Aufwendig renovierte Räume im Industriestil erwarten Besucher im Szeneviertel Marais, Rue du Temple, Hausnummer 106. Die Dachterrasse im zehnten Stock bietet einen Panoramablick über Paris. In den an diesem Nachmittag lichtdurchfluteten Büros sitzen junge Entwickler dicht an dicht. Wer bei Vertretern der Kryptoszene immer noch an dubiose Wesen in düsteren Kellern denkt, wird hier im Herzen von Paris eines Besseren belehrt.
Die präsentablen 7500 Quadratmeter des Unternehmenssitzes symbolisieren das Selbstbewusstsein von Ledger. In der globalen Kryptoszene ist das auf die Aufbewahrung digitaler Vermögenswerte spezialisierte Start-up in den vergangenen Jahren zu einem führenden Akteur aufgestiegen. Mehr als acht Millionen ihrer Hardware-Wallets haben die Franzosen schon an Privatpersonen verkauft, zudem gibt es ein Angebot für Unternehmen und institutionelle Kunden. Mit diesen Geräten lassen sich Bitcoin, Ethereum & Co. aufbewahren und Transaktionen durchführen. Die Wallets entwickelt Ledger selbst, die Fertigung erfolgt in Partnerschaft mit dem taiwanischen Elektronikhersteller Foxconn. Gerade erst präsentierte das Start-up sein neues kreditkartengroßes Gerät „Nano Gen5“.
Gegründet worden ist Ledger vor elf Jahren von einer Unternehmergruppe um Eric Larchevêque, der mit „La Maison du Bitcoin“ auch Europas erstes physisches Bitcoinzentrum mitgegründet hat. An diesem Ort haben sich früh junge Softwareingenieure zusammengefunden für Entwicklungsveranstaltungen und Fachsimpeleien über Kryptowährungen. Ledger ist schnell ein Aushängeschild der lebendigen Pariser Kryptoszene geworden. Mit einer Investorenbewertung von 1,5 Milliarden Dollar hat das Start-up vor vier Jahren „Einhorn“-Status erlangt. Financiers sind neben einer Reihe von Wagniskapitalgebern aus den USA unter anderem die Familienholding des Luxusgütermilliardärs Bernard Arnault. Ledger betreibt inzwischen sechs Büros auf der Welt, von Singapur bis Portland, und beschäftigt rund 700 Mitarbeiter.
Das widerspreche dem Grundgedanken von Bitcoin
Wie so viele Vertreter der Kryptowelt treibt auch Ledger an, Alternativen zum etablierten Finanzsystem zu schaffen. In den Worten von Geschäftsführer Pascal Gauthier ist damit nichts Geringeres gemeint, als „den Menschen Macht und digitales Privateigentum zurückzugeben“. Ledger ermögliche es seinen Wallet-Nutzern, die eigene Kontrolle über ihre Vermögenswerte zu erlangen. Man sei insofern kein Händler und schon gar keine Depotbank, die Eigentum verwahrt und kontrolliert – sondern eine „Sicherheitsplattform“, die sichere Infrastruktur für die Aufbewahrung digitaler Vermögenswerte und deren Verwaltung über die Wallet bereitstelle.
Gauthier, der privat in Ledger investiert hat und 2019 Geschäftsführer geworden ist, ist über den Kryptokosmos hinaus ein bekanntes Gesicht der Techszene. Durch öffentliche Auftritte hat der debattierfreudige Franzose mit radikalliberalen Ideen von sich reden gemacht. Auch im Gespräch mit der F.A.Z. mahnt er, dass es bei digitalen Vermögenswerten um mehr gehe als um technische Fragen. „Smartphones sind wirklich sehr schöne Geräte, aber nichts gehört uns, alles gehört Google, Apple, der Regierung und den Banken“, sagt Gauthier. Dabei liege gerade in Frankreich, dem Land der Erklärung der Menschenrechte, dem einen oder anderen immer noch die Freiheit am Herzen.
Dass die großen Akteure der Kryptowelt heute Handelsplattformen sind, verschärft das Problem aus Sicht des Ledger-Chefs. Sie böten schließlich nur Software-Wallets an, die auf Smartphones oder Computern funktionieren. Das berge Sicherheitsrisiken – und stelle jenen „Kompromiss beim Privateigentum“ dar, den Gauthier so kritisch sieht. „Wenn ich mir die meisten aktuellen Plattformen anschaue, sind wir wieder in einer klassischen Welt der Zentralisierung“, sagt er. Man vertraue jemandem sein Geld an und hoffe, dass er nicht wie die Kryptobörse Bybit gehackt wird. Das widerspreche im Übrigen dem Grundgedanken von Bitcoin, wonach man ohne Zwischenhändler und ohne Vermittlungsgebühr auskommen soll.
„Wir schützen mehr als 20 Prozent aller Kryptowährungen“
„Wenn Ihr persönliches Eigentum nicht sicher ist, gibt es keine Freiheit“, steht für Gauthier fest. Nur Hardware-Wallets ermöglichten die Freiheit der Nutzer. Ledger biete dabei kreditkartenähnliche Sicherheitsstandards, über die kein anderer Wettbewerber verfüge, so das Versprechen des Start-up-Chefs. Es gibt ein unternehmenseigenes Ledger-Angriffslabor, um die Systeme der eigenen Produkte und der Konkurrenz auf Schwachstellen zu testen. Und weder die privaten Schlüssel noch die digitalen Vermögenswerte auf der eigenen Wallet könnten verloren gehen, selbst wenn Ledger vom Markt verschwinden sollte. Jeder Kunde bleibe jederzeit im vollständigen Besitz seiner Kryptowährungen.
Der Ruf der als Tummelplatz für Kriminelle verrufenen Szene mag in der breiten Öffentlichkeit nach wie vor schlecht sein. Da passt ins Bild, dass es in Frankreich in diesem Jahr aufsehenerregende Fälle von Überfällen auf Personen mit größeren Kryptovermögen gab, darunter die Entführung von Ledger-Mitgründer David Balland und seiner Partnerin. Andererseits boomen Bitcoin & Co., beflügelt durch Donald Trumps umfassende Liberalisierung. Die jüngste Kursrally hat zahlreiche Kryptoanleger zu Millionären gemacht. Auch die mehr als acht Millionen verkauften Ledger-Geräte sind Ausdruck dieses Booms. Selbst wenn viele Kunden mehr als eine Wallet gekauft haben, dürfte ihre Zahl inzwischen mehrere Millionen betragen.
Das ist zwar nicht viel im Verhältnis zu den schätzungsweise mehr als einer halbe Milliarde Menschen auf der Welt, die Kryptowährungen nutzen. Doch nur ein Bruchteil davon habe eigene Adressen in den einschlägigen Systemen wie Bitcoin und sei nicht nur auf den Börsenplätzen registriert, sagt Gauthier. Davon wiederum hätten nur rund 20 bis 25 Millionen Privatpersonen oder Unternehmen Kryptowährungen im Wert von 100 Dollar oder mehr. Rechnet man so, ist der Weltmarktanteil von Ledger signifikant. „Wir schützen mehr als 20 Prozent aller Kryptowährungen“, meint Gauthier. Dabei sei Europa der wichtigste Markt mit einem Umsatzanteil von grob 30 bis 50 Prozent, gefolgt von den USA mit 30 bis 40 Prozent; der Rest entfällt auf Asien.
Das sei anders in Brüssel
„Wir sind ein wirklich global agierendes Unternehmen“, ist dem Ledger-Chef wichtig zu betonen. Und er ist überzeugt davon, dass die Kryptowelt erst am Anfang steht. „Eine neue Technologie braucht 20, 30 Jahre, bis sie den Mainstream erreicht“, sagt der Franzose, der vor seiner Zeit bei Ledger das Daten- und Analyseunternehmen Kaiko gegründet hat und davor unter anderem das operative Geschäft beim Online-Marketingunternehmen Criteo verantwortete. Es gebe in der Entwicklung immer viel Frustration und Angst, und meist müsse erst ein Generationenwechsel stattfinden. „Das Internet hat 25 Jahre gebraucht“, sagt Gauthier. Insbesondere in Europa herrsche manchmal „ein ziemlich starker Konservativismus, weil die Menschen es nicht besonders mögen, wenn man ihnen sagt, dass sich etwas ändert und dass sie alles neu lernen müssen.“
Gauthier, 49 Jahre alt, sieht die Welt derzeit in einer „Übergangsphase zu Blockchain-Technologien“. Eines Tages werde jeder solche dezentralen Systeme für die Speicherung von Daten und Transaktionen nutzen – genauso wie alle das Internet nutzten, weil sich dort schneller Flüge buchen lassen als im Reisebüro. Künftig werde sich jeder mit wenigen Klicks auf Kryptoplattformen Geld leihen können, wenn dort die Zinsen günstiger sind als bei herkömmlichen Banken.
Dass die Szene immer noch so kritisch beäugt werde, sei ungerechtfertigt. „Blockchains sind mehrheitlich öffentliche Datenbanken und somit rückverfolgbar, was es den zuständigen Behörden in den meisten Fällen ermöglicht, Personen zu identifizieren“, sagt Gauthier. Darüber tausche er sich regelmäßig mit politischen Vertretern aus, auch mit Präsident Emmanuel Macron habe er einmal ein konstruktives Gespräch geführt. Wichtig sei, die Behörden besser zu schulen und zu finanzieren.
Aus seiner Heimat, politisch gegenwärtig kein Hort der Stabilität, kommt nach Gauthiers Ansicht dennoch eher Rücken- als Gegenwind. Das sei anders in Brüssel. Dass dort derzeit über eine Überarbeitung der 2024 in Kraft getretenen Krypto-Regulierungsrichtlinie MiCA verhandelt wird, bereitet dem Ledger-Chef Sorgen. „Wir sehen schon heute, dass Europa im Bereich des Kryptohandels ausgebremst worden ist“, so Gauthier. MiCA 2 würde ausländische Akteure begünstigen, die in „regulatorischen Grauzonen wachsen“, ihre Dienste in Europa anbieten und hier dann auch noch viel weniger streng als in den USA kontrolliert werden. Wenn, wie zu befürchten sei, mit der überarbeiteten Richtlinie 2000 neue Seiten hinzukommen, werde dies „dem Sektor schaden“.
Source: faz.net