LBBW-Chef Neske warnt: „Der Mittelstand geht still und leise“

Herr Neske, die schlechten Nachrichten von Unternehmen nehmen zu. Insbesondere der Standort Deutschland ist unter Druck. Was hat sich geändert?

Die fundamentale Änderung ist, dass in China und insbesondere in den USA der Glaube verloren geht, dass die Globalisierung allen Beteiligten nützt. Es gab den Washingtoner Konsens, dass es gut für die Welt ist, wenn wir den Kuchen gemeinsam vergrößern – und zwar indem wir die Produktion arbeitsteilig organisieren. Der große Profiteur war Deutschland.

Doch nicht nur Deutschland hat profitiert.

Natürlich nicht. Asien und da vor allem Indien waren die großen Gewinner – bei all dem Elend, das es dort noch gibt. Die Arbeitsteilung hat Innovationen gebracht, der Wohlstand ist überall angestiegen. Spätestens mit der Corona-Pandemie hat ein Strukturbruch eingesetzt. Donald Trump mit seiner Politik war ein erster Hinweis darauf.

Was tritt an die Stelle der aufgekündigten Übereinkunft?

Bei Donald Trump, aber auch bei der Demokratischen Partei, ist das klar zu beobachten: Er will sein Land wieder industrialisieren, Jobs und Wertschöpfung zurückholen. China macht das weniger offensichtlich: Das Land kommt aus dem Protektionismus, hat sich immer weiter geöffnet – und ist dann umgeschwenkt und schiebt sich nun in der Wertschöpfungskette immer weiter nach oben und wird jetzt selber zum großen Exporteur dieser hochwertigen Güter in die Welt.

Beides bedroht das deutsche Modell.

Deutschland ist Exportweltmeister geworden, indem die Unternehmen Vorprodukte im Ausland gefertigt haben, die Forschung und Entwicklung sowie die Hochtechnologie-Fertigung aber hier stattfand. Die Endprodukte gingen dann mit dem Siegel „Made in Germany“ wieder in alle Welt. Das funktioniert so nicht mehr, weil die Lieferketten regionalisiert werden.

Wie reagiert Europa auf die Veränderungen?

Grundsätzlich macht Europa da keinen schlechten Job. Ich sage immer, wenn du Fußball spielst und der Gegner die Abseitsregel aufgibt, kannst du nicht mehr auf Abseits spielen. Ein Beispiel sind die Zölle. Wenn der freie Markt durch Subventionen bedroht ist, dann ist es richtig, wenn Europa zielgerichtet mit Zöllen auf die entsprechenden Produkte reagiert.

Aber um beim Beispiel Zölle zu bleiben, die Autoindustrie lehnt die Zölle ab.

Die deutsche Autoindustrie tut das. Es ist ein Problem, dass wir in Europa nicht mit einer Stimme sprechen, weil die Interessen zu unterschiedlich sind. Die Franzosen befürworten die Zölle, weil sie im Volumensegment unterwegs sind und mit den chinesischen Dumpingpreisen nicht mithalten können.

Welche Konsequenzen sind also zu ziehen?

Wir müssen alles daransetzen, dass wir Forschung und Entwicklung und die Fertigung der Hochtechnologie am Standort behalten. Aber wir machen das Gegenteil: Wir haben uns als Gewinner der Globalisierung ein Komfortlevel erarbeitet, das seinesgleichen sucht. Stichworte sind Arbeitszeiten, Sozialgesetzgebung, Steuerlast und bürokratisierte Prozesse. Wir haben schon ein hohes Niveau an limitierenden Faktoren – und satteln immer noch mehr Hemmnisse drauf. Dabei übertrumpfen wir manchmal sogar ohne Not die so oft gescholtenen EU-Vorschriften.

Viele Unternehmen ziehen ihrerseits die Konsequenzen, sie investieren nicht mehr in Deutschland.

Die Industrie muss das tun, sie muss sich in einem veränderten Markt behaupten. Vor allem der Mittelstand geht still und leise, indem die Unternehmen die Zukunftsinvestitionen im Ausland tätigen. Wir sehen das bei den Krediten, die wir ausgeben, die sind auf einem guten Niveau – und vor allem für Investitionen jenseits von Deutschland bestimmt.

Der Mittelstand geht? Aber das sind doch die Unternehmer, die den engsten Bezug zum Standort haben, oft Familienunternehmer, die das Unternehmen von ihren Eltern übernommen haben und den Betrieb und die Belegschaft kennen.

Wenn man mit diesen Unternehmern im Vertrauen spricht, sagen die oft, ich habe es aufgegeben. Ich muss jetzt meine unternehmerische Entscheidung treffen und mein Unternehmen für die nächste Generation sichern. Das ist eine ganz gefährliche Sache.

Was meinen Sie?

Die Chefs vieler Familienunternehmen in Baden-Württemberg führen das Unternehmen jetzt in der dritten, vierten Generation. Hinzukommt, dass sich die Familien in die Aufsichtsräte zurückziehen und die operative Tätigkeit an professionelle Manager geben. Oft gibt es mehrere Familienstämme im Gesellschafterkreis, so dass die Kontrollgremien ab und an denen von Kapitalgesellschaften ähneln. Gleichzeitig sind die Erben gut gebildet, haben an internationalen Hochschulen studiert, die lokale Verwurzelung geht zurück. Das alles führt dazu, dass wir jetzt noch ein historisches Fenster haben, die Unternehmen alle hier zu halten. Wenn die Verantwortlichen irgendwann nur nach Standortfaktoren entscheiden und nicht mehr nach persönlicher Verbundenheit, ist es zu spät.

Welche Hemmnisse für die Unternehmen wiegen aus Ihrer Sicht am schwersten?

Die Unternehmenssteuern sind im internationalen Vergleich ein echter Wettbewerbsnachteil. Was mich aber schockiert, ist, dass das Steuerthema bei den Unternehmen gar nicht an erster Stelle der größten Ärgernisse kommt, denn das ist die Bürokratie. Aus Sicht des Staates würden hohe Steuern wenigstens Einnahmen bringen, die man für Investitionen nutzen könnte. Aber was haben wir von einer überbordenden Bürokratie? Da gibt es gar keinen Gewinner.

Warum glaubt die Politik, so viele Regeln aufstellen zu müssen?

Der ordnungspolitische Kompass ist uns komplett verloren gegangen. Wir müssen uns wieder bewusstwerden, was die Rolle des Staates und was die Rolle von Bürgern und Unternehmen ist. Die Corona-Pandemie hat das Missverhältnis befördert: Für eine solche Krise brauchst du einen starken Staat, der entscheidet. Danach muss er sich aber auch wieder zurückhalten, was er nicht in der Weise tut, wie er es sollte. Und auch Unternehmen und Bürger haben sich daran gewöhnt, dass der Staat schon alles richten wird. Wir müssen diese Corona-Mentalität hinter uns lassen.

Müsste die Politik im Hinblick auf die Bürokratie nicht auch einfach wieder mehr Vertrauen in die Wirtschaft, in die Unternehmen, in die Manager haben?

Das ist eine schwierige Frage für einen Bankenvertreter. Durch die Finanzkrise 2008 haben wir sozusagen die Erbsünde auf uns geladen, so dass es nicht einfach ist, als Banker wieder mehr Vertrauen in die Wirtschaft einzufordern. Aber es ist richtig, gerade die mittelständische Wirtschaft hat unser gesellschaftliches Vertrauen verdient – und nicht einen Misstrauensstaat mit kleinteiliger Kontrolle. Misstrauen ist ein großer Komplexitätstreiber.

Wie sind praktische Verbesserungen zu erreichen?

Wir müssen weg von den vielen Dokumentationspflichten hin zu der Herangehensweise, dass harte Sanktionen verhängt werden, wenn wirklich Fehler passieren oder Schindluder getrieben wird. Zudem sollten wir die Klageindustrie verringern. Früher konnte nur der klagen, der nachgewiesen hat, dass er wirklich einen Schaden hat.

Möglicherweise reagieren die Verantwortlichen mit ihren wirtschaftspolitischen Entscheidungen aber auf Stimmungen bei den Menschen, denen gar nicht bewusst ist, dass unser Wirtschaftsmodell und damit die Basis des Wohlstands bedroht ist.

Dass die Arbeitslosenzahl zuletzt kaum gestiegen ist, ist ein großes Thema. Wäre das anders, würden die Menschen schneller merken, dass es ein Problem gibt. Aber die Demographie, also die Tatsache, dass so viele Leute in Rente gehen, gleicht den Effekt aus. Zudem ist die Sozialpolitik nicht hilfreich.

Inwiefern?

Wenn ich den Menschen das Bild eines Staates vermittele, der sich um alle Eventualitäten kümmert, entsteht der Anspruch, dass es für jedes Risiko, das ich privat habe, eine zuständige Stelle gibt. Und dass mir eben nicht zuzumuten ist, erst einmal allein die persönlichen Schwierigkeiten zu bewältigen.

Brauchen wir also erst einmal eine veritable Krise mit stark ansteigenden Arbeitslosenzahlen, dass Deutschland aufwacht?

Wir können es uns nicht leisten, auf diesen heilsamen Schock zu warten, weil die Prozesse, die gerade laufen, schwer zu stoppen sind. Wenn Fabriken einmal im Ausland sind, kommen die in den nächsten Jahren nicht einfach wieder zurück. Was mich dennoch optimistisch stimmt ist die Tatsache, dass Prognosen nicht in Stein gemeißelt sind. Wir haben die Zukunft des Wirtschaftsstandorts in der Hand. Jeder an seinem Platz. Es gilt jetzt, die Ärmel hochzukrempeln und das Land wieder stark zu machen.

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