„Make Europe Great Again“: Autoritäre Copycats

In der Serie „Politisch motiviert“ ergründen unsere Autorinnen und Autoren politische Themen der Woche. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 25/2024.

Natürlich ist das billig: „Make Europe Great Again“ hat Viktor Orbán zum Slogan seiner turnusmäßigen Ratspräsidentschaft in der EU gemacht. MEGA statt MAGA also, einfach rüberkopiert über den Atlantik. Doch so, wie nur Idioten den gleichen Fehler zweimal machen, bemühen sich auch nur Idioten, Dinge neu zu erfinden, die schon funktionieren. Von Trump lernen heißt Siegen lernen, das weiß Copycat Orbán. So wie er überhaupt weiß: Der schnellste Weg zum autokratischen Erfolg führt über Nachahmung.

Lange unterstellte man Autokratien, dass sie anders als Demokratien nicht lernfähig seien, weil sie sich nicht durch Wahlen und kritische Öffentlichkeit ständig selbst erneuern. Das aber war ein fataler Irrtum der sich ihrer Überlegenheit zu sicheren liberalen Demokratien. Denn tatsächlich ist es andersrum: Autokraten lernen ständig voneinander, sie schauen sich Tricks und Strategien ab, reichen sich die Instrumente rum und teilen sich, wie jetzt Orbán und Trump, sogar die Slogans.

Es ist ja kein Zufall, dass Putin, Erdoğan, Orbán und wie sie alle heißen bei allen Unterschiedlichkeiten auf ähnliche Rezepte setzen: eine Kulisse aus vermeintlich demokratischen Wahlen, eine weniger durch harte Zensur als durch Einschüchterung und ökonomischen Druck abgewürgte kritische Öffentlichkeit. Und im Hintergrund werden die rechtsstaatlichen Institutionen möglichst so umgeschraubt, dass sie dem Machthaber dienen, statt ihn zu beschränken. Heute kommen einem diese Rezepte selbstverständlich vor, dabei sind sie noch relativ neu. Aus Fear Dictators wurden Spin Dictators, wie das die Sozialwissenschaftler Sergei Guriev und Daniel Treisman nennen. Die Autokratien haben sich gewissermaßen von oben erneuert, indem sie sich gegenseitig nachgeahmt haben.

Ressentiment auf Welttournee

Die so bereitete Bühne bespielen sie dann mit länderübergreifendem Agitprop: Der aggressive Spott über eine vermeintliche Entmännlichung und Entweiblichung durch queere Menschen ist ebenso ein internationaler Schlager wie die antisemitischen Kampagnen gegen George Soros. Was in einem autokratischen Regime funktioniert, wird schnell im anderen übernommen. Das Ressentiment geht auf Welttournee.

Das funktioniert auch deshalb so gut, weil es für die Zusammenarbeit der Autokraten „außer eines vagen Antiliberalismus keinerlei ideologischer Gemeinsamkeiten bedarf“, wie der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller vor zwei Jahren in der ZEIT schrieb. „Im 20. Jahrhundert konnte man sich über subtile Marx-Exegese geopolitisch entzweien; heutzutage ist irrelevant, ob der vermeintliche Kreml-Einflüsterer und Eurasien-Guru Alexander Dugin und der Trumpismus-Theoretiker Steve Bannon in ihrer Geschichtsphilosophie d’accord gehen.“ Der Autoritarismus ist, wie der Faschismus, theoriearm und gestenreich. Das ist sein Vorteil. Gerade gegenüber Demokratien, die sich in ihrer Krise ausgerechnet mit jener Lernfähigkeit schwertun, auf die sie sich so viel einbilden.

Die Empörung über den MEGA-Slogan jedenfalls war berechenbar und von Orbán längst eingepreist, genüsslich erwartet womöglich. Autokraten spielen mit solchen liberalen Reflexen, denn die Empörung der Liberalen bestätigt in den Augen ihrer Anhänger nur, dass Orbán und Konsorten alles richtig machen.

Demokratien kommen aus diesem Reiz-Reaktionsschema nur raus, sie kommen überhaupt erst dann vor die autokratische Welle, wenn sie ihre eigene, innere Erneuerung wieder als Aufgabe verstehen. Und nicht als Selbstverständlichkeit. Aber statt Best Practice orientiert man sich zu sehr an Worst Practice.

Dänemark statt Weimar

Zum Beispiel gruselt man sich gerade in Deutschland gern vor Weimar, vor dem damaligen Scheitern der Demokratie als vermeintliche Blaupause für die jetzige Krise. Der Historiker Thomas Etzemüller stellte dazu Anfang des Jahres im Merkur eine so einfache wie verblüffende Gegenfrage: „Von welchen Gesellschaften können wir größeren Aufschluss für die Gegenwart gewinnen, von denen, die ihre Demokratie zerstört, oder denjenigen, die sie bewahrt haben?“ Er warb dafür, nicht nur auf Weimar zu schauen, sondern beispielsweise auch auf das Skandinavien der Zwischenkriegsjahre. Wo in Dänemark 1933 das parteiübergreifende Kanslergade-Abkommen die Demokratie stabilisierte und die Grundlage für das schuf, was später als Konsensdemokratie so erfolgreich war.

Geschlossen wurde dieses Abkommen, von dem sich ja möglicherweise auch heute etwas lernen ließe, ausgerechnet am 30. Januar, am Tag von Adolf Hitlers Machtergreifung, an dem Nazis im Fackelzug durch Berlin marschierten. Das eine Ereignis hat das andere nachvollziehbarerweise völlig in den Schatten gestellt. Etzemüller schreibt: „Die Fotos des riesigen Aufmarschs in Berlin stehen plakativ für den Anfang der Barbarei. Eine Fotografie des Kanslergarde-Abkommens zeigt einen mit Papier beladenen Schreibtisch, um den herum drei gesetzte Herren stehen. (…) Diesem Bild fehlt jede dramatisierende Wirkung.“ Deshalb geht es in unserer Erinnerung unter. Dabei würde sich lohnen, gerade die Schätze, die im Schatten liegen, hervorzuholen: die unspektakulären Momente, die drögen Abkommen und unterlassenen Fehler, dank derer die Demokratie überhaupt bis heute überleben konnte.

In der Serie „Politisch motiviert“ ergründen unsere Autorinnen und Autoren politische Themen der Woche. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 25/2024.

Natürlich ist das billig: „Make Europe Great Again“ hat Viktor Orbán zum Slogan seiner turnusmäßigen Ratspräsidentschaft in der EU gemacht. MEGA statt MAGA also, einfach rüberkopiert über den Atlantik. Doch so, wie nur Idioten den gleichen Fehler zweimal machen, bemühen sich auch nur Idioten, Dinge neu zu erfinden, die schon funktionieren. Von Trump lernen heißt Siegen lernen, das weiß Copycat Orbán. So wie er überhaupt weiß: Der schnellste Weg zum autokratischen Erfolg führt über Nachahmung.

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