Luisa González hat die Chance, zur ersten Präsidentin Ecuadors gewählt zu werden. Kann sie dem Schatten ihres politischen Übervaters, Ex-Staatschef Rafael Correa, entkommen?
Mit ihrem Talent zu Ausgleich und Mediation könnte González ein zerrissenes Land durchatmen lassen
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Sie stammt aus einer Familie der unteren Mittelschicht in der ländlichen Küstenprovinz Manabí, heiratete mit 15 und bekam ein Jahr später ihr erstes Kind. Bald danach ließ sich Luisa González scheiden, holte Abitur sowie Studium nach. Im Februar lag sie als Vorsitzende der Partei Revolución Ciudadana (Bürgerrevolution) beim ersten Wahldurchgang nur um 0,17 Prozent der Stimmen hinter dem amtierenden Staatschef Daniel Noboa. Die meisten Beobachter hatten ihn als souveränen Sieger erwartet, doch war seine anfänglich enorme Popularität nach dem faktischen Scheitern einer rein militärischen Strategie gegen Drogenhandel und Kriminalität rasch gesunken. Umso mehr ist Luisa González (47) am 13. April gegen den superreichen, in den USA geborenen Macho Noboa (37) in der Stichwahl nicht chancenlos. Sie verkörpert eine ganz andere Vita.
González ist Rechtsanwältin und hat einen Master in Internationaler Wirtschaft und Entwicklung der Universität Complutense in Madrid erworben. Ohne viel Lebensdisziplin und Ausdauer wäre das kaum möglich gewesen. Es sind Tugenden, die sie auch von 2007 bis 2017 in der Regierung des linken Präsidenten Rafael Correa in einer eher administrativen Funktion unter Beweis stellen konnte.
Großartige Visionen sind nicht die Stärke von Luisa González. Dass sie eine Abtreibung selbst nach einer Vergewaltigung ablehnt, hat ihr in der dynamischen und selbstbewussten Frauenbewegung Ecuadors keine Freundinnen verschafft. Viel Kopfschütteln rief ihre Ansage im Wahlkampf hervor, sie würde die Regierung von Nicolás Maduro in Caracas anerkennen, um venezolanische Migranten in ihre Heimat zurückschicken zu können.
Das Regierungsprogramm der begeisterten Radfahrerin erinnert an das von Correa. Den Staat will sie bei der sozialen Grundversorgung und Investitionen in die Verantwortung nehmen. Es soll keine Privatisierungen geben, weder im sozialen noch im Energie- oder Erdölsektor. Ecuador sei gut beraten, die Kooperation in Lateinamerika zu fördern. Alles nachvollziehbar, aber angesichts eines Ölpreises, der deutlich niedriger ist als während der Regierungszeit Correas, und eines andauernden Krisenzustands nur in Maßen Realpolitik. Ecuador ist polarisiert wie selten zuvor und leidet unter einer unverfrorenen Korruption wie geschwächten Institutionen, unter Drogenhandel und Kriminalität. Manche sprechen von einem „Narco-Staat“, wie die Wochenzeitung The Economist im November sogar titelte.
Paradigmenwechsel mit Luisa González in der Wirtschaftspolitik
Sein Land stehe vor der Alternative „Sozialdemokratie oder Faschismus“, glaubt Leonidas Iza, Präsident der größten Indigena-Vereinigung CONAIE. Ein Wahlsieg des Trump-Freundes Noboa würde die vorhandenen Konflikte eher befeuern als beruhigen, was Gesetzesbruch und Menschenrechtsverletzungen Vorschub leiste. Sollte wiederum González gewinnen, erwartet Iza keine linke Regierung. Allerdings könnte eine seriöse staatliche Sozialpolitik sowie Reorganisation des Staats-, Justiz- und Sicherheitsapparats – wie von der Kandidatin versprochen – zumindest teilweise kriminellen Banden die Basis entziehen und die existenzielle Not einzelner Bevölkerungsgruppen lindern.
Rechnerisch erscheint ein Triumph für González nicht sicher, jedoch denkbar, nachdem es ihr Ende März gelang, eine politische Übereinkunft mit einigen progressiven Gruppen und der Indigena-Bewegung zu schließen. Deren Präsidentschaftskandidat Iza erreichte im Februar mit gut fünf Prozent der Stimmen den dritten Platz. Um sich zu arrangieren, war González zu Konzessionen bereit. So soll es ein Moratorium für weitere Bergbauprojekte geben, während die vorhandenen überprüft werden. Dies bedenkt die Interessen der indigenen Bevölkerung und schließt eine mögliche Entscheidung im Sinne der erfolgreichen Volksabstimmung über ein Ende der Ölförderung im Yasuní-Nationalpark ein.
Käme es dazu, wäre dies eine klare Abkehr von der einstigen Wirtschaftspolitik Rafael Correas. „Es kommt darauf an, dieses Land zu heilen, um Hass und Konfrontation hinter sich zu lassen“, erklärte González nach der Übereinkunft und rief ihre politischen Gegner zum Dialog auf. Sollte sie dies ernst meinen, wäre es ein Paradigmenwechsel. Ex-Präsident Correa, der – verurteilt wegen Korruption – im belgischen Exil lebt, war ein visionärer, aber kein kompromissfreudiger, sondern autoritärer Politiker. Unabhängige Bewegungen wie die der Indigenas waren ihm stets ein Dorn im Auge, sodass deren Protest vielfach kriminalisiert wurde.
Deshalb begrüßen innerhalb der CONAIE nicht alle den Wahlaufruf für die Bewerberin der Revolución Ciudadana. Unabhängig davon könnte ihr Talent zu Ausgleich und Mediation dem zerrissenen Ecuador guttun. Ob Luisa González hierzu den Spielraum gegenüber Correa hätte, der wie ein Übervater nicht nur auf vielen Wahlplakaten hinter ihr aufscheint, sondern bis heute die Fäden seiner Partei in der Hand halten soll, bleibt offen. Sicher wäre nur, dass ihr Wahlerfolg auf die erbitterte Opposition der militärischen und ökonomischen Eliten Ecuadors sowie der US-Regierung treffen dürfte.