Deutschland hat schon verloren, bevor die Europameisterschaft losgeht – natürlich nicht die Nationalmannschaft, die hat noch alle Chancen auf den Titel, sondern der Fiskus. Es ist immer dasselbe Spiel, das äußerst einseitig verläuft: Wenn es um ein internationales Fußball-Großereignis geht, dringt der Ausrichter darauf, dass er von Steuerpflichten befreit wird. Als Monopolist hat er in dem Wettbewerb beste Möglichkeiten, seine Interessen durchzudrücken. Wenn eine Regierung zickt, wenn ein Land nicht mitspielt, stehen genügend andere Interessenten parat, die sich auf alle Bedingungen einlassen, nur um den Zuschlag zu bekommen. Wie das funktioniert, weiß der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nur zu gut. Er hat positive wie negative Erfahrungen.
Ob Weltverband des Fußballs (Fédération Internationale de Football Association, kurz FIFA) oder der europäische Kontinentalverband UEFA (Union of European Football Associations) – sie verdienen prächtig an den Meisterschaften, während die nationalen Finanzbehörden weitestgehend leerausgehen.
Die Verbände verkaufen sich als gemeinnützig, doch selbst Gutgläubige tun sich mittlerweile schwer damit, ihnen das abzunehmen. Viele würden den in der Schweiz sitzenden Verbänden stattdessen die Attribute gemein und eigennützig zuschreiben. Stichworte sind: Bestechung und Korruption, dubiose Funktionäre und mafiöse Strukturen, Durchsuchungen und Gerichtsverfahren. Die UEFA steht im öffentlichen Ansehen nicht ganz so schlecht da wie die FIFA, deren Ruf nicht zuletzt um die nach wie vor nicht hinreichend aufgeklärten Begleitumstände des deutschen „Sommermärchens“ der Weltmeisterschaft 2006 nachhaltig gelitten hat. Aber auch die UEFA arbeitet alles andere als bescheiden und transparent.
Die bekannte Methode der Sportverbandswirtschaft
Es ist 2024 wie immer. Die UEFA kann sich eine goldene Nase verdienen, und der deutsche Steuerstaat schaut in die Röhre. In Zahlen sieht das so aus: Der Verband rechnet für die EM mit Einnahmen in Höhe von rund 2,4 Milliarden Euro. Unterm Strich dürfte mehr als eine Milliarde Euro stehen. Davon muss der Verband zwar noch die Prämien für die teilnehmenden Verbände zahlen (331 Millionen Euro) und Abstellungsraten an die Vereine der teilnehmenden Spieler überweisen. Sicher ist: Ein stattlicher dreistelliger Millionenbetrag wird übrig bleiben. Geld, das größtenteils an die Mitgliedsverbände und am Ende so wieder in die Förderung des Fußballs fließe, heißt es stets von der UEFA. So argumentiert auch die FIFA mit ihrer Weltmeisterschaft, so argumentiert das Internationale Olympische Komitee bei Olympischen Spielen. Das ist die Methode der Sportverbandswirtschaft.
Steuerpflichtig ist nur die gemeinsam mit dem DFB für die Turnierorganisation gegründete Euro 2024 GmbH mit Sitz in Frankfurt. Schätzungsweise 65 Millionen Euro dürfte die Gesellschaft zahlen. Die zentralen, milliardenschweren Einnahmeposten der UEFA – die Vermarktung der Medienrechte und der kommerziellen Rechte sowie Sponsoring – bleiben außen vor. Das ist Teil des Deals.
Die Verzichtzusage ist Grundlage des Zuschlags gewesen, den der DFB am 27. September 2018 von den Mitgliedern des UEFA-Exekutivkomitees bekam. Die Türkei ging damals leer aus, sie bekam vier Stimmen, bei einer Enthaltung, 12 Funktionäre stimmten für die deutsche Bewerbung. Wie Regierungskreise auf Nachfrage bestätigen, hat Olaf Scholz diese in seiner Zeit als Finanzminister abgesegnet, um die Neuauflage des Sommermärchens zu ermöglichen. Nun kann der SPD-Politiker als Bundeskanzler Spiele des deutschen Teams besuchen.
Das sagt das Steuerrecht
Grundlage für seine Entscheidung war Paragraph 50 Absatz 4 Einkommensteuergesetz. Dort heißt es im schönsten Juristendeutsch: „Die obersten Finanzbehörden der Länder oder die von ihnen beauftragten Finanzbehörden können mit Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen ganz oder zum Teil erlassen oder in einem Pauschbetrag festsetzen, wenn dies im besonderen öffentlichen Interesse liegt.“
Beschränkt steuerpflichtig sind üblicherweise natürliche Personen, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, sowie Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben, wenn sie inländische Einkünfte haben.
Ein besonderes öffentliches Interesse besteht nach dem Gesetzeswortlaut „an der inländischen Veranstaltung international bedeutsamer kultureller und sportlicher Ereignisse, um deren Ausrichtung ein internationaler Wettbewerb stattfindet“. Möglich ist das auch beim inländischen Auftritt einer ausländischen Kulturvereinigung, wenn ihr Auftritt wesentlich aus öffentlichen Mitteln gefördert wird.
Es ist evident, dass der zweite Punkt im Fall der Fußballspieler nicht einschlägig ist, auch wenn der ein oder andere anreisende Funktionär zu den Freunden der italienischen Oper gehören sollte. Für Liebhaber des Steuerrechts: Auch wenn die UEFA keine natürliche Person ist, ist die oben genannte Regelung in der Einkommensteuer einschlägig. Das ergibt sich aus Paragraph 8 Absatz 1 des Körperschaftsteuergesetz.
Was die EM die Städte kostet
Nun sind gerade die Kosten für die Sicherheit durch Polizeieinsätze und weiteres für Länder und Kommunen nur schwer exakt zu beziffern. Insgesamt dürfte das Turnier und das Drumherum den Steuerzahler aber sicherlich mehr als 500 Millionen Euro kosten. Hinzu komme ein „dreistelliger Millionenbetrag“ für das Übertragen diverser Spiele im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ergänzt das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Das Gros der Organisationskosten fällt in den „host cities“ an, also in den Städten, in denen die Spiele ausgetragen werden. Zwar sind die deutschen Fußballstadien modern und eigens fürs Turnier geforderte Neubauten kein Thema. Modernisierungen und weitere Anpassungen fordert die UEFA dennoch – ganz abgesehen davon, dass ausschließlich EM-Sponsoren im weiten Rund zu sehen sein dürfen. Aus der Münchner Allianz Arena wird so beispielsweise die „Fußball Arena München“, der markante Allianz-Schriftzug wird für die Dauer des Turniers abmontiert.
Der Frankfurter „Deutsche Bank-Park“ heißt im UEFA-Sprech „Frankfurt Arena“. Die Stadt, Eigentümerin des Stadions, erklärt auf Anfrage der F.A.Z., „nach Möglichkeit“ auf temporäre Umbauten verzichtet zu haben und stattdessen lieber für eine „dauerhafte Verbesserung der Stadioninfrastruktur“ zu sorgen. So ist die Zahl der Rollstuhlfahrerplätze, wie von der UEFA gefordert, schon im Vorfeld erweitert worden. Hinzu kommen stellenweise neue Drehkreuze für den Einlass, 680 zusätzliche Radabstellplätze und eine „Modernisierung“ der Videoüberwachung und der Beleuchtung auf den Wegen zum Stadion.
Wenig Bewegungsspielraum für Nationen
Auffälliger in den Städten sind die offiziellen Fanzonen, zu deren Einrichtung sich die Kommunen verpflichtet haben und in denen die Spiele übertragen werden. Hier sind die EM-Sponsoren breit präsent, auch lokale Verbände präsentieren sich und auf den Bühnen findet ein Musikprogramm statt. Die Stadt Berlin hat auf der Straße des 17. Juni 24.000 Quadratmeter Kunstrasen verlegt und vor dem Brandenburger Tor gleich noch ein riesiges Fußballtor aufgebaut. In Frankfurt sind die Auswirkungen auf den Straßenverkehr eher überschaubar. Dafür liegt die Fanzone direkt am Main, ein schmaler, 1,4 Kilometer langer Streifen mit Blick aufs Museumsufer. Seit Ende Mai wird hier gearbeitet und aufgebaut. Wie zur WM 2006 steht die größte Leinwand auf einem schwimmenden Element im Main. 14 bis 15 der insgesamt rund 32 Millionen Euro, die die Stadt für die EM im Haushalt vorgesehen hat, verschlingt die Fanzone.
Das Konzept der Fanzone am Main sei von der städtischen Tourismus-Gesellschaft ausgearbeitet worden, heißt es von der Stadt. Auch zu den schwimmenden Elementen habe es im Vorfeld keine Vorgabe der UEFA gegeben. Der Katalog an Anforderungen habe sich „primär“ auf den Standort bezogen, beispielsweise eine zentrale Lage mit guter ÖPNV-Anbindung. Das dürfte eine vergleichsweise harmlose Auflage gewesen sein. Politik will die UEFA offenkundig lieber raushalten. So dürfen in Berlin explizit keine palästinensischen oder israelischen Flaggen in die Fanzone mitgenommen werden. Nur Fahnen von am Turnier teilnehmenden Ländern seien erlaubt.
Wie eng der Bewegungsspielraum für Nationen generell ist, wenn sie sich um ein Großereignis bemühen, zeigt die Weltmeisterschaft der Fußball-Frauen. Der DFB wollte sie 2027 gemeinsam mit den Fußballverbänden der Niederlande und Belgien austragen, doch das Dreierbündnis unterlag Brasilien bei der Abstimmung auf dem FIFA-Kongress am 17. Mai in Bangkok mit 119 zu 78 Stimmen sehr deutlich. Der zuvor veröffentlichte FIFA-Evaluierungsbericht hatte die europäische Bewerbung schlechter bewertet als die brasilianische. Der wesentliche Faktor: „eine Reihe rechtlicher Risiken“ in der Bewerbung der Deutschen, Belgier und Niederländer.
Handel hofft auf 3,8 Milliarden Euro mehr Umsatz
Ihre Regierungen hätten die rechtliche Durchsetzbarkeit eingereichter staatlicher Unterstützungsdokumente nicht vollständig garantiert. Die FIFA laufe Gefahr, „mit erheblichen operativen und finanziellen Problemen konfrontiert zu werden“. Konkret nennen die Berichterstatter: erhöhte Kosten, verwässerte Rechte, weniger operative Kontrolle. Der Konkurrent aus Lateinamerika war offenkundig handzahmer. Wo bei den Europäern ein roter Punkt in dem Dokument leuchtet, findet man bei Brasilien einen grünen. Die Brasilianer gewannen, weil sie den FIFA-Funktionären das größere Stück vom Kuchen garantierten.
Für die Europameisterschaft hat die Bundesregierung insgesamt 18 Garantie- und Unterstützungsschreiben abgegeben. Es gibt Erklärungen zu Sicherheit, Visa und Arbeitserlaubnissen, zu Devisen, Zoll, Steuern, medizinischer Versorgung, Verkehrswesen/Telekommunikation und Ticketing sowie eine Unterstützungszusage durch den Bundeskanzler. Außerdem existieren Garantien zum Thema geistiges Eigentum, Rechtsschutz, Nutzung von Bildelementen und Anti-Doping.
Die Bundesregierung hält sich bedeckt, was die mit den Garantien für die UEFA verbundenen Steuermindereinnahmen betrifft. Sie argumentiert, es gebe keine statistischen Datengrundlagen, um den hypothetischen Umfang zu berechnen. Auch zu den Inhalten der steuerlichen Garantien vermeidet sie nähere Aussagen. Das unterliege dem Steuergeheimnis, heißt es. Nur zur Vorgehensweise verrät die Regierung mehr.
Die Verbände reichten Textvorschläge für die Garantien ein. Diese würden sowohl inhaltlich als auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht geprüft. „Das bedeutet, dass die endgültigen Garantieerklärungen inhaltlich und somit auch vom gewünschten Umfang von den Textvorschlägen der UEFA abweichen können und auch regelmäßig abweichen“, heißt es.
Der Grundbefund bleibt in jedem Fall klar: Die EM ist ein teures Unterfangen für Bund, Länder und Kommunen. Gleichzeitig setzen diverse Branchen einige Hoffnungen in ein spannendes Turnier mit einem möglichst guten Abschneiden des deutschen Teams – bei ebenso gutem Wetter. Letzteres ist gerade für Brauereien wichtig, der Einzelhandel rechnet wiederum laut Dachverband HDE mit einem Umsatzplus von 3,8 Milliarden Euro durch den Verkauf von Fanartikeln und Lebensmitteln fürs gemeinsame Fußballschauen. Nach Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) erhoffen sich vor allem Mitgliedsbetriebe in den Austragungsorten einen positiven Impuls. Der Verband weist allerdings auch auf Verdrängungseffekte hin: Kongresse fallen weg oder kürzer aus, Geschäftsreisen werden eher zurückgefahren.
„Die emotionale Rendite der EM ist nicht zu unterschätzen“
Nicht nur der Dehoga setzt aber auf positive Effekte „für eine Stimmungsaufhellung im Land“ und eine Stärkung des Standortes Deutschland. Dafür gibt es ein großes Vorbild: Seit Wochen wird von verschiedensten Seiten an das „Sommermärchen“ im Jahr 2006 erinnert. Den WM-Titel im eigenen Land verpasste das deutsche Team zwar bekanntlich, aber das Turnier war geprägt von einer ausgelassenen, freundlichen Stimmung. Deutschland präsentierte sich als exzellenter Gastgeber, die WM entpuppte sich als großer Imagegewinn für die Bundesrepublik.
Einen nennenswerten Effekt auf die Konjunktur hatte freilich auch die WM 2006 nicht. Verbraucher kauften für Fußballturniere zwar womöglich einen neuen Fernseher oder allerlei Utensilien zum Public Viewing, sparten aber dafür an anderer Stelle, rechnete das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) unter Verweis auf Daten aus dem Jahr 2006 im März vor: „Die Konsumausgaben steigen folglich nicht unbedingt, sondern verschieben sich.“ Gleichzeitig sei Konjunktur geprägt von Erwartungen und Stimmungen und „die emotionale Rendite der EM ist nicht zu unterschätzen“. Ganz ähnlich liest sich die Analyse des ZEW.
Dass die EM der Wirtschaft kurzfristig keinen Schub geben dürfte, unterstreicht auch eine Analyse des Ifo-Instituts. Untersucht wurden die WM 2006 und die EMs der vergangenen 20 Jahre. Das Fazit: Die Stimmung in der Volkswirtschaft habe sich durch die Turniere kaum verbessert.