Es ist mir eine überaus große Freude, Ihnen, Herr Staatspräsident Javier Milei, heute mit der Hayek-Medaille die höchste Auszeichnung unserer Gesellschaft verleihen zu können.
Sie gehören zu jenen seltenen politischen Bahnbrechern, die glücklicherweise zuweilen in höchster Not auftauchen, um einem ökonomischen und dabei meist auch gesellschaftlich zerrütteten Land die Chance zu geben, aus den Sackgassen herauszufinden, in die es die Blockaden des Interventionismus geführt haben. Sie stehen für einen grundlegenden Kurswechsel ohne populistische Versprechungen auf billige Lösungen. Ohne Rückgriff auf das süße Gift von staatlicher Steuerungsillusion. Ohne die paternalistische Attitüde eines immer weiter wuchernden Wohlfahrtsstaats, der am Ende nur das wachsende Elend verwaltet.
Sie tun es stattdessen, indem Sie die Fesseln lösen, die die Menschen daran hindern, sich selbst zu helfen. Sie geben Ihren Landsleuten das Selbstvertrauen zurück, und genau das macht ihnen Hoffnung – und zwar berechtigte Hoffnung. Sie muten Ihren Mitbürgern viel zu – und gerade dadurch machen Sie ihnen Mut. Um es in Ihren eigenen Worten zu sagen: Sie wollen nicht Schafe führen, sondern Löwen wecken.
Sie sind ein ausgezeichneter Kenner und Vertreter der Austrian Economics – der markantesten liberalen Denktradition, die als Wissenschaft vom menschlichen Handeln ökonomische Analysen zugleich sozial-philosophisch einbettet. Ihre intellektuellen Helden sind mit Hayek, Mises und Rothbard zugleich die prägnantesten Köpfe dieses Erkenntnisprogramms. Ein Programm, das keine abgeschlossene Konserve darstellt, die schon auf alle Fragen feste Antworten hätte. Aber eben ein Programm, das die richtigen Fragen stellt und die Voraussetzungen klar herausarbeitet, damit sich anonyme Großgesellschaften gedeihlich entwickeln können. Und die zugleich nicht nur nachzuweisen vermag, sondern sogar voraussagen konnte, warum der konstruktivistische Ansatz der verschiedenen kollektivistischen Gesellschafts-entwürfe am Ende immer wieder nur sozioökonomisches Chaos hervorbringt. Argentinien – Ihr Land – ist nur eines in einer langen Reihe gescheiterter interventionistischer Großexperimente.
Mit deutlicher Mehrheit an die Spitze
Es ist ein Glücksfall für Ihr Land, dass an der Spitze nun jemand steht, der ökonomische Zusammenhänge versteht. Damit können Sie besser abschätzen als ökonomische Laien, welche Kompromisse verantwortbar sind, ohne den Reformprozess insgesamt zu gefährden, und welche nicht.
Sie sind kein Populist, sondern ein Popularisierer freiheitlich-marktwirtschaftlicher Ideen. Während die einfachen Antworten des Populismus zerbröseln, sobald man tiefer darüber nachdenkt, ist es bei Ihrem Programm genau umgekehrt. Es erschließt sich erst, wenn man ihm tiefschürfender auf den Grund geht. Sie tun es auf Ihre ganz eigene Weise. Authentizität ist unbezahlbar – und deshalb auch nicht käuflich. Sie mögen politisch inkorrekt sein, vor allem aber sind Sie politisch kohärent.
Wohl kaum jemand aus dem liberal-libertären und liberal-konservativen Lager hätte erwartet, dass durch die demokratische Abstimmung des argentinischen Volkes ein Mann wie Sie mit nicht nur knapper, sondern deutlicher Mehrheit an die Spitze des Staates gelangen könnte. Allein dies verdient bereits höchste Anerkennung, unabhängig davon, ob und inwieweit sich Ihr sehr ambitiöses, ja revolutionäres Programm der Entstaatlichung – also insbesondere Entbürokratisierung, Deregulierung, Privatisierung – durchsetzen kann.
Die Auseinandersetzung, die Sie führen, spielt sich nicht nur auf der ökonomischen, sondern auch auf der kulturellen Ebene ab. Ihr Hauptgegner heißt Kulturmarxismus. Der rein ökonomische Sozialismus eines Karl Marx hat sich längst theoretisch und praktisch erledigt. Das haben auch die Marxisten zähne-knirschend eingesehen. Heute kommt er im Gewand eines elitären Kollektivismus daher, der immer neue Opfergruppen erfindet, deren angebliche Befreiung eine staatlich gelenkte Gesellschaftstransformation rechtfertigen soll. Nachdem die Arbeiterschaft als Mündel ausgedient hat – die Arbeiter wollten schlicht nicht vom Kapitalismus befreit werden, sondern lieber den von ihm hervorgebrachten Massenwohlstand genießen – geraten jetzt neue vermeintliche Unterdrücker und Unterdrückte ins Visier der Sozialingeni-eure. Und dieser Konflikt wird mit drastischen Mitteln geschürt, indem alle möglichen gesellschaftlichen Institutionen okkupiert und bis ins Privatleben hinein politisiert werden. Dies erst schafft die Atmosphäre, die feindselig ist gegen eine freiheitliche Gesellschaftsordnung, die auf Eigeninitiative und Selbstverantwortung setzt. Sind die Menschen erst entmündigt, braucht es alsbald einen Vormund, zu dem sich die selbsternannten Befreier nur zu gerne aufspielen.
Mut zur liberalen Utopie
Dieser Anti-Individualismus degradiert Menschen zu bloßen Trägern von Gruppenmerkmalen, statt ihre individuelle Persönlichkeit als das anzuerkennen, was sie ist: Einmalig. Kostbar. Unantastbar. Erst sie verleiht der menschlichen Existenz ihre Würde. Sich nicht auf rein ökonomische Reformen zu beschränken, sondern auch diese vorgelagerten Aspekte immer im Blick zu haben, macht Ihr Angebot an die Argentinier nochmals bemerkenswerter. Ob egalitärer Nihilismus, identitätspolitische Fantastereien, post-kolonialistische Irrwege, Radikalfeminismus, Familienfeindlichkeit, demokratieschädliche Cancel Culture oder rassistischer Antirassismus – Sie gehen keinem Konflikt aus dem Weg und verteidigen die individuelle Freiheit als Grundlage einer offenen, friedlichen und prosperierenden Gesellschaft. Was die lautesten Kritiker wohl nie verstehen: Nicht in den Zielen – Selbstverwirklichung, Frieden und Wohlstand – unterscheiden sich die Sozialphilosophien, sondern in ihren Mitteln. Und leider auch in den Folgen, und zwar in existenzieller Weise. Der Sozialismus, so sagen Sie zu Recht, ist in der Konsequenz immer und überall ein totalitäres Phänomen.
F. A. von Hayek schrieb einmal: „Was uns heute mangelt, ist eine liberale Utopie, die weder eine bloße Verteidigung des Bestehenden ist noch einfach als verwässerter Sozialismus erscheint, die weder die Empfindlichkeiten der Interessengruppen schont noch glaubt, so ‚praktisch‘ sein zu müssen, dass er sich auf Dinge beschränkt, die heute politisch möglich erscheinen. Was der echte Liberalismus vor allem aus dem Erfolg der Sozialisten lernen muss, ist, dass es der Mut zur Utopie war, der ihnen die Unterstützung der Intellektuellen gewann und damit jenen Einfluss auf die öffentliche Meinung hatte, der schrittweise das möglich machte, was eben noch unmöglich schien“.
Sie, Herr Präsident, haben den Mut zu dieser liberalen Utopie und Ihre Entschlossenheit im politischen Kampf gezeigt – auch mit dem Symbol der „Kettensäge“, mit der Sie unterwegs sind. Ein drastisches Bild, zugegeben. Aber es gilt ja auch, einen krassen Interventionswust zu stutzen. Einen zugewucherten Garten würde man auch nicht mit einem Skalpell beikommen wollen. Schon zeigen sich auch erste Erfolge wie der Stopp der galoppierenden Inflation, die drastische Reduktion der Ministerien oder erste Anzeichen neuen Vertrauens in den Standort Argentinien.
Die Behandlung gleicht einer Chemotherapie
Ein funktionsfähiges Geld- und Preissystem ist nicht alles – aber ohne sie ist alles nichts. Um sich dezentral koordinieren zu können, brauchen die Marktakteure Preise als Knappheitssignale. Schon Lenin wusste, dass man nur das Geldsystem zerstören muss, um den Kapitalismus zu vernichten. Sie drehen diesen destruktiven Lehrsatz um und schaffen so die Grundlage für ein stabiles Währungssystem als Voraussetzung für alles andere.
Ich möchte Präsident Milei in die Reihe der großen liberalen Reformer der Nachkriegszeit stellen. Mit Ludwig Erhard, Margret Thatcher, Ronald Reagan und den neuseeländischen Reformern wie Roger Douglas, den wir wie auch den ökonomischen Reformer Polens, Leszek Balcerowicz, mit der Hayek-Medaille ausgezeichnet haben. Sie alle haben sich große Verdienste um ihre Länder erworben. Und sie haben alle aus der Kraft liberaler Ideen geschöpft.
Ökonomisch gehen Sie an die Ursachen des argentinischen Niedergangs wie den überbordenden Vorsorgestaat, den wirtschaftspolitischen Interventionismus, die ruinöse Finanz- und Geldpolitik. Wie stand Argentinien in der Blütezeit des Kapitalismus vor dem ersten Weltkrieg da – und wie heute! Was für ein Absturz durch Peronismus, Kirchnerismus, gewerkschaftlichen Syndikalismus und so weiter. Die bisherigen liberalen Reformversuche in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts unter Carlos Menem etwa, verliefen schließlich im Sand. Der Widerstand der etablierten politischen Kräfte war zu groß. Nun kommt eben die Kettensäge, der Big Bang, Cold Turkey statt Gradualism.
Die Behandlung gleicht einer Chemotherapie, die Nebenwirkungen sind heftig und die Risiken hoch. Keine solche Therapie birgt aber noch größere Gefahren – vom fortgesetzten Siechtum bis zum Exitus. Das sozioökonomische Pendant zum medizinischen Exitus ist der Exodus. Ein Land ist am Ende, wenn seinen Menschen auswandern müssen, weil sie daheim keine Perspektive mehr sehen. Und Sie sind gewählt worden von denen, die bleiben wollen. Sie haben in großer Zahl diejenigen für sich gewonnen, die in besonderer Weise auf eine kluge Standortpolitik angewiesen sind, nämlich die Schwächsten in der Gesellschaft. Die Wohlhabenden können das Land verlassen und ihren Reichtum mitnehmen. Alle anderen müssten im Ausland bei Null anfangen. Dass Sie im linken Spektrum so viel Kritik auf sich ziehen, mag auch daran liegen, dass sie in Wählerkreisen erfolgreich waren, die diese für sich reklamieren. Wettbewerb ist eben nicht jedermanns Sache. Zu Recht können Sie die Schärfe dieser Kritik umso mehr als Bestätigung verbuchen.
Wenn ich Ihre Situation mit der Erhards nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Nazi-Diktatur vergleiche, so gibt es jedenfalls Gemeinsamkeiten in der Größe der Herausforderung. Erhard hatte nicht das Mandat des Volkes wie Sie, nur die Rückendeckung der amerikanischen Besatzungsmacht bei der Aufhebung der Preisvorschriften und Rationierung. Er war auf kurze Zeit liberaler Wirtschaftsdiktator, ohne demokratisches Mandat, ohne Parlament. Das Volk, an der Spitze die Gewerkschaften, waren gegen ihn („Generalstreik“), seine Verbündeten in den bürgerlichen Parteien unsicher und halb verzagt. Mit traumwandlerischer Sicherheit hat er die Übergangskrise durchgestanden bis dann schon bald der Erfolg, das sogenannte Wirtschaftswunder, sich einstellte. Wir wissen alle, dass es kein Wunder war. Das deutsche Wirtschaftswunder bestand vielmehr darin, sich auf einen marktwirtschaftlichen Weg gemacht zu haben in einer Zeit, in der der Mainstream sozialistisch dachte. Für verzagte Pragmatiker und Opportunisten hatte er nur Verachtung. Auch Sie haben machtvolle Gegner wie die Gewerkschaften und vor allem all die Profiteure des Status Quo, die sich auf Kosten der Allgemeinheit in Staat und Bürokratie eingerichtet haben.
Ihr Einsatz für Argentinien strahlt über die Landesgrenzen hinaus in die Welt. Sie erinnern den Westen an die Grundlagen seines Wohlstands und die Prämissen seiner demokratischen Rechtsstaaten, indem Sie die Übergriffigkeit staatlicher Zuständigkeiten benennen. Sie mahnen zu Recht an, dass eine Wirtschaftstheorie die Rolle des Unternehmertums nicht ins Abseits, sondern in den Mittelpunkt rücken muss. Weil eine Wirtschaftspolitik, die Marktprozessen grundsätzlich misstraut, keinen Erfolg haben kann. Sie bringen den Kapitalismus aus der Defensive und attackieren direkt die Narrative des Etatismus. Statt sich für Gewinne entschuldigen zu sollen, machen sie klar, dass erfolgreiche Unternehmer in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Schöpfer sind – Wertschöpfer, um im Fachjargon zu bleiben. Sie treten dem grassierenden Missverständnis entgegen, dass der Aufbau von immer mehr Staatlichkeit dem Gemeinwohl dient. Das Gegenteil ist der Fall. Es macht den Staat nur anfälliger dafür, zur Beute von Partikularinteressen zu werden. Kurzum: Sie verankern eine pro-freiheitliche Grundhaltung, auch damit sich dauerhaft etwas ändern kann. Sie führen die Liberalen aus ihrer diskursiven Isolation. Ihr Enthusiasmus für die Ideen der Freiheit ist ansteckend.
„Viva la libertad carajo!“
Prof. Dr. Stefan Kooths ist Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft.