Ressourcen sparen, die Abhängigkeit von Rohstoffimporten reduzieren und zugleich Klima und Umwelt besser schützen – dazu soll die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) einen entscheidenden Beitrag leisten. „Der Pro-Kopf-Verbrauch neu abgebauter Rohstoffe soll halbiert werden. Zudem soll der Anteil wiederaufbereiteter Rohstoffe in Europa verdoppelt werden“, kündigte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Dienstag an.
In der Strategie sollen alle Ziele und Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft gebündelt werden: von der Rohstoffgewinnung über das Produktdesign bis zum Recycling. Die Strategie zielt auf Kreisläufe für alle Rohstoffarten – von Baustoffen über Textilien bis zu kritischen Industriemetallen. Die Wirtschaft soll damit einen Orientierungsrahmen für ihre Geschäftsmodelle für die nächsten 10 bis 15 Jahre bekommen. Dem Qualitätsversprechen „Made in Germany“ werde mit „Circularity made in Germany“ neue Strahlkraft verliehen, so die Hoffnung des Umweltministeriums.
Am Montagabend hatte Lemkes Haus den Entwurf für die NKWS in die Ressortabstimmung gegeben. Der Kabinettsbeschluss wird für den Herbst erwartet. Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft soll durch ein Bündel von Maßnahmen vorangetrieben werden: mithilfe von Gesetzesinitiativen, Instrumenten wie dem digitalen Produktpass, Förderprogrammen vor allem für den Mittelstand, Anreizen für nachhaltigen Konsum und die Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung auf die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft.
„Kreislaufwirtschaft ist wahrlich kein Nischenthema“
Derzeit beträgt der Verbrauch an Rohstoffen für Konsum und wirtschaftliche Investitionen in Deutschland pro Kopf jährlich gut 16 Tonnen. Bis 2045 soll dieser „Rohstoff-Fußabdruck“ nach dem Entwurf für die NKWS auf jährlich acht Tonnen halbiert werden. Manche Hebel dafür wurden bereits in Bewegung gesetzt. Das Umweltministerium nennt unter anderem die Energiewende, mehr ressourcensparenden Leichtbau sowie die Stärkung von Recycling und Abfallvermeidung.
Nur 13 Prozent der hierzulande eingesetzten Rohstoffe wurden schon einmal genutzt beziehungsweise wiederaufbereitet. In dem Entwurf der NKWS wird das EU-Ziel aufgegriffen, den Anteil dieser Sekundärrohstoffe bis 2030 zu verdoppeln. Bei allen wichtigen Stoffströmen wie Baustoffen, Kunststoffen und vielen Metallen soll die Nutzung wiederaufbereiteter Rohstoffe erheblich gesteigert werden. Die EU hat sich außerdem zum Ziel gesetzt, 25 Prozent des Bedarfs an strategischen Rohstoffen bis 2030 durch Recycling zu decken. Auch dabei soll die neue Strategie helfen. Außerdem soll die NKWS dazu beitragen, Abfälle zu vermeiden. Bis zum Jahr 2030 sollen zehn Prozent und bis zum Jahr 2045 pro Kopf 20 Prozent weniger Abfall produziert werden, jeweils im Vergleich zum Jahr 2020.
In der Wirtschaft war der Entwurf der NKWS mit einiger Ungeduld erwartet worden. „Kreislaufwirtschaft ist wahrlich kein Nischenthema und auch kein reines Klimaschutzprojekt, sondern ein hartes industriepolitisches Zukunftsfeld“, sagte Anja Siegesmund, Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft, der F.A.Z. Der Weg vom linearen zum zirkulären Wirtschaften sei ein „Kraftakt“. Der Wettlauf um die besten industriepolitischen Voraussetzungen habe längst begonnen. „Deutschland muss jetzt nachlegen“, forderte Siegesmund.
Mehr als die Hälfte der Unternehmen (54 Prozent) sehen die Transformation der Wirtschaft zur Kreislaufwirtschaft als Chance für das eigene Geschäft, sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Das zeigt eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) bei mehr als 2000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen, die der F.A.Z. exklusiv vorliegt. Mehr als jeder zweite Betrieb beschäftigt sich auch schon damit, wie er sein Geschäftsmodell mit Elementen der Kreislaufwirtschaft verbinden kann, etwa um Materialkosten zu sparen sowie Resilienz in den Lieferketten zu stärken.
Vier von zehn Betrieben hoffen, durch zirkuläres Wirtschaften neue Kunden zu gewinnen. Es zeigen sich aber deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Wirtschaftssektoren: So sehen nur 40 Prozent der Handelsunternehmen die Kreislaufwirtschaft als Chance, 50 Prozent können dies noch nicht einschätzen. Außerdem ist die erfolgreiche Transformation aus Sicht der Wirtschaft an wichtige Bedingungen geknüpft: an eine flächendeckende Digitalisierung unter anderem für die Einführung des digitalen Produktpasses, an einen einheitlichen EU-weiten gesetzlichen Rahmen sowie auch an einen funktionierenden Markt für Rezyklate.
Sorge bereitet den befragten Unternehmen, dass neue bürokratische Anforderungen und Kosten auf sie zukommen. Nahezu 60 Prozent der Betriebe befürchten einen erhöhten Dokumentationsaufwand auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft. Mehr als jedes dritte Unternehmen hat die Sorge, es könnten nicht genügend Sekundärrohstoffe verfügbar sein. Es komme stärker als in der Vergangenheit darauf an, „die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen mitzudenken. Einheitliche Standards für die Kreislaufwirtschaft innerhalb Europas sind aus Sicht von drei Viertel der Firmen zentrale Bausteine dafür“, mahnt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks.