Kulturpolitik: Das kostet uns zu viel

In der aktuellen politischen Situation ausgerechnet den demokratischen Diskursraum der freien Szene durch Einsparungen zu gefährden, ist der falsche Weg. Es braucht eine Wende in der Kulturpolitik


Angeblich hat Staatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) zugehört, als ihr ostdeutsche Kulturinstitutionen erzählten, unter massivem Druck zu stehen

Foto: DTS Nachrichtenagentur/ Imago Images


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Der geplante Kulturetat im Bundeshaushalt 2025, der Ende November endgültig verabschiedet werden soll, war ein Schock für die freie Kunstszene: Zwar soll der Gesamtetat für Kultur um 50 Millionen Euro auf dann 2,2 Milliarden Euro aufgestockt werden, doch die Förderungen für die freie Szene sollen um fast die Hälfte gekürzt werden. Das betrifft vor allem die sechs Bundeskulturfonds, deren Fördermittel von 32 auf 18 Millionen schrumpfen. Besonders dramatisch trifft es das Bündnis Internationaler Produktionshäuser. Der Verbund von Spielstätten, zu dem etwa das Berliner Hebbel am Ufer (HAU), Kampnagel in Hamburg oder das Europäische Zentrum der Künste in Hellerau bei Dresden gehören, bietet unverzichtbare Strukturen und Netzwerke, auf die die freie Kunst-, Tanz- und Theaterszene bisher bauen konnte. Ihm sollen die sowieso schon spärlichen fünf Millionen Euro Fördergelder künftig komplett gestrichen werden.

Seit dies bekannt wurde, herrscht Aufruhr in der freien Szene. In Stellungnahmen, Petitionen, Guerilla-Aktionen und öffentlichen Veranstaltungen artikuliert sich Unverständnis, Wut und Unsicherheit.

Besonders schwer nachzuvollziehen sind die Kürzungen auch vor dem Hintergrund, dass der Bund – mit ausdrücklicher Unterstützung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth – erst Anfang des Jahres eine Honoraruntergrenze für freie Künstler:innen eingeführt hatte. Wenn Budgets deshalb nun höher angesetzt werden müssen, aber die Förderungen gestrichen werden, bedeutet das de facto, dass zukünftig noch weniger Projekte realisiert werden können.

Die freie Szene ist ein wichtiger Diskursraum, in dem gesellschaftliche Debatten oft schon behandelt werden, bevor sie den Mainstream erreichen. Mit dem Bedingungslosen Grundeinsingen von Bernadette La Hengst zum Beispiel gelangte das Thema Grundeinkommen bereits vor über zehn Jahren über partizipative Bürger:innenchöre in die Stadtgesellschaften.

„Möglichst flache Hierarchien, kollektives Arbeiten und das Bearbeiten von Themen mit besonderer gesellschaftspolitischer Relevanz und Dringlichkeit sind Werte der Szene“, so beschreibt die Theatermacherin und Performerin Simone Dede Ayivi die freie Szene. Zuletzt hat sie in ihrer Installation Unauthorized und Unverschämt deutsche Nachkriegsgeschichte aus Schwarzer Perspektive beleuchtet. „Für People of Colour, queere und feministische Bewegungen und migrantische Communitys ist die freie Szene ein wichtiger Bezugspunkt“, sagt sie. Das Gleiche gelte für Behinderte und chronisch kranke Künstler:innen, denn Behinderten- und Inklusionsaktivist:innen hätten hier Aufklärungsarbeit geleistet und schon viel für mehr Zugänglichkeit und den Abbau von Barrieren erreicht. Das alles sei in der freien Szene trotz viel geringerer Mittel möglich, weil es starke Vernetzungen gebe und einen regen Austausch von Publikum und Künstler:innen.

Doch sie stellt auch fest: „Die Förderung bestimmt, was in der freien Szene möglich ist. Welche und wie viele Projekte realisiert werden können und damit auch, was das Publikum sieht.“ Das Arbeiten in der freien Szene sei zwar künstlerisch autonom, aber „wenn man sich fragt, warum in der freien Szene so viele Installationen, Solo-Performances oder Stücke mit wenig Spieler:innen zu sehen sind, dann ist das keine künstlerische Entscheidung, sondern hängt mit den geringen Budgets zusammen“. Ihre Planungen für nächstes Jahr lägen zurzeit auf Eis, beschreibt Ayivi ihre eigene Situation, „weil die Häuser, mit denen ich kooperiere, aktuell keine Planungssicherheit haben und erst mal abwarten müssen“.

Claudia Roth ist besorgt

Auf die Nachfrage des Freitag bei der Staatsministerin für Kultur und Medien, wie die Kürzungen für einen Bereich begründet werden, der sonst gern als „Demokratieverstärker“ in Anspruch genommen wird, weist ein Sprecher von Claudia Roth auf die „langen, anstrengenden und schwierigen Diskussionen“ hin, die die Haushaltsfindung begleitet hätten: „Der Entwurf war Zwängen unterworfen wie kein Haushalt in den letzten zehn Jahren.“ Er verweist zudem auf die „beachtlichen Erfolge“, die in den letzten Jahren für die freie Szene erzielt worden seien: „Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit wurde die Förderung der freien Szene um über 30 Millionen Euro und damit rund 45 Prozent ausgebaut.“ Dieses „außergewöhnlich hohe Niveau“ hätte aus ihrer Sicht zu „Erwartungen“ in der freien Szene geführt, die für 2025 „aufgrund der allgemeinen finanziellen Lage leider nicht zu erfüllen waren“.

Der beschwichtigende Ton ist unangebracht. Was in Zeiten der Ermächtigung rechtsextremer Kräfte politisch abgesichert werden muss, sind Räume für vulnerable Gruppen der Gesellschaft, in denen demokratische Gemeinschaft weiterhin erlebt und ausgehandelt werden kann. Erst kürzlich zeigte sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth „besorgt“ über die Situation der Kunst- und Kulturszene in ostdeutschen Ländern. Auf Kulturinstitutionen würde massiver Druck ausgeübt, ihr sei von „offenen Drohungen“ berichtet worden.

Genau deshalb braucht es jetzt eine radikale Neuausrichtung in der Kulturpolitik. Die Tendenz, große, oft repräsentative Institutionen mit immer höheren Budgets auszustatten (die Stiftung Preußischer Kulturbesitz profitiert von der geplanten Aufstockung), darf nicht zulasten dieser pluralen, engagierten und nicht zuletzt oft im ländlichen Raum angesiedelten künstlerischen Initiativen gehen. Bei der freien Szene zu kürzen, kostet die Gesellschaft auf lange Sicht zu viel.

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