Alle wollen in die Cloud. Anwaltskanzleien, große Fahrzeughersteller, aber auch Stadtbibliotheken streben danach, ihre Daten digital besser zu verwalten – und daraus die besten Erkenntnisse zu gewinnen. Rechenzentren sind die Fabriken dieser digitalen Ökonomie. Dass die Nachfrage nach Rechenleistung steigt, wird am wachsenden Stromhunger der Rechenzentren deutlich. Vor zwei Jahren lag ihr Stromverbrauch bei 17,9 Milliarden Kilowattstunden (KWh) pro Jahr. Fachleute des Borderstep Institutes gehen davon aus, dass deutsche Rechenzentren nach aktuellem Trend im Jahr 2030 mehr als 26 Milliarden kWh benötigen könnten. Mit derselben Menge an Strom würde das gesamte Land Luxemburg mehr als vier Jahre lang über die Runden kommen.
Neben den allgemeinen Bestrebungen vieler Unternehmen, digitaler zu werden, wächst weltweit die Nachfrage nach Künstlicher Intelligenz. Sie bringt neuen Schwung in viele Branchen, die hoffen, so ihre Produktivität zu steigern. Der Durchbruch der KI ist nur möglich, weil heute alle Parameter stimmen: Die Sprachmodelle und Chiptechnologien haben sich mit der Zeit so deutlich verbessert, dass die Ergebnisse dieser jahrzehntelangen Forschung nun der breiten Masse zugänglich gemacht werden können – zum Beispiel in Form von ChatGPT. Gleichzeitig sind dafür intensive Rechenprozesse nötig. Dem Papst mithilfe der KI in einem Bild eine Designerjacke zu verpassen verbraucht in etwa so viel Strom, wie ein Smartphone zur Hälfte aufzuladen. Und ein KI-Modell wie GPT-3 zu trainieren gleicht einem 185 Jahre langen Serienmarathon auf Netflix.
Die KI lernt schnell
„Wir stehen beim Thema Künstliche Intelligenz gerade noch am Anfang“, sagt Ralph Hintemann, der am Borderstep Institut die Nachhaltigkeitspotentiale der Digitalisierung erforscht. „Und die Anwendungsmöglichkeiten sind riesig. Wir machen jetzt oft gerade einmal Bilder mit KI. Wenn wir in Kürze immer mehr Videos mit KI erstellen, brauchen wir noch deutlich mehr Rechenleistung.“ Und die Modelle lernen schnell. Aus Händen mit sechs Fingern und grotesken Proportionen wurden innerhalb weniger Monate realistische Bilder, die auf den ersten Blick kaum noch von echten Fotos zu unterscheiden sind. Das auch in Videoform umzusetzen ist das nächste Ziel. Open AI, das berühmte KI-Unternehmen hinter ChatGPT, arbeitet zurzeit an einem Werkzeug namens Sora. In Zukunft sollen damit filmreife Videos aus der Eingabe von Textbefehlen entstehen. Immer mehr KI-Unternehmen, Sprachmodelle und Anwendungsfelder schießen wie Pfifferlinge aus dem Boden. „Untersuchungen schätzen, 20 Prozent des Energieverbrauchs der KI belaufen sich auf die Modellbildung und das Training. 80 Prozent auf die Anwendung“, sagt Hintemann.
Dass Unternehmen immer digitaler werden und die Anwendungspotentiale der KI zunehmen, befeuert die Nachfrage nach Strom. Das gilt insbesondere in den USA, wo die großen KI- und Technologieunternehmen sitzen. Amazon, Google und Microsoft schließen schon Langzeitverträge mit Anbietern für Atomstrom wie Duke Energy ab, um sich genügend Energie für die vielen Rechenprozesse zu sichern. Im März dieses Jahres kaufte Amazon Web Services (AWS) ein Rechenzentrum in Pennsylvania, das seinen Strom direkt vom benachbarten Kernkraftwerk Susquehanna von Talen Energy bezieht.
Gleichzeitig treiben die großen amerikanischen Unternehmen den Bau von Rechenzentren voran, die mit erneuerbaren Energieträgern betrieben werden. Microsoft will zum Beispiel zusammen mit dem arabischen KI-Unternehmen G42 Rechenzentren in Kenia errichten, die mit Geothermie betrieben werden. Denn in der Region des Hell’s Gate National Parks steigen vulkanische Dämpfe aus dem Erdboden, die sechs umliegende Geothermiekraftwerke in Strom umwandeln.
In Deutschland hofft zumal die Politik auf noch mehr erneuerbare Energieträger. Im vergangenen Jahr stammten 56 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. Die Stromerzeugung aus diesen Quellen stieg damit um 9,7 Prozentpunkte im Vergleich mit 2022. In zwei Jahren sollen alle Rechenzentren in Deutschland ihren Strom zu 100 Prozent aus nachhaltigen Energiequellen beziehen, bestimmt das Energieeffizienzgesetz (EnEfG). Das heißt, alle der rund 2000 großen Rechenzentren in Deutschland müssen Lieferverträge mit nachhaltigen Energieanbietern abschließen oder direkt an erneuerbare Energiequellen angeschlossen werden. Einige Unternehmen sind schon länger darum bemüht, ihre eigenen Rechenzentren mit erneuerbaren Energien zu betreiben.
So errichtete der deutsche IT-Dienstleister NTT Data Solutions eine Photovoltaikanlage in Bielefeld, um seine Bürogebäude und Rechenzentren nach eigenen Angaben „in großen Teilen“ mit selbst produziertem Solarstrom zu versorgen. Für große Colocation-Rechenzentren, die von mehreren Unternehmen genutzt werden, ist eine Selbstversorgung deutlich schwieriger. Der Großteil bezieht seinen Strom daher aus dem öffentlichen Stromnetz.
„Der Stromverbrauch der Rechenzentren liegt aktuell irgendwo bei 3,5 bis 4 Prozent. Man kann also nicht sagen, dass Rechenzentren den ganzen Strom in Deutschland aufbrauchen, selbst wenn sich das in Zukunft verdoppeln würde“, sagt Hintemann. Die Gesamtmenge an Strom sollte daher ausreichen, um auch in Zukunft den Bedarf der Rechenzentren in Deutschland zu decken, schätzt er. „Die Frage wird aber sein: Gibt es genügend Strom an den Standorten, an denen die Rechenzentren gebaut werden sollen?“
Es hakt am Stromtransport
Ein Blick auf die Landkarte zeigt: Frankfurt ist Deutschlands größter Hotspot für Rechenzentren. Dahinter folgt Berlin. Frankfurt ist deshalb so attraktiv, weil sich in der Stadt der Internetknotenpunkt DE-CIX befindet, einer der weltweiten Austauschpunkte für den Datenverkehr. Die Nähe zum Knotenpunkt ermöglicht es, große Datenmengen mit geringer Latenz zu übertragen, und ist deshalb so attraktiv für Rechenzentrumsbetreiber. Gleichzeitig zählt eine gesicherte Stromversorgung zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Planung eines Standortes für Rechenzentren, weiß auch Zahl Limbuwala. Er arbeitet für die Investmentfirma DTCP, die im Jahr 2015 aus der Telekom ausgegliedert wurde. Er ist Executive Chairman des Advisory Boards von Maincubes, die Rechenzentren in Frankfurt, Berlin und Amsterdam betreiben. „Jetzt kommt die generative KI ins Spiel. Der größte Unterschied zu früher ist, dass die Rechenzentren nun mit großen Spitzen in der Nachfrage nach Rechenleistung konfrontiert sind – besonders dann, wenn ein neues Sprachmodell trainiert wird.“
Während eines solchen Trainings wird die Rechenleistung kurzzeitig Zeit maximiert. Die Server arbeiten dann auf Hochleistung und stoßen jede Menge Hitze aus. Diese dynamische Last und die immer größeren Auswirkungen auf das Stromnetz sind neu. Und die Betreiber von Rechenzentren sind dabei, herausfinden, wie sie damit umgehen können.
„Die Herausforderung ist, die erzeugte Energie dahin zu bekommen, wo sie gebraucht wird. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für jedes entwickelte Land mit einem Stromnetz, das bereits einige Jahre auf dem Buckel hat“, sagt Limbuwala. In Frankfurt wird es mittlerweile eng. Die Stromkapazitäten der Stadt sind bis ins Jahr 2030 verteilt. Für neue Rechenzentren ist wenig Platz, und noch weniger Energie da. Um weiterhin von Frankfurt als Internetknotenpunkt zu profitieren, siedeln sich immer mehr Rechenzentren in der Frankfurter Umgebung an. Zwar baut der regionale Stromanbieter Mainova seine Kapazitäten stark aus – der Strom muss jedoch erst mal ins regionale Netz eingespeist werden. Um Strom aus Offshore-Windparks aus dem Norden Deutschlands schneller nach Hessen zu transportieren, wird der Rhein-Main-Link geplant, eine rund 600 Kilometer lange Stromtrasse. Baubeginn soll im Jahr 2028 sein. „Die Energie- und Netzinfrastruktur in Deutschland auszubauen ist schwierig und dauert lange. Wie stellen wir also sicher, dass genug Energie zur Verfügung steht?“, fragt Investor Limbuwala: „Ein Teil der Lösung ist, die Nachfrage dorthin zu verlagern, wo sich die erneuerbaren Energieressourcen befinden.“
Im Norden Deutschlands
Viele Anbieter zieht es deshalb in den Norden Deutschlands. Dort sind die wichtigen, nachhaltigen Energieressourcen wie Windkraftanlagen näher. Der Rechenzentrumsbetreiber Virtus will in Wustermark nahe Berlin bis zum Jahr 2026 ein neues Rechenzentrum mit einer Leistung von 300 Megawatt bauen, das direkt an umliegende Onshore-Windparks angebunden wird. „Mit den erneuerbaren Energien ergibt sich tatsächlich auch eine Chance“, sagt Limbuwala. „Wenn Rechenzentrumsbetreiber und KI-Unternehmen zusammenarbeiten, können sie überschüssige Energie optimal nutzen. Das Training könnte genau dann durchgeführt werden, wenn viel zusätzlicher Strom zur Verfügung steht.“
Denn aktuell wird im Norden Deutschlands mehr Ökostrom produziert als verbraucht, während im Süden mehr Strom benötigt als erzeugt wird. Der notwendige Nord-Süd-Stromtransport wird durch den verzögerten Ausbau von Hochspannungstrassen wie dem „Rhein-Main-Link“ oder dem „Suedlink“ behindert. Das führt dazu, dass bei Netzüberlastung Ökostromanlagen im Norden abgeschaltet werden, weil er nicht schnell genug in den Süden gelangen könnte. Währenddessen müssen konventionelle Kraftwerke im Süden hochgefahren werden. Wenn KI-Modelle genau dann Rechenleistung in Anspruch nehmen, wenn in der Nähe zu viel Strom erzeugt wird, könnte das Potential der Anlagen besser ausgeschöpft werden.
Rechenzentren effizienter gestalten
Schon lange wird daran gearbeitet, den Energiebedarf der Rechenzentren selbst zu reduzieren und den gelieferten Strom besser zu nutzen. Einsparungen sind zum Beispiel bei der Kühlung der Chips möglich. Auf vielen Chips verlaufen heute dünne Schläuche, welche die Hardware direkt kühlen sollen, dafür steht die Bezeichnung „Direct-to-Chip-Cooling“. Die intensiven Rechenprozesse, die für die generative KI benötigt werden, sorgen dafür, dass die Computer heißer werden als bei herkömmlichen Cloud-Computing-Prozessen.
Optimierte Kühlung ist daher ein wichtiger Ansatzpunkt. Weil in Rechenzentren viel Hitze entsteht, rückt auch die Abwärmenutzung immer stärker in den Fokus der Nachhaltigkeitsbestrebungen. Im Frankfurter Stadtteil Gallus wird seit dem Jahr 2021 an einer neuen Siedlung mit 1300 Wohnungen gearbeitet, die weitgehend mit Abwärme aus dem benachbarten Rechenzentrum des Betreibers Telehouse beheizt werden sollen. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2025 geplant.
Ein anderer Ansatzpunkt liegt darin, die Algorithmen der KI zu verbessern, um ähnliche Ergebnisse mit geringerer Rechenleistung zu erzielen. Außerdem werden kleinere KI-Modelle für den Einsatz in Unternehmen immer beliebter. So hat Open AI im Juli GPT-4o mini veröffentlicht. Das ist ein kosteneffizientes, kleines Sprachmodell, auf das Unternehmen über eine Schnittstelle zugreifen können, um es in ihre Anwendungen zu integrieren. Microsoft ging direkt mit einer ganzen Reihe kleinerer Versionen des Sprachmodells Phi-3 an den Markt. „Diese Modelle werden nicht erst seit ein, zwei Jahren effizienter. Schon immer wird versucht, möglichst wenig Rechenleistung zu nutzen“, sagt Nachhaltigkeitsforscher Hintemann.
Allerdings bezweifelt er, dass die Effizienzfortschritte angesichts der wachsenden Anwendungsfälle dazu führen, dass in naher Zukunft damit Strom eingespart wird. „Wenn ich die Rechenleistung physisch zur Verfügung habe, dann nutze ich sie im Normalfall auch.“ Wegen des internationalen KI-Wettlaufes wird enorm mit Hardware aufgerüstet. GPU-Hersteller wie Nvidia bringen Superchips auf den Markt, die noch schneller, noch effizienter und noch besser rechnen können. „Wenn Modelle effizienter werden, führt das nicht dazu, dass Unternehmen und Rechenzentren weniger Hardware kaufen, sondern dass sie die verfügbare Hardware möglichst voll auslasten und die maximale Leistung herausholen.“
Deutschland bleibt ein attraktiver Standort
Erfreulich ist, dass Deutschland weiterhin ein attraktiver Standort für neue Rechenzentren bleibt. Das zeigte sich zuletzt im Juni, als Amazon ankündigte, zehn Milliarden Euro in den Aufbau von Rechen- und Logistikzentren in Deutschland zu investieren. Und Anfang des Jahres knallten im Rheinischen Revier die Korken, als Microsoft ankündigte, zwei Rechenzentren im nordrhein-westfälischen Bedburg und Bergheim zu bauen. In den kommenden zwei Jahren will der amerikanische Softwarekonzern 3,2 Milliarden Euro in Deutschland investieren.
Innerhalb der EU ist Deutschland ein beliebtes Ziel für neue Rechenzentrumsprojekte, da im Land hohe datenschutzrechtliche Standards herrschen. Denn immer mehr deutsche Unternehmen pochen darauf, ihre Daten nicht auf US-Servern zu speichern, wo sie amerikanischen Datenschutzbestimmungen unterliegen. Trotz mangelnder Bauplätze in dicht besiedelten Gebieten wie Frankfurt und Herausforderungen bezüglich der Stromversorgung reißen die Projekte um den Bau neuer Rechenzentren hierzulande nicht ab. Weil seit der Prognose um den Stromverbrauch deutscher Rechenzentren bis zum Jahr 2030 viele neue Projekte hinzukamen, sind Ralph Hintemann und sein Forschungsteam gerade dabei, neue Berechnungen anzustellen. „Da kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Wahrscheinlich wird der Verbrauch höher liegen“, sagt er voraus: „Der Trend wird vermutlich in Richtung 30 Milliarden kWh pro Jahr gehen.“