„Leute von früher“: Die Liebe in Zeiten steigender Meeresspiegel

Derzeit werden Frühlingsgefühle wahlweise versengt oder zugehagelt. Der April war erst Sommer, nun ist er Herbst, jener Klimawandel wirkt. Gerade rechtzeitig erscheint da Kristin Höllers neuer Roman Leute von früher. Darin leuchten die Liebe und die Sonne; die junge Autorin vernäht Romanze und Klimakatastrophe. Und dasjenige gelingt ihr beeindruckend luftig.

Anfangs sind weder Gefühle noch Wetter weitläufig Thema. Marlene, die demnächst dreißigjährige Protagonistin aus Leute von früher, hat nachdem konzis neun Jahren ihr Medienpraxis-Studium in Hamburg verriegelt und weiß nicht, wohin mit sich. Die Welt hat nicht gen sie gewartet, danach begegnet Marlene ihr in einem Modus betonten Desinteresses. Marlene raucht „gelegentlich und ohne Enthusiasmus“, datet den Schnösel Paul, weil sie „auf eine zurückhaltende Weise von ihm angezogen“ ist, und will sich nachdem ihrem Studienende erst mal „einfach ein halbes Jahr keine Gedanken machen“ sollen. Deshalb nimmt sie vereinen Saisonjob gen einer Nordseeinsel mit dem seltsamen Namen Strand an, qua Verkäuferin in einem Erlebnisdorf. Die Saison beginnt Mitte April, jener Roman von kurzer Dauer davor mit dem Satz: „Es war ein Wetter ohne Jahreszeit: vierzehn Grad und ein schwerer Himmel.“

Fake-Dorf z. Hd. die Inselnostalgie

Das streng kuratierte Erlebnisdorf simuliert eine Welt um 1900. Reetdächer, eine rustikale Teestube und Gemüse in Körben servieren die Nostalgiegelüste reicher deutscher Urlauber. Marlene und die übrigen Saisonkräfte umziehen in kratzigen Wollkostümen traditionellem Handwerk nachdem und verkaufen Gummischlangen aus Glastöpfen. Dass was auch immer Maskerade ist, verhehlt niemand und stört die Gäste nicht. In den Ferienwohnungen sind moderne Regenduschen installiert, neben jener Holzkasse in Marlenes Kramladen liegt ein Kreditkartenlesegerät. „Marlene kassierte auf dem versteckten Touchscreen ab und betätigte im Anschluss den altmodischen Hebel (…). Die alte Kasse klingelte; das Paar im Urlaub warf sich einen glücklichen Blick zu.“ Die Gäste sind da, um sauber betrogen zu werden. Sie belustigen sich und so dasjenige Lesepublikum.

Ums Inszenierte und Falsche ging es jener 1996 geborenen Höller schon in ihrem Debüt, dem Coming-of-Age-Roman Schöner qua überall. Dessen jugendlicher Protagonist Martin entwickelt stückweise ein Gespür z. Hd. die Ambivalenzen jener Welt und die Charakterwidersprüche seiner Mitmenschen. Mehrfach stellt Martin unverzagt: „Es ist nie so, wie es aussieht.“ Aber während Schöner qua überall vor Leben sprudelte, scheint Höller sich z. Hd. ihren zweiten Roman zunächst an kühl-distanziert operierenden Romanen wie Leif Randts Allegro Pastell orientiert zu nach sich ziehen. Die ersten Kapitel von Leute von früher robben gleichmütig dorthin, jener Himmel bleibt wolkig und jener Hauptfigur Marlene was auch immer irgendwie egal. Bis Janne auftritt: „Sie blickten einander an, und Marlene blieb stehen wie vom Schlag getroffen.“

Ab da grüßt die Sonne und knospt jener Frühling, es wird wärmer und heißer, jener Schnösel Paul ist rasch vergessen. Die schöne Einheimische Janne, jener Zufall wills, arbeitet in jener Räucherei oppositionell von Marlenes Laden, womit dasjenige Balzparkett bereitet ist. Stilsicher lässt Höller die beiden Frauen tanzen und zueinanderfinden – in einer Ernsthaftigkeit, die den vorherigen Gleichmut scharf kontrastiert. Marlenes verliebtes Herz klopft ständig und dreht ihr zuverlässig den Wahrnehmungsregler gen. Plötzlich schmeckt sie genauer, fühlt intensiver und wird neugieriger. Auch gen die merkwürdige Insel Strand, den von Höller smart gewählten Romanschauplatz.

Zwar existiert Strand tatsächlich, nichtsdestotrotz nicht in unserer Gegenwart, in jener Leute von früher klar spielt. Im 14. und im 17. Jahrhundert zerstörten heftige Sturmfluten die Insel, übrig sind seitdem nur die Insel Pellworm und die Halbinsel Nordstrand, rund 50 Kilometer südlich von Sylt. Opfer jener ersten Flut wurde wiewohl die damit versunkene Siedlung Rungholt, die qua eine Art ’nordfriesisches Atlantis‘ zahlreiche Legenden umspülen. Die Rungholter seien sagenhaft reich und versoffene Sünder gewesen, lautet einer jener Mythen, die Flut danach Strafe Gottes. Und wer zusammen mit ruhigem Wetter genau lauscht, hört scheinbar noch heute die Glocken von Rungholts Kirche. In Leute von früher ist Rungholt ebenfalls gesunken; jener Rest jener Insel Strand schon noch nicht. Indem Höller eine tatsächlich in jener Vergangenheit gesunkene Dachboden fürs fiktionale Erzählen einer weitgehend realistischen Gegenwart nutzt, überzieht ein dünner Gruselfilm dasjenige Geschehen. Und seine Zukunft wird durch die Vergangenheit vorausgedeutet.

Tarotkarten und Unerklärliches

Von Rungholts Legenden berichtet im Roman die spirituell veranlagte Barbara, eine ältere Arbeitskollegin Marlenes. Marlene lehnt Barbaras Aberglauben erst trocken ab. Später, zerflossen durchs lodernde Herz, lässt sie sich von ihr Tarotkarten legen. Und wiewohl sonst fängt Höller an, den Roman nun leise magisch aufzuladen. Wenn Marlene neben ihrer Flamme Janne schläft, sind da immer wieder unheimliche Hinweise gen eine dritte Person im Raum: dasjenige Geräusch von Schritten, unerklärliche Meerwasserflecken neben dem Bett. Die eingangs so abgeklärte Marlene vermutet Geister, Janne gibt sich verschlossen. Es gäbe nun mal Dinge, die verstünden Zugezogene nicht.

Parallel zur Häufung übernatürlicher Elemente und Marlenes gesteigerter Empfindlichkeit, verschärft sich wiewohl dasjenige Inselwetter zu Extremlagen. Der Sommer vertrocknet Wiesen, verbrennt die Haut, ehe stufenlos ein nasskalter Herbst einbricht und dasjenige Saisonende versaut. Dieses fällt mit dem Romanende zusammen, und je näher die Enden kommen, umso häufiger werden die Memento-mori-Marker, umso parabelhafter erzählt Höller. Wie Herbstlaub rötet sich am Ende seines Zyklus jener Meeresspargel, jener die Salzwiesen jener Insel bildet. Während Marlene die Insel qua atmend und pulsierend wahrzunehmen beginnt. Barbara legt die Karten, und es erscheint die Sense. Man hört, dass einer jener Deiche vordringlich verbessert werden müsste, welches nichtsdestotrotz nicht geschieht. Die Sturmwolken dräuen, ohne dass sich je eine jener Figuren traute, dasjenige Wort Klimawandel auszusprechen.

Leute von früher schlurft los qua linker Milieuroman, wund sich zur queeren Liebesgeschichte und schwillt schließlich zum 5-vor-12-Klimamärchen an. Weil Höller all die Genres beherrscht und beneidenswert sauber arbeitet, sind die Nahtstellen zwischen den Verschaltungen kaum auszumachen. Wunderbar lässt sich beobachten, wie Marlenes Verliebtheit ihre Sinne schärft und sie langsam empfänglich fürs Magische macht. Oder ist es umgekehrt? Liebe und Magie befeuern sich hier reziprok – und z. Hd. die, die zu vertrauen wagen, gibt es sowohl als auch. Demgegenzusätzlich stillstehen im deutlichen Kontrast die Boten des Klimawandels. Hier gibt es nichts zu vertrauen. Das ist jener Grusel einer sehr realen Zeitbombe. Ihr Ticken hallt solange bis in jeden Winkel des Lebens. Sogar jene, die jener Erde am weitesten entfernt enthoben erscheinen, wie ebendiese zwei, die Liebe und die Magie.

Kristin Höller: Leute von früher, Suhrkamp, 316 Seiten, 22 Euro

Derzeit werden Frühlingsgefühle wahlweise versengt oder zugehagelt. Der April war erst Sommer, nun ist er Herbst, jener Klimawandel wirkt. Gerade rechtzeitig erscheint da Kristin Höllers neuer Roman Leute von früher. Darin leuchten die Liebe und die Sonne; die junge Autorin vernäht Romanze und Klimakatastrophe. Und dasjenige gelingt ihr beeindruckend luftig.

Anfangs sind weder Gefühle noch Wetter weitläufig Thema. Marlene, die demnächst dreißigjährige Protagonistin aus Leute von früher, hat nachdem konzis neun Jahren ihr Medienpraxis-Studium in Hamburg verriegelt und weiß nicht, wohin mit sich. Die Welt hat nicht gen sie gewartet, danach begegnet Marlene ihr in einem Modus betonten Desinteresses. Marlene raucht „gelegentlich und ohne Enthusiasmus“, datet den Schnösel Paul, weil sie „auf eine zurückhaltende Weise von ihm angezogen“ ist, und will sich nachdem ihrem Studienende erst mal „einfach ein halbes Jahr keine Gedanken machen“ sollen. Deshalb nimmt sie vereinen Saisonjob gen einer Nordseeinsel mit dem seltsamen Namen Strand an, qua Verkäuferin in einem Erlebnisdorf. Die Saison beginnt Mitte April, jener Roman von kurzer Dauer davor mit dem Satz: „Es war ein Wetter ohne Jahreszeit: vierzehn Grad und ein schwerer Himmel.“

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