Dieser Text erscheint in einer Reihe namens „Dispatches from LA“,
die ZEIT ONLINE gemeinsam mit dem Thomas Mann House in Los Angeles
gestaltet. Vor und nach der US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024
berichten aktuelle und ehemalige Fellows des Thomas Mann House für ZEIT
ONLINE über die Gegenwart der USA.
Seit dem 5. November kurz vor Mitternacht hat die Idylle in
Thomas Manns Exilhaus, in Pacific Palisades und ganz Kalifornien erheblich
gelitten. Man sieht es nicht, spürt aber allerorts die Fassungslosigkeit und
Ohnmacht, die sich in der Bevölkerung breitmacht. In
Santa Barbara bietet ein Café einen sogenannten post-election safe space. Trump-Wähler
attackierten das Lokal sofort dafür.
Thomas Mann, das weiß man aus den Tagebüchern, hat sein Haus
am San Remo Drive geliebt. Bereits im Dezember 1949 schrieb er im Tagebuch über
eine „Erörterung unserer Rücksiedelung in die Schweiz. Meine Anhänglichkeit an
dieses Haus. Schwierigkeit, ähnlich günstige Bedingungen in Zürich zu gewinnen.“
Es war keine Sehnsucht nach Europa, die ihn 1952 aus Kalifornien vertrieb,
sondern die toxische politische Atmosphäre unter dem Senator Joseph McCarthy
und dem FBI-Chef J. Edgar Hoover. Wie viele andere Intellektuelle geriet Thomas Mann unter „Kommunismusverdacht“, musste vor dem „Komitee für unamerikanische
Umtriebe“ aussagen, bekam wiederholt Besuch vom FBI.
Seine Tochter Erika Mann konnte weder reisen noch arbeiten. In
den USA griff nach beiden Weltkriegen die sogenannte Red Scare um sich,
eine antikommunistische Hysterie, die zur Verfolgung und Stigmatisierung linker
(und vermeintlich linker), oft prominenter Personen führte. Wer nicht unter
kultureller Amnesie leidet, weiß: Die amerikanische Demokratie war nicht immer
eine leuchtende city upon a hill, sie hat sehr dunkle Seiten erlebt.
Daran knüpft eine zweite Präsidentschaft Trumps nun direkt an.
Nehmen wir Trump und seine Pläne ernst – und es gibt keinen
Grund, das nicht zu tun –, will er geradewegs zurück in jene Zeit, in der Thomas Mann die USA verließ, in die 1950er-Jahre. Reproduktive Rechte zurücknehmen,
den Ausbau der fossilen Energien befördern, freie Fahrt für Rassismus,
Sexismus und die Deportationen von Migranten – all das ist nur ein Teil des
Programms. Auch für die Wissenschaft sieht es düster aus. So hat Trump vor zwei
Jahren angekündigt, im Falle seiner Wiederwahl „die
gesamte toxische Zensurindustrie“ aufzubrechen. Damit meint er
wissenschaftliche Forschung zu Desinformation auf Social-Media-Plattformen.
Ebenjene Desinformation, die
vom World Economic Forum als die größte Bedrohung der Demokratie in den
nächsten Jahren identifiziert wurde. Wie in den frühen 1950er-Jahren muss
man damit rechnen, dass Forschende in diesem Fachgebiet Probleme bekommen
werden, Visa zu erhalten, an Tagungen teilzunehmen oder ihre Karrieren
fortzusetzen.
Kehrt die Red Scare also zurück – oder ist sie längst
zurückgekehrt? Zumindest im Wahlkampf holten Trump-Anhänger die
Kommunismuskeule wieder hervor. Elon Musk etwa, Trumps Vertrauter und der
reichweitenstärkste Mann der Welt, schasste Kamala Harris in einem KI-generierten Meme als Radikale in roter Uniform mit Hammer und Sichel. Die
Parteienforschung gruppiert die Demokraten zwar programmatisch und im
internationalen Vergleich zwischen sozialdemokratischen und grünen Parteien,
aber Kommunismus, Sozialismus als Feindbilder funktionieren noch immer, als Label
für alles, was progressiv anmutet.
Trump ist kein versöhnlicher Wahlgewinner, er betrachtet
politische Gegner als Feinde. Die zahlreichen Prozesse, in die er verwickelt
war, hat er immer als persönliche „Hexenjagden“ dargestellt. Trump
lässt kaum Zweifel daran, dass er nun auf Rache sinnt. Auch die ersten
Kabinettskandidaten deuten darauf hin, dass es ihm um Gefolgschaft und
Unterwerfung geht. Darauf bereitet das Land sich nun vor. Die
Nachfrage nach Abtreibungspillen und Hormonen explodiert, weil Frauen und
Familien in Erwartung einer „reproduktiven Apokalypse“ Vorräte anlegen.
Kalifornien prüft, wie seine strengen Umweltgesetze vor Übergriffen aus
Washington, D. C., geschützt werden können. Zeitungslektüre und Gespräche hier drehen
sich permanent um die bange Frage: Was bedeutet diese Präsidentschaft für …? Es
ist, als ob ein Hurrikan droht, prepare for the worst. Die Sonne
jedenfalls scheint vorerst weiter.
Spricht man mit Kaliforniern, die den Demokraten zugeneigt
sind, finden manche in der deutlichen Mehrheit für Trump auch Trost durch
Akzeptanz: Wie beim Sport ist es besser verkraftbar, wenn das eigene Team nicht
knapp, sondern haushoch verliert. Kein Grund, sich die Haare zu raufen, sondern
nach vorn zu schauen und daraus zu lernen. Im Übrigen hofft man auf den
Föderalismus, in Kalifornien selbst werde es so schlimm schon nicht kommen.
Immerhin bleibt das Wahlsystem unbeschädigt, weil Trump das Resultat gefällt
und beide Seiten es akzeptieren. Kein wochenlanges Hickhack in den
Zertifizierungsprozessen, kein Sturm aufs Kapitol.