Bei der Preisbildung für Lebensmittel geht es unfair zu. Der Staat muss eingreifen. Zahlreiche Interessengruppen sowie Vertreter des linken politischen Spektrums sind dieser Auffassung und drängen seit Jahren auf die Schaffung einer Preisbeobachtungsstelle für Lebensmittel. Am Donnerstag hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) mit einer Studie des Analyseunternehmens Agrarmarkt Informations-Gesellschaft nachgelegt. Das Gutachten soll zeigen, wie sich eine Beobachtungsstelle für die Preisbildung von Lebensmitteln vom Acker bis zum Supermarktregal einrichten ließe.
„Die hohen Umsätze der Lebensmittelindustrie geben Anlass zu der Vermutung, dass hier auf Kosten der Verbraucher Kasse gemacht wird“, sagte Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Die Bundesregierung müsse Licht ins Dunkel der Preisgestaltung bei Lebensmitteln bringen. Eine Preisbeobachtungsstelle könne unfaire Praktiken aufdecken und so Verbraucher vor zu hohen Preisen an der Ladentheke schützen.
Das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) argumentierte jedoch im vergangenen Sommer auf eine Anfrage der Linkspartei, warum es aus Sicht der Bundesregierung keine Preisbeobachtungsstelle brauche. Verbraucher hätten viele Möglichkeiten, sich über Angebote der Wettbewerber im Lebensmitteleinzelhandel zu informieren und ihren Konsum danach auszurichten. Das Ministerium weist auf rechtliche Grenzen hin: „Im Verhältnis von Unternehmen der Lebensmittellieferkette untereinander gibt es keine Transparenzpflichten.“ Die verhandelten Preise unterlägen der Vertragsfreiheit und stellten Geschäftsgeheimnisse dar.
Beobachtungsstelle für Lebensmittel möglich, aber aufwendig
Die Lebensmittelinflation habe 2023 mit 12,4 Prozent fast doppelt so hoch gelegen wie die allgemeine Inflation mit 5,9 Prozent, schreibt der VZBV. Die gestiegenen Rohstoff- und Verarbeitungskosten könnten den Anstieg nicht vollständig erklären. 44 Prozent der Verbraucher hätten sich nach einer Umfrage des Verbandes im Jahr 2023 wegen der hohen Preise bei ihren Lebensmittelkäufen eingeschränkt.
Im EU-Vergleich geben die Deutschen wenig Geld für Lebensmittel aus. Im Jahr 2022 belegte Deutschland bei den Lebensmittelausgaben in der EU mit rund 10 Prozent den 24. Platz. Es sei „im öffentlichen Interesse“, wie sich Preise und Kosten auf die einzelnen Akteure der Wertschöpfungskette verteilten, heißt es in der VZBV-Studie. Nur so lasse sich herausfinden, ob und wo „außerordentliche Gewinne entstehen und ob deshalb Korrekturbedarf besteht“.
Beispiele aus anderen Ländern zeigten aber, dass die Einrichtung einer solchen Stelle „nennenswerte finanzielle und personelle Ressourcen“ erfordere. Die Beobachtungsstelle sollte sich zunächst auf die Preise von frischen und wenig verarbeiteten Grundnahrungsmitteln konzentrieren und dann ausgeweitet werden. Die Ergebnisse sollten dem Bundestag jährlich vorgelegt werden, damit der Gesetzgeber gegebenenfalls politische Maßnahmen daraus ableiten könne. Angesiedelt werden sollte die Stelle bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.
„Sehr skeptisch“ zu dem Vorstoß äußerte sich Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt. Bei Zehntausenden von verschiedenen Produkten im Lebensmittelbereich sei die Umsetzung der geforderten Preisbeobachtung „außerordentlich komplex und fehleranfällig“, gab Mundt gegenüber der F.A.Z. zu bedenken. Industrie und Handel könnten Preise der Wettbewerber vergleichen und ihre Preise stillschweigend aneinander anpassen. „Höhere Preise könnten die Folge sein.“
Besser fällt die Bewertung der Monopolkommission aus. Tomaso Duso, der designierte Vorsitzende der Monopolkommission, sagte der F.A.Z., er sehe den Vorstoß des VZBV „vorsichtig positiv“. Eine Preismonitoringstelle könne aber nur dann wettbewerbsfördernd wirken, wenn sie richtig ausgestaltet werde: „Die Informationsvorteile der Konsumenten müssen die Gefahr der Preiskoordination im Handel aufgrund erhöhter Transparenz überwiegen.“
Ökonom hält Bestrebungen der Politik für „schizophren“
Eine Preiskontrollstelle würde den falschen Akteuren in der Lebensmittelkette nützen, warnt Otto Strecker. Er ist Geschäftsführer der auf Agrar- und Ernährungswirtschaft spezialisierten AFC Consulting Group und Honorarprofessor für Agrarökonomie an der Universität Bonn. „Wenn Großbäckereien ihre Kalkulationen offenlegen und dann miteinander vergleichen, nützt das vor allem der teuersten. Die erfährt, wo die anderen günstiger einkaufen“, sagt er. „Es gibt ein Wettbewerbs- und Kartellrecht, das verhindert, dass solche Unternehmen ihre Kosten untereinander vergleichen und damit Betriebsgeheimnisse ausplaudern. Das würde man mit einer Monitoringstelle aushebeln. Davon ist in dem Papier nirgends die Rede.“
Die Verbraucherschützer konzentrieren sich vor allem auf die „übermäßigen Gewinne“ des Handels. Strecker wirft andersherum die Frage auf: „Wie wäre es, wenn sie außerordentliche Verluste machen, müsste dieser Teil des unternehmerischen Risikos dann auch abgefedert werden?“ Das gehöre zum unternehmerischen Geschäft, sagt er. Und verweist auf die Besonderheiten auf dem deutschen Markt: „Deutschland ist der härteste Lebensmittelmarkt der Welt.“ Als Ursprungsland des Discounts verdienten Händler viel weniger Geld als in allen anderen Ländern der Welt, weil sie mit niedrigeren Margen arbeiteten.
Die Bestrebungen der Politik hält Strecker für schizophren. Einerseits wolle man, dass die Bürger billig einkaufen, und fördere damit die „Geiz-ist-geil-Mentalität“. Andererseits wolle man, dass die Verbraucher Produkte kaufen, bei denen die Wertschöpfung für alle Beteiligten stimmt. Das passe nicht zusammen.
Verbrauchern würde eine Preiskontrollstelle seiner Ansicht nach kaum helfen. Sie könnten auf eine Fülle von Preisinformationen zurückgreifen, etwa den Preis je Kilogramm. Hinzu kämen Angebote und Werbeprospekte. „Am Ende macht der Kunde seinen Wocheneinkauf dort, wo es insgesamt am günstigsten ist, und nicht nur dort, wo das Pfund Tomaten am wenigsten kostet“, sagt er. Anders sei das zum Beispiel beim Tanken. Dort sei die Produktkomplexität viel geringer und die Vergleichbarkeit einfacher – und der Kunde kaufe meist nur ein Produkt, den Kraftstoff. Im Lebensmittelbereich sei das anders: Die einzelnen Unternehmen seien etwa hinsichtlich ihres Sortiments oder der Rohstoffe kaum miteinander vergleichbar.
Bauern empören sich immer wieder über die „Marktmacht“ des Lebensmitteleinzelhandels. Eine Kontrollstelle würde aber auch ihnen nichts bringen, so Strecker. „Im Gegenteil, es würde eher schaden, wenn seine Lieferanten auf den günstigsten Rohstoff umschwenken können.“ Zwar sinke der Anteil der landwirtschaftlichen Rohwaren am Gesamtpreis, auch weil Lieferketten zunehmend länger und aufwendiger werden und andere Kosten hinzukämen. Das heißt aber nicht, dass die Bauern schlechter verdienen. Die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte lagen im Juni 2024 um 3,2 Prozent höher als im Juni 2023. „Mindestpreise“ für Agrarprodukte, wie sie etwa in Frankreich zur Debatte standen, würden zu Überproduktion und Marktungleichgewicht führen, warnt Strecker.