Landtagswahl in Brandenburg: In Brandenburg droht dasjenige nächste Beben

Bei der Landtagswahl in Thüringen hat die AfD mit Abstand gewonnen, in Sachsen wurde sie zweitstärkste Kraft. In Brandenburg scheint ein Wahlsieg ebenfalls wahrscheinlich. Um Rang zwei konkurrieren in den Umfragen derzeit CDU, SPD und
das Bündnis Sahra Wagenknecht. Warum ist
die Bevölkerung trotz des Wirtschaftswachstums unzufrieden mit der
Landesregierung? Wird Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wirklich abtreten, wenn die AfD gewinnt? Wichtige Fragen und Antworten

Wann ist die Landtagswahl in Brandenburg?

Am 22. September wählen die
Brandenburgerinnen und Brandenburger einen neuen Landtag. Das Parlament in
Potsdam hat 88 Sitze und wird alle fünf Jahre neu gewählt, die letzte Wahl fand
2019 statt. Damals wurde die SPD mit gut 26 Prozent stärkste Kraft vor der AfD.

Wählen dürfen alle Bürgerinnen
und Bürger ab 16 Jahren, die seit mindestens einem Monat in Brandenburg leben.
Bei der Wahl haben sie zwei Stimmen: Die erste geht an den Direktkandidaten
einer Partei in ihrem Wahlkreis und die zweite an eine Landesliste. Wie bei der Bundestagswahl gilt eine Sperrklausel von fünf Prozent.

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Wie sehen die aktuellen Prognosen aus?

Wenige Tage vor der Landtagswahl schrumpft dem ZDF-Politbarometer zufolge der Abstand zwischen AfD und SPD. Demnach führt die AfD mit 28 Prozent nur noch knapp vor der SPD mit 27 Prozent. Am 13. September betrug der Abstand zwischen beiden Parteien in der Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen noch drei Prozentpunkte.

Die CDU erreicht der neuen Umfrage zufolge 14 Prozent der Wählerstimmen, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) liegt bei 13 Prozent. Die Grünen (4,5 Prozent), die Linke (4 Prozent) und BVB/Freie (3,5 Prozent) müssen um den Wiedereinzug in den Landtag bangen.

Über die Unsicherheiten von Umfragen

Repräsentative Umfragen unterliegen immer Fehlern. Man kann davon ausgehen, dass der tatsächliche Wert mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Bereich von einem bis drei Prozentpunkten über oder unter den letztlich angegebenen Messwerten liegt. Den Korridor dieses statistischen Fehlers zeigen wir ab sofort in unseren Grafiken zu Wahlumfragen.

Die Ergebnisse basieren immer auf Stichprobenbefragungen. Diese decken in der Regel nur spezielle Teile der Bevölkerung ab (zum Beispiel Menschen mit Festnetz-Telefonanschluss oder Internetnutzer). Einige potenzielle Teilnehmer sind ablehnend und wollen erst gar nicht befragt werden. Fragen werden mitunter auch falsch verstanden und nicht immer aufrichtig beantwortet. Zum Beispiel auch in Reaktion auf vorangegangene Umfragen. Um jedoch ein allgemeines Meinungsbild über alle Bevölkerungsgruppen hinweg zu berechnen, müssen die Demoskopen fehlende Messwerte und vermutete Ungenauigkeiten ausgleichen und die vorliegenden Zahlen neu gewichten. Diese (in der Regel nicht transparenten) Formeln unterscheiden sich in den Instituten und führen daher zu unterschiedlichen Aussagen.

Umfragewerte sind immer Momentaufnahmen. Mehr als eine grobe Tendenz für ein Meinungsbild lässt sich daraus nicht ableiten. Selbst wenn die Aussagen und Berechnungen zum Veröffentlichungszeitpunkt der Umfrage nahe an der Realität liegen, ist immer noch offen, ob die damals befragten Wähler zum Beispiel später tatsächlich ihre Stimme abgeben oder sich kurzfristig umentscheiden.

Eine Studie der
Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die AfD bei der Wahl deutlich mehr
Direktmandate gewinnen könnte, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen.
Die anderen Parteien müssten dementsprechend Ausgleichsmandate erhalten und der
Landtag würde deutlich größer als bisher. Laut Bertelsmann Stiftung ist das womöglich unvereinbar mit der Landesverfassung.

Da mit der AfD niemand koalieren
will, wäre derzeit eine Koalition aus SPD, CDU und BSW das einzige Bündnis mit
Aussicht auf eine stabile Regierungsmehrheit
. SPD und CDU schließen eine
Zusammenarbeit mit dem BSW nicht aus. Ministerpräsident Dietmar Woidke sagt, er kenne „viele, die momentan beim BSW aktiv sind“ – und fragt: „Warum nicht?“ Sahra Wagenknecht sagt, man wolle sich
nur an Landesregierungen beteiligen, die „auch bundespolitisch klar Position für
Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitung“ bezögen. So müssten mögliche Koalitionen die Stationierung von US-Raketen in Deutschland klar ablehnen.

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Was sind die Themen im Wahlkampf in Brandenburg?

Vordrängendes Thema ist der Rechtsextremismus. Die
CDU-Landtagskandidatin Adeline Abimnwi Awemo wurde in Cottbus rassistisch
beleidigt und tätlich angegriffen
, das Auto des brandenburgischen
Antisemitismusbeauftragten Andreas Büttner (Die Linke) mit rechtsextremen Zeichen
beschmiert
, bei der Jugendorganisation der rechtsextremistischen Kleinstpartei
Dritter Weg gab es eine Razzia. Dazu wurde im Juli das rechtsextreme Compact-Magazin
vom Bundesinnenministerium verboten. Seinen Firmensitz hatte das Magazin, das laut einem vorläufigen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts seine Arbeit unter bestimmten Auflagen wiederaufnehmen darf, in Falkensee in Brandenburg.

Die AfD in Brandenburg, die Verbindungen zu Compactunterhält, wird vom Verfassungsschutz als
rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Einzelne Landtagsabgeordnete werden als
rechtsextrem geführt. Im Wahlkampf wirbt die Partei mit einer Begrenzung von
Migration, aber auch für den Erhalt aller Krankenhausstandorte und die
Förderung medizinischer Versorgungszentren. Politikwissenschaftler Gideon
Botsch von der Universität Potsdam findet das höchst widersprüchlich. „Einerseits will
man vom Staat möglichst in Ruhe gelassen werden, ‚den Anderen‘ soll er aber mit
Stärke und Härte begegnen. Man beklagt den Fachärztemangel im ländlichen Raum,
bekämpft aber jede Förderung von gezielter Migration“, sagt Botsch zu ZEIT ONLINE. Dass die
AfD trotzdem so viel Zuspruch findet, liegt laut Botsch auch
daran, dass in Ostdeutschland viele Menschen beschlossen hätten: „Nur noch AfD“
– und ihre Wahlentscheidung, unabhängig von Programm und Kandidaten, schon
feststehe.

Die Landesregierung hat es also schwer,
im Wahlkampf eigene Themen zu setzen. Ministerpräsident Woidke
verweist gerne auf das starke Wirtschaftswachstum seines Landes. Doch auch das
zieht wenig. „Es gibt ein Grundproblem in der Vermarktung der
Wachstumspolitik in Brandenburg“, sagt Politikexperte Botsch. Der große Schub, auf den
Brandenburg gerade sehr stolz sei, hänge stark mit der Tesla-Ansiedelung zusammen. Der
US-Autohersteller hatte in Grünheide ein neues Werk errichtet, das in der Bevölkerung durchaus umstritten ist.

„In Brandenburg sieht man kaum noch diese verödeten, verarmten Landstriche. Man sieht sehr viel bescheidenen, aber auch weniger bescheidenen Wohlstand“, sagt Botsch. Es sei nicht die reale Notlage,
die zur Wahl einer rechten Partei führe, sondern die Angst vor einem
persönlichen Abstieg.

Die Politikwissenschaftler Astrid
Lorenz und Hendrik Träger erklären die Stärke rechter Parteien in Brandenburg in dem Sammelband Rechtsparteien in
Brandenburg
auch damit, dass die überwiegende Mehrzahl der Brandenburger
parteipolitisch ungebunden sei. Sie seien dadurch „selbst Mitverursacher von
politischen Repräsentationsproblemen“. Diese wollten sie mit der Wahl rechter
Parteien beheben.

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Wer sind die Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl?

SPD-Ministerpräsident Dietmar
Woidke
wurde 2013 Nachfolger von Matthias Platzeck. Seine SPD stellt seit
der Wiedervereinigung den Ministerpräsidenten in Brandenburg. Woidke zeigt sich
flexibel, was Koalitionen angeht, regierte zuletzt mit CDU und Grünen. „Mein
Ziel ist es, gegen die AfD zu gewinnen – und wenn ich gegen die AfD verliere,
bin ich weg
„, sagt Woidke. Politikwissenschaftler Botsch hält diesen möglichen Abgang für
glaubhaft. Woidke sei ein „berechenbarer Politiker“. Im Wahlkampf verzichtet der Ministerpräsident auf Unterstützung aus Berlin, gemeinsame Auftritte mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sind nicht geplant. Er sei manchmal froh, wenn er von der Bundesregierung mal ein paar Tage nichts höre, sagt Woidke.

CDU-Spitzenkandidat Jan
Redmann
machte im Wahlkampf bislang vor allem mit seiner Alkoholfahrt auf
einem E-Scooter
auf sich aufmerksam. Die Brandenburger CDU sieht er als „Gegenmodell“ zur Ampelkoalition im Bund und warnt vor einer Zuspitzung auf die AfD als Gegner. Redmann würde weder mit der AfD noch mit der Linken regieren wollen. Das Spitzenduo der Grünen, Antje
Töpfer und Benjamin Raschke
, will sich unter anderem stark machen für besseren Nahverkehr
in Brandenburg, wie das mutmaßlich ohne erneute Regierungsbeteiligung klappen soll, ist
fraglich.

Linkenspitzenkandidat Sebastian Walter kämpft, wie die Grünen,
um den Wiedereinzug in den Landtag – und auch um Stimmen, die dem missliebigen
BSW zufallen könnten. Auf Plakaten ist Walter neben dem Spruch „Jede Zeit braucht ihren Robin Hood“ zu sehen. Die Linke setzt in ihrem personenzentrierten Wahlkampf also vorwiegend auf Umverteilung und weniger auf Klima- oder Migrationsthemen. Der Rechtsextremist Hans-Christoph Berndt von der AfD meint,
dass die Altparteien die deutsche Staatsbürgerschaft „verschleudern“. Nach dem Bekanntwerden des rechtsextremen Treffens in Potsdam, bei dem unter anderem über die Deportation von migrantischen Menschen aus Deutschland diskutiert worden sein soll, sagte Berndt „Remigration“ sei „kein Geheimplan, sondern ein Versprechen„.

Die FDP um Zyon Braun sitzt seit 2014 nicht mehr im
Landtag, daran dürfte sich Umfragen zufolge auch nach dieser Wahl nichts ändern. Ihre Teilnahme an einer Fernsehdebatte im RBB, zu der sie mangels Relevanz nicht eingeladen worden war, will die FDP einklagen. Péter Vida von BVB/Freie Wähler verspricht Wählerinnen und Wählern eine „Dönerpreisbremse“ und setzt auf intensiven Haustürwahlkampf – ob er damit sein Direktmandat
verteidigen kann? Immerhin könnte das Mandat seinen Freien Wählern den Wiedereinzug in
den Landtag sichern, die sogenannte Grundmandatsklausel macht das möglich.
Und auch Grüne, FDP und Linke könnten von ihr profitieren.

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Welche Rolle spielt das BSW bei der Landtagswahl in Brandenburg?

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist
die große Unbekannte bei der Landtagswahl. Es tritt erstmals an und dürfte sehr sicher mit
einem zweistelligen Ergebnis in den Landtag einziehen. Über seine Kandidatinnen
und Kandidaten weiß man jedoch wenig. Der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat
Robert Crumbach
ist Richter am Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel und für die Zeit des Wahlkampfs beurlaubt. Vor seinem Übertritt zum BSW war er mehr als 40 Jahre lang SPD-Mitglied. Im Interview mit ZEIT ONLINE kritisiert er die Sanktionen gegen Russland als „verfehlt“ und schlägt vor,
dass Brandenburg Vermittler nach Russland schicken könnte.

„Mit dem BSW gibt es eine
zweite Partei, die an einer verantwortungsvollen Politik bisher kein Interesse
zeigt und von der wir kaum etwas wissen“, sagt Politikwissenschaftler
Botsch. „Wir wissen, was die Privatmeinung von Sahra Wagenknecht ist, aber wenig über den Landesverband Brandenburg.“

Dennoch wird das BSW als möglicher Mehrheitsbeschaffer indirekt von SPD und CDU hofiert. Botsch erklärt
das so: Die CDU habe viel Energie darauf verwandt, die Grünen als möglichen Koalitionspartner auszuschalten und deute nun an, sie könne mit „Hasardeuren“ wie dem BSW koalieren. In der SPD-Klientel gebe es inhaltliche Überschneidungen, und ihre Wählerschaft scheine eine gewisse Anfälligkeit für das BSW zu zeigen. In einer Landesregierung hätte man mit dem BSW aber keine Partner, die man einschätzen
könnte, warnt Botsch. Er sieht bei einer möglichen Zusammenarbeit
insbesondere außen- und sicherheitspolitische Risiken.

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen macht Sahra Wagenknecht deutlich, dass das BSW durchaus um seine Bedeutung weiß. „Wir sind zu einem Machtfaktor in Deutschland geworden“, sagte Wagenknecht. Wer mit dem BSW koalieren wolle, müsse mit ihr persönlich sprechen. Das sei „angemessener als ein Telefonat“, sagte Wagenknecht. Die eigentlichen Koalitionsverhandlungen würden aber im Land geführt.

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