Heinrich Heines Gedicht mit dem Anfangsvers „Im Rhein, im heiligen Strome“ ist oft vertont worden. Der Kontrast zwischen der wuchtigen Sakralaura des Kölner Doms und einem anmutigen Marien-Bildnis, von dem das lyrische Ich an seine verlorene Geliebte erinnert wird, hat Komponisten zu ganz verschiedenen Lesarten inspiriert. Robert Schumann setzte auf starre Punktierungen und eine an Bach ausgerichtete musikalische Strenge. Franz Liszt entwarf ein raffiniertes Klanggeflecht aus Achteltriolen und chromatisch schweifender Melodie. Es ist die Introspektive, die bei Liszt von Anfang an zählt. Sie macht das Spiegelbild aufragender Gotik in den Wellen des Rheins zum Sinnbild emotionaler Verstörungen.
Helmut Deutsch, an Heiligabend vor achtzig Jahren in Wien geboren, hat beide Versionen oft gespielt. 2011 gelang ihm mit Diana Damrau eine betörende Aufnahme der Liszt’schen Fassung. Er schafft eine irisierende Klangfläche, bei der Melodie und Begleitung, harmonische Pendelbewegung und sinnlicher Wellenschlag verschmelzen, ohne dass viel Pedal nötig wäre. Im Mittelteil, in dem Liszt einen Registerwechsel in Richtung Diskant vorschreibt, meint man Blumen zu riechen und Englein schweben zu sehen. Das Bild der Geliebten ist eine Halluzination. Damrau singt die Verzierungen mit delikater Eleganz, das notierte Portamento wird als Stilmittel genutzt. Am Ende zeigt Deutsch, wie auch ein vollgriffiger Klaviersatz im Pianissimo leuchten kann.
Professor an der Münchner Musikhochschule
Drei Minuten verdichteter, trotzdem sofort verständlicher Liedkunst. Sie können als Beispiel gelten, wenn es darum geht, Deutsch als einen der wichtigsten Liedpianisten unserer Zeit zu würdigen. Als er anfing, war er der Juniorpartner von Stars wie Irmgard Seefried und Hermann Prey. Heute ist der Seniorpartner seiner Schüler und Enkelschüler. So hat er sich auch selbst immer wieder verjüngt. Wenn er spielt, bedeutet das musikalische Partnerschaft, und es ist gar nicht selten, dass sich Sängerinnen und Sänger selbst übertreffen, wenn sie seinen Anregungen folgen. Fast dreißig Jahre hat er die Kunst des Liedes an der Münchner Musikhochschule vermittelt. Meisterkurse gab und gibt er weltweit. 2018 rief er in seiner Heimatstadt einen Lied-Wettbewerb ins Leben, der seinen Namen trägt, Nachwuchsförderung und Denkmal zugleich ist.
Der Moderne hat er sich nicht groß gewidmet. Mit der Art, wie Benjamin Britten oder Aribert Reimann als Pianisten Lieder der Romantik neu gedeutet haben, hat seine Flexibilität nichts zu tun. Und auch diese Facette gehört dazu: Wer so lang im Geschäft ist, versteht die Kunst, im Geschäft zu bleiben. Helmut Deutsch ist ein Freund der Stars, selbst dort, wo es für den Hörer über die Schmerzgrenze gehen kann. Liszts „Im Rhein“ hat er auch mit Jonas Kaufmann aufgenommen: gemütlich im Tempo und, was den Sänger betrifft, gaumig in der Tongebung, unentschlossen in der Phrasierung. Deutsch wird wissen, warum er das (mit)macht. Was er kann und was er ist, speist sich aus anderen Quellen.
Source: faz.net