
jetzt ein bisschen neuer Ehrgeiz auch nicht verkehrt, hoffen sie. Zuletzt bei
den Kommunal- und Europawahlen schnitt die SPD (und die anderen Ampel-Parteien) zwar besser
als im Bundesschnitt ab. Aber eben auch weit schlechter als früher.
Fast alle in
Mainz nennen sie einfach „die Malu“. Kaum jemand sagt „Frau Dreyer“,
nicht mal die opponierenden Christdemokraten in Rheinland-Pfalz, die sonst gern
förmlich sind.
Malu Dreyer, die an diesem Mittwoch ihren Rücktritt für den 10. Juli als Ministerpräsidentin angekündigt hat, steht
für einen Politikerinnentypus, der in der heutigen SPD rar geworden ist. Sie
war eine absolute Sympathieträgerin. Das zeigte sich noch einmal bei ihrer
letzten Landtagswahl, die sie im März 2021 als Spitzenkandidatin bestritt. Ihre
Landespartei lag damals gut 18 Prozentpunkte über dem Bundesschnitt. Dreyer sei
der wichtigste Grund für ihre Wahlentscheidung gewesen, sagten mehr als die
Hälfte der SPD-Wählerinnen und Wähler in den Umfragen.