In seinem in diesem Frühsommer erschienenen Song Frogs beschreibt
Nick Cave, wie er sich an einem Sonntag nach dem Gottesdienst in seiner
Lieblingskirche auf den Heimweg macht und den ersten Anzeichen des
Weltuntergangs begegnet. Vom Himmel fällt sintflutartiger Regen, der dafür
sorgt, dass Frösche aus den Deckeln der Kanalisation hüpfen – als
Botschafter der nahenden Apokalypse. Plötzlich, mitten im von Metaphern
überfüllten Tumult des Songs, sieht Nick Cave den jungen Kris Kristofferson,
wie er gegen eine Dose tritt und ein Hemd trägt, das er seit Jahren nicht
gewaschen hat.
Nick Cave lässt gerne
Figuren aus der Popkultur in seinen Songs auftauchen, Elvis Presley zum Beispiel
oder die fiktionale Hannah Montana. Wie aber kam er in diesem apokalyptischen
Sonntagsszenario auf Kris Kristofferson? Nun, Cave hatte kurz zuvor Sunday
Morning Coming Down gehört, unter den vielen melancholischen Sonntagsliedern möglicherweise
das traurigste. Kristofferson schrieb es 1969, als er am Ende war. Vier Jahre
lang hatte Kristofferson versucht, als Songwriter in der Country-Hauptstadt Nashville Fuß zu
fassen, was mehr schlecht als recht funktionierte. Um genug Geld für die
Familie zu verdienen, musste er auch weiterhin andere Jobs annehmen, harte
Arbeit, mieser Lohn. Das stimmte Kristofferson so missmutig, dass ihn die von seinem
Gejammer genervte Frau verließ und das gemeinsame Kind mitnahm.
Also saß der leidende Mann eines Tages allein
in einem runtergekommenen Apartment im Stadtviertel Music Row, wo die
einsamen Songwriter nebeneinander hockten und sich gegenseitig auf die Nerven fielen.
In dieser Umgebung schrieb Kristofferson Sunday Morning Coming Down. Der Song
handelt von Kater, Kopfschmerzen und Konterbier. Von einer leeren Dose und dem
am wenigsten verdreckten Hemd. Von anderen Vätern, die mit ihren Kindern im
Park spielen, während Kris Kristofferson von allen guten Geistern verlassen ist
und sich in Selbstmitleid ergießt. „Wenn man keine Familie hatte, war der
Sonntag der schlimmste Tag der Woche“, erzählte er später dem Musikjournalisten
John Morthland. „Die Bars waren bis ein Uhr nachmittags geschlossen, es gab den
ganzen Vormittag nichts zu tun.“ Nichts, heißt es in Sunday Morning Coming
Down, sei auch nur halb so einsam wie ein solcher Sonntag. Außer der Tod.
Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Sunday Morning Coming Down, dieses Selbstporträt des gescheiterten Songwriters als
Jammerlappen, machte Kris Kristofferson in Nashville zu einer großen Nummer. Er
sang den Song selbst, für sein erstes Album Kristofferson aus dem Jahr 1970.
Ein großer Hit wurde er aber in der Version von Johnny Cash: Platz eins der
US-Billboard-Charts.
Dass Johnny Cash den Song sang, war das
Resultat einer anderen typischen Kristofferson-Geschichte. Bei seinem Job als
Putzkraft in den Columbia Studios traf er dort auf die Musikerin und Cash-Ehefrau June Carter. Er übergab ihr
ein Demotape, mit der Bitte, es an ihren Mann weiterzugeben, er, Kristofferson, warte auf dessen
Rückmeldung. Weil diese selbstverständlich ausblieb, griff Kristofferson zu
einer drastischen Maßnahme.
Ein anderer seiner Nebenjobs war es, auf einer
Ölplattform Helikopter zu fliegen, gelernt hatte er diese Fähigkeit bei der Armee.
Also flog Kristofferson mit einem zweckentfremdeten Hubschrauber nach
Hendersonville, wo Cash seit 1967 ein Domizil besaß, und landete auf dem Anwesen, um Cash seine Aufwartung zu machen. Der Hausherr selbst prägte
später den Mythos, Kristofferson sei mit einer Bierdose und einem Stapel Tapes
aus dem Helikopter ausgestiegen. Pilot Kristofferson relativierte die Story später: Cash
sei gar nicht da gewesen, sowieso sei die ganze Aktion Mist gewesen, eindeutiger
Hausfriedensbruch – und getrunken hätte er beim Hubschrauberfliegen ganz
sicher nicht. So oder so: Kurz danach landete Cash mit Kristoffersons Sunday
Morning Coming Down einen Riesenhit.
Ein Mann mit vielen Talenten
Würde man einen großen und
fantasiereichen US-Schriftsteller wie John Irving bitten, einen Roman über ein
amerikanisches Männerleben zu schreiben – das Resultat könnte der
Biografie von Kris Kristofferson ähneln. Kristofferson entstammte einer
Soldatendynastie, sein Großvater war Offizier bei der schwedischen Armee.
Nachdem die Familie nach Amerika emigriert war, wurde Kris’ Vater Lars Henry
Kristofferson ein hohes Tier bei der Air Force. Dass der Sohn ebenfalls dem
familiären Weg folgen sollte, klang schon im Namen an: Kristoffer
Kristofferson. Doch besaß dieser Junge eine Vielzahl anderer Interessen. In
seiner Jugend bewies er sich als talentierter Essayist, brillanter Schüler und
Student sowie ausgezeichneter Sportler, erfolgreich besonders im Rugby.
Ein Stipendium führte Kris Kristofferson Ende der Fünfzigerjahre ins englische Oxford, wo er erste Songs
schrieb und von Larry Parnes gemanagt wurde, einem prägenden Wegbereiter des
britischen Rock ’n’ Roll. Die Idee, ihn als „Yankee in Oxford“ zu vermarkten,
scheiterte jedoch. Zurück in den USA heiratete Kristofferson seine Jugendfreundin, gab dem
familiären Druck nach und ging zur Army. Stationiert wurde er
in der jungen Bundesrepublik, in Bad Kreuznach, Heimat der 8. Infanteriedivision. Vom
Soldatenleben gelangweilt, gründete Kristofferson mit anderen Soldaten eine Band, spielte
ohne nennenswerten Erfolg in zwielichtigen Kaschemmen. Und so kam der Plan zustande, nach Nashville zu ziehen, zunächst nur für ein Jahr, so hatte die Vereinbarung mit seiner Ehefrau gelautet.
Aus dem einen Jahr wurden dann halt mehrere,
und während die private Bilanz endgültige Trennung von der Familie hieß, lief es beruflich für Kris Kristofferson, jedenfalls als Lohnschreiber, zunehmend besser. Er komponierte Me And Bobby McGee für Roger Miller, Once More
With Feeling für Jerry Lee Lewis, Your Time’s Coming für Faron Young. Auch
der von Dave Dudley interpretierte Vietnam Blueswurde ein kleinerer
Hit. Kristofferson schrieb den Song 1965 und drückte darin sein Unverständnis
für die Proteste gegen den Krieg aus, der damals gerade erst begonnen hatte;
erst einige Jahre später wurde auch Kristofferson zum Gegner der US-Invasion in Vietnam. Erst Sunday Morning Coming Down
jedoch veränderte alles. Mit einem Schlag war Kris Kristofferson ein großer Name. Ein
Synonym für einen leidenden Künstler, der sich nicht um Konventionen scherte. Ein
Outlaw.
In seinem in diesem Frühsommer erschienenen Song Frogs beschreibt
Nick Cave, wie er sich an einem Sonntag nach dem Gottesdienst in seiner
Lieblingskirche auf den Heimweg macht und den ersten Anzeichen des
Weltuntergangs begegnet. Vom Himmel fällt sintflutartiger Regen, der dafür
sorgt, dass Frösche aus den Deckeln der Kanalisation hüpfen – als
Botschafter der nahenden Apokalypse. Plötzlich, mitten im von Metaphern
überfüllten Tumult des Songs, sieht Nick Cave den jungen Kris Kristofferson,
wie er gegen eine Dose tritt und ein Hemd trägt, das er seit Jahren nicht
gewaschen hat.