Linken-Parteitag: Jan van Aken und Ines Schwerdtner da sein Feuertaufe

Ein Signal des Aufbruchs und der Erneuerung soll von diesem Parteitag ausgehen – verkörpert durch die neue Doppelspitze der Linken: Ines Schwerdtner und Jan van Aken. Beide haben in ihren Bewerbungsreden eine klare Botschaft gesendet: Die Linke will Zuversicht in der Gesellschaft wecken und sich als politische Kraft neu aufstellen. Schwerdtner betonte, dass die Partei eine lebendige Alternative zur Angst sein müsse, während van Aken versprach, wieder Hoffnung und Mut zu vermitteln. Mit 79,8 Prozent (Schwerdtner) und 88,0 Prozent (van Aken) gewählt, stehen sie nun vor der Herausforderung, die Partei in ihrer tiefsten Krise zu einen und neu auszurichten.

Die beiden stehen vor enormen Herausforderungen. Die Linke steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte, Medien schreiben seit Monaten Abgesänge und Nachrufe, links wie rechts haben langjährige Mitglieder die Partei verlassen. Es gibt zwar viele Aufgaben für das neue Führungsduo, aber im Kern lassen sie sich auf zwei zentrale Ziele zuspitzen.

Kurzfristiges Ziel: Wiedereinzug in den Bundestag

Nicht alles, aber sehr viel hängt davon ab, ob die Partei bei der nächsten Bundestagswahl wieder ins Parlament einzieht. Die Aussichten, dieses kurzfristige Ziel zu erreichen, sind jedoch nicht besonders gut. Bereits vor der Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht sah es in den Umfragen schlecht aus. Seitdem es die neue Partei gibt, ist es weiter bergab gegangen. Die Linke steht in Umfragen bei zwei bis vier Prozent und wird teilweise gar nicht mehr aufgeführt. Für die kommenden elf Monate braucht es eine klare Kampagne, damit genügend Menschen wissen, wofür die Partei steht und ihr Kreuz bei ihr machen.

Ines Schwerdtner setzte im Zuge ihrer Bewerbung auf Themen des Alltags. Um Hoffnung geben zu können, so Schwerdtner in ihrer Bewerbungsrede, brauche es Klarheit in den Positionen, einen Fokus auf einige Themen und Glaubwürdigkeit.

Bemühen um Einheit auch beim Thema Nahost

Um den Wiedereinzug in den Bundestag zu schaffen, braucht die Partei Einheit. Auf dem Parteitag schien eine große Mehrheit erkannt zu haben, was auf dem Spiel steht. Selbst beim traditionellen Streitthema Nahost waren alle Seiten um einen Kompromiss bemüht. Am Freitagabend ging es um mehrere Anträge zur Definition von Antisemitismus und die Frage, ob der Gaza-Krieg, in dem Zehntausende palästinensische Zivilisten getötet wurden, als Genozid bezeichnet werden sollte. Die innerparteiliche Stimmung war in den Tagen vor dem Parteitag angespannt, nachdem eine Gruppe um den früheren Berliner Kultursenator Klaus Lederer und die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau beim Berliner Landesparteitag für einen Eklat gesorgt hatte. Sie verließen demonstrativ den Parteitag, nachdem Änderungsanträge zu dem Antrag „Gegen jeden Antisemitismus“ Mehrheiten gefunden hatten.

Die Delegierten waren am Freitagabend sichtlich bemüht, eine Wiederholung des Berliner Vorfalls zu verhindern. Für Jan van Aken und Ines Schwerdtner war es die Feuerprobe. Sie mussten bereits verhandeln, bevor sie überhaupt in ihr Amt gewählt wurden. Die ganze Woche vor dem Parteitag fanden immer wieder Gespräche und Videokonferenzen mit den verschiedenen Strömungen statt. Noch während die Generaldebatte lief, fanden am Freitagnachmittag am Rande des Parteitags weitere Gespräche statt. Diese lobte Jan van Aken am Freitag ausdrücklich. Es habe eine hervorragende Debatte gegeben, die von gegenseitigem Zuhören geprägt gewesen sei. Der verhandelte Ersetzungsantrag zu den eingebrachten Anträgen sei kein fauler Kompromiss, sondern eine Weiterentwicklung. Es gehe um Sicherheit und Frieden für alle in der Region. Im Antrag war dann zwar nicht von Genozid die Rede, aber mit Bezug auf den Internationalen Gerichtshof von der „Gefahr genozidaler Handlungen in Gaza“ und dem Bemühen, „einen Genozid zu verhindern“. Gleichzeitig grenzte man sich auch klar ab: Wer das Existenzrecht Israels in Frage stellt, könne kein Bündnispartner für Die Linke sein.

Der nun ehemalige Parteivorsitzende Martin Schirdewan nannte in seiner Abschiedsrede am Samstagmorgen die Debatte vom Freitag eine „Sternstunde der innerparteilichen Demokratie“ und schwor die Linke, ebenso wie viele andere Redner, auf die Einheit ein. Die Akteure innerparteilicher Strömungen bewerteten den Kompromiss unterschiedlich. Thies Gleiss von der Antikapitalistischen Linken lobte am Rednerpult ebenfalls das angenehme Klima und warb dafür, den Antrag zu akzeptieren. Der Kompromissantrag fand am späten Freitagabend schließlich eine überwältigende Mehrheit; nur etwa eine Handvoll Delegierte stimmten dagegen. Viele Delegierte reagierten erleichtert – und auch etwas überrascht.

Christine Buchholz lehnt den jedoch Kompromiss ab. Sie ist ehemalige Bundestagsabgeordnete und aktiv bei der Organisation Sozialismus von unten, die unter anderem in der Palästina-Solidarität engagiert ist. Der verhandelte Kompromissantrag versuche lediglich, allen Strömungen gerecht zu werden, ohne eine klare Position an entscheidenden Punkten zu beziehen. Die Linke halte dem medialen Druck nicht stand und bemüht sich auf falscher politischer Grundlage um Einheit. Das gehe auf Kosten der Glaubwürdigkeit, sagt Buchholz am Rande des Parteitags gegenüber dem Freitag. „Das hat sich bei den zurückliegenden Wahlniederlagen gezeigt. Auch das Thema Krieg und Frieden in der Ukraine wurde zugunsten des inneren Friedens der Partei in den Wahlkämpfen viel zu defensiv behandelt. Hier hat die mangelnde Konfliktbereitschaft mit dem herrschenden Diskurs und das Streben nach Einheit die Glaubwürdigkeit nach außen und die Handlungsfähigkeit geschwächt.“

Langfristiges Ziel: Neuaufbau der Partei

Dem kurzfristigen Ziel, den Wiedereinzug in den Bundestag durch Fokussierung und Einheit zu erreichen, steht das langfristige Ziel gegenüber: den Neuaufbau der Partei, die sich auf die Umrisse eines Sozialismus im 21. Jahrhundert verständigt – eine Herausforderung, die sich nicht erst seit ein paar Monaten stellt. Die Partei, die sich 2007 aus PDS und WASG gegründet hat, blieb immer eine Partei der vielen Strömungen: Ostdeutsche Reformer trafen auf westdeutsche Linksgewerkschaftler und auf einstige DKP-Mitglieder.

In den Anfangsjahren stand bei der Linken die Einheit im Vordergrund. Das gemeinsame Projekt war die Ablehnung der Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung 1998 bis 2005: gegen Hartz IV, gegen Privatisierungen, gegen niedrige Löhne. Diese Ablehnung schloss die Reihen und brachte Wahlerfolge. Die Linke wurde zur „antineoliberalen Sammlungspartei“. Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte sie mit 11,9 Prozent ihr bestes Ergebnis, an das sie nie wieder herankam. Spätestens 2012 geriet der Formierungsprozess einer schlagkräftigen sozialistischen Massenpartei ins Stocken, weil die Phase der Einheit nicht von einer Phase der Klarheit abgelöst wurde. Interne Flügelkämpfe nahmen zu, und die Partei erlitt bei Landtagswahlen zunehmend Niederlagen. Die Zustimmung im Bund stagnierte bei etwa zehn Prozent, doch ein gemeinsames Projekt, das die antineoliberale Sammlungspartei ablösen könnte, wurde nicht entwickelt. Versuche gab es, doch sie zogen nicht: Weder der „Infrastruktursozialismus“ und die „verbindende Klassenpolitik“ noch das Konzept einer modernen Gerechtigkeitspartei konnten die Partei konzeptionell einen und auch nicht populärer machen. Im Gegenteil: In den Umfragen ging es weiter bergab, und eine Gruppe um Sahra Wagenknecht verließ nach jahrelangen, kräftezehrenden Machtkämpfen die Partei und gründete eine neue.

Einheit /und/ Klarheit

Die Aufgabe, Die Linke mittel- und langfristig zu einer sozialistischen Partei zu machen und den Sozialismus als Orientierungspunkt auszubuchstabieren, könnte sich als noch schwieriger erweisen als der Wiedereinzug in den Bundestag. Die große Herausforderung wird darin bestehen, Einheit und Klarheit miteinander zu verbinden.

Einheit und Klarheit stehen immer in einem Spannungsverhältnis, besonders in einer Sammlungspartei. Das Gesammelte muss vereint werden, Kompromisse sind notwendig; gleichzeitig braucht es Klarheit, die schwer herzustellen ist. Wer nur das eine oder das andere will, könnte scheitern, ein Pochen auf Klarheit Spaltungen und Fragmentierungen weiter begünstigen. An Streitpunkten mangelt es nicht. Die Gefahr besteht auch darin, sich in Details zu verlieren oder zu allgemein zu bleiben. Doch auch das Streben nach reiner Einheit birgt Risiken: Wer nur Kompromisse sucht und alle Strömungen ausbalancieren will, erreicht kurzfristig vielleicht Einheit, die aber mittel- und langfristig zerbröckeln könnte. Zu viel innere Harmonie gerht schnell auf Kosten von inhaltlicher Präzision und Schärfe.

Die Kernaufgabe der neuen Vorsitzenden wird es sein, den Widerspruch zwischen Einheit und Klarheit aufzuheben und beides miteinander in Einklang zu bringen.

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