Stau sind die Anwohner in Lüdenscheid nach der vier Jahre andauernden Brückensperrung gewohnt, aber in den Autoschlangen am Montagmittag dürfte die Stimmung hinterm Steuer trotzdem besser als üblich gewesen sein: Schon lange bevor die Rahmedetalbrücke auf der Autobahn 45 für den Verkehr freigegeben wurde, reihten sich Autos auf beiden Seiten der Brücke hintereinander ein, ganz offensichtlich um zu den frühesten Brückenkreuzern zu gehören.
Einer der ersten Überquerer war allerdings Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), dessen Limousine das Brückenstück nach der offiziellen Einweihung am Montag in beide Richtungen abgefahren ist. Merz, der aus dem Sauerland stammt, zeigte sich sichtlich erleichtert, noch kurz vor Weihnachten den wichtigen Verkehrsknotenpunkt auf der A 45 freigeben zu können. Und das früher, als lange erwartet worden war. „Deutschland kann solche Projekte sehr schnell umsetzen“, sagte Merz, wenn denn alle gemeinsam daran arbeiteten. Das sei in Lüdenscheid der Fall gewesen.
Die Sperrung der Talbrücke Rahmede im Dezember 2021 sei für die ganze Region ein „Schock“ gewesen, sagte Merz. Mehr als vier Jahre habe sich der Verkehr der A 45 durch Lüdenscheid „gequält“. Der Bundeskanzler drückte sein Bedauern darüber aus, wie gebeutelt die Region durch die Staus auf Umleitungsstrecken war, was Anwohner belastet und Unternehmen dazu gezwungen habe, ihre Lieferketten neu zu denken. Eine Situation, die mitunter dazu geführt habe, dass Unternehmen wichtige Fachkräfte verloren hätten, weil sie die unkalkulierbaren Anfahrtswege zur Arbeit nicht mehr auf sich nehmen wollten.
„Aus verkehrspolitischer Sicht waren es aber nur vier Jahre“, sagte Merz. Im Normalfall rechne man für einen Ersatzneubau, inklusive aller Planungen, mit acht bis zehn Jahren. „Und manchmal mehr.“ Tatsächlich gibt es für die ungewöhnliche Geschwindigkeit, mit der die Ersatzbrücke aus dem Boden gestampft wurde, eine ganze Reihe von Gründen. Der wichtigste dürfte sein, dass schon früh klar wurde, unter welchen Belastungen die Menschen in der Region schon von der ersten Minute der Sperrung leben mussten.
Der Verkehrsminister hatte extra einen Brückenbeauftragten berufen
Schnell wurden Zuständige benannt. Die bundeseigene Autobahn GmbH stellte ein Projektteam mit 20 Mitarbeitern zusammen, der damalige Bundesverkehrsminister Volker Wissing berief einen Brückenbeauftragten. Am Montag lobte Bundeskanzler Merz ausdrücklich die Bemühungen Wissings für eine schnelle Wiederherstellung der Brücke. Die Vorgabe der Politik war klar. Anders als bisher sollte nicht mehr nacheinander, sondern parallel gearbeitet werden: der Abbruch der baufälligen alten Brücke und die Planung der neuen.
Schon das sonst umständliche Vergabeverfahren wurde deutlich abgekürzt. Die Arbeiten an der Brücke wurden „funktional ausgeschrieben“, damit konnten die Baufirmen früher als üblich in den Bauprozess einsteigen und jenseits der konkreten Vorgaben vieles selbst entscheiden. Auch ein Planfeststellungsverfahren war nicht nötig, weil eine Ausnahme genutzt werden konnte. Die Behörden hielten kurze Fristen ein, Entscheidungen wurden frühzeitig getroffen.
Innerhalb eines Jahres wurden die Planungen abgeschlossen, und Baurecht wurde geschaffen. Fast 50 Unternehmen waren am Projekt beteiligt, gerade der Bau und die Zusammenführung der Brückenteile nach der Sprengung der alten, maroden Brücke im Jahr 2023 gingen zügiger voran als vielerorts erwartet. Und ebenfalls nicht unwichtig: Niemand klagte gegen das Bauprojekt.
Als „Vorbild für künftige Bauprojekte im ganzen Land“ bezeichnete Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) die Verkehrsfreigabe des ersten Teilabschnittes der Talbrücke. Zwei Milliarden Euro im Jahr sollen in die Sanierung und den Neubau von Brücken gesteckt werden, sagte der Verkehrsminister. Allein an den Autobahnen müssen in den nächsten Jahren 4000 Brücken saniert werden, was Merz als „Mammutaufgabe“ bezeichnete. „Aber das, was hier beim Ersatzneubau der Talbrücke Rahmede noch eine Ausnahme war, soll in Zukunft der Normalfall in Deutschland werden“, sagte Merz. Deutschland könne bauen, und es werde gebaut. „Und es wird sehr viel schneller gehen als in der Vergangenheit“, kündigte der Bundeskanzler an.
Der Brückenbeauftragte in Lüdenscheid und Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (SPD) bezeichnete die Rahmedetalbrücke am Montag gar als ein Symbol dafür, was möglich sei. Dieser „Moment des Aufatmens für Lüdenscheid“ komme aber auch nach Jahren, die „eine enorme Belastung“ gewesen seien. Elfriede Sauerwein-Braksiek, die Direktorin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH, bezeichnete die von ihr anberaumte Brückensperrung im Jahr 2021 am Montag als „die schwerste Entscheidung“ ihres Berufslebens. „Weil ich wusste, was wir den Menschen damit zumuten.“
Anwohner und Unternehmen aus der Region sind nicht nur gebeutelt durch die Staus. Viele fürchten auch, dass die zusätzliche Belastung der Straßen durch den Umleitungsverkehr der letzten Jahre zukünftige Schwachstellen in der Verkehrsinfrastruktur nach sich zieht. Anders als im Ruhrgebiet sind die Alternativrouten im bergigen Sauerland begrenzt. „Wir können sehr deutlich sehen, dass das gesamte Straßennetz seit der Brückensperrung überproportional gelitten hat“, sagte etwa Unternehmerin Britta Hölper der F.A.Z. „Wir lassen die Region nicht allein“, sagte indes NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Das Bundesland habe zugesagt, 100 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren in Sanierung zu stecken.