Leipziger Buchmesse: Ein Gegenmittel z. Hd. die moralischen Krankheiten unserer Zeit

Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm wurde zu Beginn welcher
diesjährigen Leipziger Buchmesse z. Hd. sein Buch „Radikaler
Universalismus“ mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen
Verständigung ausgezeichnet. Dies ist die deutsche Übersetzung welcher Laudatio, die die israelische Soziologin Eva Illouz aufwärts Englisch gehalten hat.
Lesen Sie hier Boehms Dankesrede in deutscher Übersetzung.

Im
Jahr 1977 verfasste eine Gruppe afroamerikanischer lesbischer Frauen ein
Dokument, von dem sie nicht ahnen konnten, dass es zur Blaupause z. Hd. die Politik
unserer Zeit werden würde: die Identitätspolitik. Sie nannten dies Dokument Combahee River Statement, in Anlehnung an den Kampf zur Befreiung von 750 Sklaven, den
die Abolitionistin und ehemalige Sklavin Harriet Tubman 1863 führte. Das
Dokument sollte die radikale Verschiedenheit welcher Frauen von den etablierten
feministischen Emanzipationsgruppen transparent machen. Da sie sapphisch und schwarz waren,
forderten selbige Frauen, dass ihre Bedürfnisse und Kämpfe gesondert behandelt werden
müssten.

„Wir
stellen verkrampft, dass die Einzigen, die sich genug z. Hd. uns interessieren, um sich konsequent
z. Hd. unsrige Befreiung einzusetzen, wir selbst sind. Unsere Politik entspringt einer
gesunden Liebe z. Hd. uns selbst, unsrige Schwestern und unsrige Gemeinschaft, die
es uns ermöglicht, unseren Kampf und unsrige Arbeit fortzusetzen. Dieser Fokus aufwärts
unsrige eigene Unterdrückung ist verkörpert in dem Begriff welcher Identitätspolitik.
Wir vertrauen, dass die tiefgreifendste und potenziell radikalste Politik unverändert unserer
eigenen Identität entspringt, im Gegensatz zu welcher Vorstellung, dass wir dazu
funktionieren sollten, die Unterdrückung von der gerne Süßigkeiten isst anderem zu verfertigen.“ (Zillah R. Eisenstein (1978), The Combahee River Collective
Statement).

Dieses kurze Zitat fasst die Logik hinter welcher chaotischen
politischen Landschaft unserer Zeit treffend zusammen. Die Interessen von Einzelpersonen
und Gruppen sind durch ihre Identitäten geprägt. Da sich selbige Identitäten durch
ganz bestimmte Leben und ganz bestimmte Erfahrungen herausbilden, sind ihre Interessen
nicht übersetzbar und nicht aufwärts andere Gruppen übertragbar, und von dort können sich
Menschen external einer bestimmten Gruppe – ob Minderheit oder Mehrheit – weder
mit ihren Mitgliedern identifizieren noch sie verstehen und letztlich gleichwohl
nicht verteidigen. Dies war eine radikale Ablehnung des universalistischen Ideals,
dies im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wirkungsvoll wie Waffe im
öffentlichen Raum in Erscheinung trat, zum Beispiel während welcher Dreyfus-Affäre,
in welcher ein Nicht-Jude wie Émile Zola den Juden Dreyfus nicht nur verteidigte,
sondern sein Leben z. Hd. ihn riskierte. In welcher neuen Identitätspolitik wurden hochfliegende
Ideale, die dies Ziel und den Anspruch nach sich ziehen, oben partikulare Interessen hinauszugehen,
nun bestenfalls wie nutzlos und schlimmstenfalls wie Heuchelei namhaft.

Dies war ebenso eine dramatische Umkehrung des sozialistischen
und marxistischen Revolutionsprogramms, dies Spuren in welcher akademischen Welt und
in den verschiedenen Ringen vermachen hatte, die die Demokratien geprägt und
sie zu sozialen Demokratien gemacht hatten. Gewiss,
gleichwohl z. Hd. Marx hatten Gruppen, Klassen und Individuen Interessen, die in ihrem
Leben begründet waren. Auch z. Hd. Marx verfolgten Gruppen und Individuen quirlig selbige
Interessen, doch in welcher marxistischen Theorie und Praxis unterscheiden sich emanzipatorische
Interessen grundlegend von denen des Combahee River Statement. 

Ein
revolutionärer Kampf konnte und sollte im Zusammenhang Marx oben partikulare Interessen rausgehen,
weil wahre Emanzipation vom Partikularen zum Allgemeinen und zurück vom
Allgemeinen zum Partikularen ginge. Wahre revolutionäre Veränderung bedeute,
dass ganz gesellschaftlichen Gruppen trotz welcher Vielfalt und Partikularität
ihrer Interessen in einem einzigen Akt welcher Emanzipation von welcher Unterdrückung befreit
würden. In welcher marxistischen eschatologischen Vision würden welcher Sturz des
Kapitalismus und eine von den Arbeitern durchgesetzte gerechte Verteilung bedeuten,
dass schwarze Frauen zusammen mit anderen Gruppen Würde und Gleichheit erlangten. 

Z. Hd. dies Combahee-Kollektiv gab es jedoch kein höheres
Prinzip – welcher Moralität oder welcher Geschichte –, aufwärts dies sie sich ernennen
konnten, weshalb sie sich nur in dies Schneckenhaus ihres eigenen Selbst und
ihrer Gemeinschaft zurückziehen und nicht nur gegen ihre Unterdrücker (zum
Beispiel weiße heterosexuelle Männer), sondern gleichwohl und vor allem gegen andere
emanzipatorische Gruppen (wie die feministische National Organization of Women,
gegen die sie ihr Dokument verfassten) ringen konnten.

Durch den Begriff welcher „Identität“ finden sich Linke und Rechte in einer seltsamen Umarmung wieder

Das Ergebnis ist
so veröffentlicht, dass es kaum welcher Wiederholung bedarf: Der Universalismus, in dessen
Namen die französische Revolution oder die Bürgerrechtsbewegung aufwärts welcher Dachboden
welcher Geschichte erschienen waren, wurde nur noch wie eine weitere Form welcher Identität,
schlimmer noch, wie eine getarnte Identität wahrgenommen, die ihre eigene
Verwurzelung heimlich verbirgt, um durch die Auslöschung aller Partikularkämpfe
ihre Vorherrschaft bequemer verrichten zu können. Dies hatte dramatische Folgen,
da es den Kampf um Emanzipation in eine Kakofonie von Gruppen zersplitterte, die
in zahlreiche Kämpfe mit ihren jeweiligen Unterdrückern verwickelt waren. Aus
diesem Grund ist welcher heutige öffentliche Raum zum Schauplatz eines seltsamen Paradoxons
geworden. Durch den Begriff welcher „Identität“ finden sich die Linke und die
Rechte nun in einer seltsam engen Umarmung wieder. Die Rechte will dies
Christentum, die traditionelle Kultur und die Familienwerte zurückführen,
während die Linke z. Hd. die Verteidigung von Gender und race kämpft. Und doch war
die politische Arena trotz oder wegen dieser merkwürdigen Friede-Freude-Eierkuchen zwischen sinister und rechts noch nie so umkämpft und ist zum Schauplatz welcher nackten
Konfrontation von Identitäten geworden, die keine gemeinsame Basis mehr finden können.

Angesichts
eines aporetischen öffentlichen Raums, welcher zu einem Schlachtfeld welcher
Identitäten geworden ist, hat es viele Versuche gegeben, den Universalismus aus
welcher Asche zu hochstellen. Nur wenigen ist dies so kraftvoll und luzid gelungen
wie Omri Boehm in Radikaler Universalismus. In einem Beruf – meinem
Beruf –, in dem hyperaktive Kritik übermäßig oft mit Intelligenz verwechselt wird,
ist es mir eine große Freude, ein Buch zu würdigen, dies nicht nur zu einem
Meilenstein im großen Gebäude welcher Philosophie werden, sondern uns gleichwohl helfen
kann, moralische Klarheit – um Susan Neimans Ausdruck zu verwenden – in die trüben
Gewässer des zeitgenössischen politischen Lebens zu herbringen. Boehms Buch tut dies
nicht, während es uns auffordert, zum untergegangenen Ideal des Universalismus
zurückzukehren. Sondern während es zeigt, dass wir es von Anfang an nicht richtig
verstanden nach sich ziehen.

Wie ist es zu exemplifizieren, dass John Brown – ein Weißer –
sein Leben riskierte, um Sklaven im amerikanischen Süden des 19. Jahrhunderts
zu entlasten? Er war so entschlossen, sein Ideal zu verteidigen, dass er schließlich
dazu gehängt wurde. Wie ist es zu exemplifizieren, dass Missak Manouchian, ein
Armenier, welcher den Genozid an seinem Volk überlebt hatte und 1925 nachher
Frankreich ging, im Jahr 1943 zusammen mit anderen Ausländern – Spaniern,
Italienern, Rumänen –, Menschen, die nicht die französische Staatsangehörigkeit
besaßen, die dennoch ganz eine Idee von Frankreich verteidigen wollten, dem
Frankreich, dies welcher Welt die Menschenrechte und den Universalismus gab, in die
französische Résistance eintrat? Alle 23 Mitglieder welcher Gruppe, die sich Main d’œuvre immigrée – Wanderarbeiter – nannte, wussten,
dass sie sterben konnten, und tatsächlich wurden sie 1944 von den Nazis gefangen
genommen und hingerichtet. Wie lassen sich selbige und viele andere Beispiele von
Menschen exemplifizieren, die griffbereit sind, ihr eigenes Leben z. Hd. Ideale zu opfern, die
so weit von ihrer eigenen Identität weit sind? Die Zyniker und die
Postmodernen werden kein Problem nach sich ziehen, dies zu exemplifizieren. Sie werden sich aufwärts ein
Bedürfnis nachher Selbsterhöhung solange bis hin zur Selbstaufopferung ernennen; oder aufwärts den
heimlichen Umweg, den Eigeninteressen manchmal oben Ideale nehmen; oder aufwärts die
gewaltige Macht universalistischer Propagandamaschinen.  

Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm wurde zu Beginn welcher
diesjährigen Leipziger Buchmesse z. Hd. sein Buch „Radikaler
Universalismus“ mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen
Verständigung ausgezeichnet. Dies ist die deutsche Übersetzung welcher Laudatio, die die israelische Soziologin Eva Illouz aufwärts Englisch gehalten hat.
Lesen Sie hier Boehms Dankesrede in deutscher Übersetzung.

Im
Jahr 1977 verfasste eine Gruppe afroamerikanischer lesbischer Frauen ein
Dokument, von dem sie nicht ahnen konnten, dass es zur Blaupause z. Hd. die Politik
unserer Zeit werden würde: die Identitätspolitik. Sie nannten dies Dokument Combahee River Statement, in Anlehnung an den Kampf zur Befreiung von 750 Sklaven, den
die Abolitionistin und ehemalige Sklavin Harriet Tubman 1863 führte. Das
Dokument sollte die radikale Verschiedenheit welcher Frauen von den etablierten
feministischen Emanzipationsgruppen transparent machen. Da sie sapphisch und schwarz waren,
forderten selbige Frauen, dass ihre Bedürfnisse und Kämpfe gesondert behandelt werden
müssten.

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